Geschrieben am 10. April 2013 von für Litmag, Neuer Wort Schatz III

Neuer Wort Schatz 3: Norbert Lange

OLYMPUS DIGITAL CAMERAtwist and shout

Norbert Lange

DIE STARE HJERTØYAS  (w)

Vorgestellt von Simone Kornappel

DIE STARE HJERTØYAS  (w)

Haben wir im Stich gelassen, die Stare Hjertøyas;
die noch singen …, der Insel ihr Lied noch
kratzen …, zitieren der Luft ihr Alphabet
nach Schnabel gemalen und setzen Wolkenfragmente
von Wolken in Wolkenrahmen.

Aus diesem Leim zusammen fügen sie die Welt;
an ihren Notenfüßen im Obertonbereich
an Bäume gehängt, zerschneiden Luft
bestreuen den Kammerboden; in Klammer gesetzt
ans Fenster, bedecken mit Zeichen das Haus.

So singen sie, vermischt zu Nokiaklingeln, die Laute
darüber die Stimme düst, in ihnen gelöst
von der Kehle, keinen Schaum rasiert, den Kopf
hör zu: Dadada jetjetjetjetjetjetjetjetjet
Oooooooooooooooooooooooooooooo Bee bee bee
bee bee … … … .

„In der Krone einer alten Kiefer am Strande von Wyk auf Föhr hörte
ich Schwitters jeden Morgen  seine Lautsonate üben. Er zischte,
sauste, zirpte, flötete, gurrte, buchstabierte“    Hans Arp

 

in den spiegeln der anderen eier zu legen1

die installionen des niederländischen künstlers jeroen diepenmaat „pour des dents d’un blanc éclatant et saines“ (mehr hier), 2005, die er zusammen mit dem tierpräparator hans diepenmaat realisiert hat, verwenden verschiedene ausgestopfte vögel, deren schnäbel statt der tonabnehmer die rillen diverser schallplatten abfahren. was folgt ist geräusch, ein kratzen in der spur u.a.. was die stare auf der norwegischen insel hjertøya aber wiederzugeben imstande sind, ist in bezug auf die übertragung von hinterlegtem und das übertragene untermittelbarer: hören kann man dort passagen aus kurt schwitters‘ sonate in urlauten. und das gehörte ist gemalen (vgl. ahd. malēn, germ. mæl-æ = schreiben), geschrieben also – ein pick-up durch die imitationsaffinen vögel, bedingt durch schwitters‘ sommeraufenthalte auf hjertøya ab 1932, seine arbeiten, überarbeitungen und übungen am stück.(*)

als sich wolfgang müller (mehr hier) 1997 nach hjertøya begab, um schwitters‘ hütte aufzusuchen, konnte er eben diese response der stare aufnehmen, stellte die dokumentation der gesänge per cd sowie bildmaterial zur besagten hütte in der berliner galerie „katze 5“ vor. aus dieser veröffentlichung resultierten letztlich querelen (mehr hier) mit der „gustav kiepenheuer bühnenvertriebs gmbh“, die als vertreter der urheberrechte zu den werken schwitters‘ monierte, dass müller zur veröffentlichtung nicht autorisiert gewesen sei. müller hingegen hatte über die gema eine genehmigung erhalten, naturgeräusche auf cd herauszugeben. soweit die einfriedung vielleicht.

das gedicht die stare hjertøyas (w) ist aber kein vor dem obigen hintergrund schlicht aufgehängtes windspiel. so frei der titel auch auf den inhalt verweisen mag – schon beim eingeklammerten w stockt man kurz, kann jedoch annehmen, dass hier per alphabet eine position, nummerierung zugeschrieben wird, dieser text anverwandte gedichte hat. ebenso gut ließe sich anlegen, das w sei anzeige für eine ligatur o.ä.2 und selbst wenn das w wirklich rätsel aufgäbe, könnte man sich damit bei zweiten, dritten lesen auseinandersetzen.

wendet man sich den versen nun inhaltlich zu, so ist es das im stich gelassen, das für mich gleich mehrere ebenen abtastet, verlinkt. es sind dabei nicht zuvorderst zurückgelassensein und -haben, die ich für mein lesen mitnehme und die die autonomie beider seiten (wir vs. stare) implizieren. denn wenn im anschluss von kratzen die rede ist, dient sich der stich zudem als eine form von übertrag an, eine übertragung mit stichel oder nadel, auch als stich im sinne von verschiebung zwischen (ton)farben.

das zitieren im anschluß mag direkt für „angeführtes, aufgerufenes“ stehen. wer nun aber wen anführt, wer die quelle ist, ist so plan nicht zu entscheiden. die zitation kann als twist gelesen werden, wenn sie nach schnabel gemalen, dem schnabel nachgeschrieben ist. (*)und naheliegend scheint, dass schwitters zur ursonate von vogelstimmen inspiriert wurde, mitunter von johann friedrich naumanns 1896 erschienenem band „naturgeschichte der vögel mitteleuropas“, in dem sich e.g. auch lautskizzen wie eben dadada jetjetjetjetjetjetjetjetjet (vgl. letzte strophe, gefolgt von einem zitat aus der sonate in urlauten) finden, um artenspezifische gesänge im print abzubilden. und wenn schon twist, dann von hier aus bitte nochmal zurück zum zitieren der luft ihr alphabet. einer stelle, die gesang und kontergesang (vogelalphabet vs. schwitters‘ „alphabet von hinten“) abbilden könnte. möglich ebenso, dass das schwitters’sche rückwärts lediglich durch die satzstellung verdeutlicht wird, möglich, dass das fehlen der kehrtrichtung beim alphabet auch skizziert, dass das zitat durch die stare aus dem kontext gerissen eben nicht mehr die ursprüngliche bedeutung hergibt. möglich. urvögel singen die sonate (mehr hier), ein jeder wie ihm der schnabel gewachsen ist meinethalben. das wiederum legt auch ein nach schnabel gemalen frei, wenn auf den ersten blick ornithologisches und vermeintlich orthographisch inkorrektes ineinanderscheren.

das springen von ast zu ast, verweis zu querverweis zieht sich durch den text, ist aber keineswegs aufdringlich, will sagen: das gedicht lässt sich völlig für sich lesen, eigenständig und ohne nun jeden verweis ausmachen zu müssen – man kann, hat die option zum ausweiten, die möglichkeit, den raum, den das gedicht aufmacht, durch hypertext auszudehnen. niemand aber schlägt mir in den nacken und zerbrüllt das bild, das ich mir anlese.

wenn beispielsweise wolkenfragmente von wolken in wolkenrahmen gesetzt werden, so taugt und trägt das bild für sich genommen, baut sich auf und das ohne „hans arp-app“,“wolkenpumpe“ oder anklänge wie „dada ist eine rose, die eine rose im knopfloch trägt“1 .

besieht man, ich, die verse nach klang, zeichnen sich thematisch einfriedbare, intonative perioden ab, ansatzweise:

Stare

die beiden zitate gen ende, dadada jetjetjetjetjetjetjetjetjet / Oooooooooooooooooooooooooooooo Bee bee bee / bee bee ………. sind in diesem sinne eben nicht schlicht zitate (ähnlich einer  „bestätigungsmetapher“), auch nicht lediglich zitate, die die weiter oben angerissenen, fortwährenden wendungen und verschränkungen nochmals celebrien – sie sind konsequenter übertrag des sachverhaltes in lautfolgen, konsequente verdichtung der intonativen periode im sinne des themas. twist and shout. manchen macht das lust, mir macht es spaß.

1 dada sprüche, hans arp.

2 darum zu wissen, dass dem band die arbeit an einem hypertext zugrunde liegt, ein laufendes verfahren oder dass später im buch ein gedicht (v) im titel trägt, also eine andere leserichtung für den band an die hand gegeben wird, ist für den singulären text est einmal nicht nötig.

Simone Kornappel

In Fortsetzung der Neuer Wort Schatz Reihe von Gisela Trahms lesen Sie hier von nun an Neuer Wort Schatz 3, jede Woche eine Gedichtrezeption. Die Beiträge werden zusammengestellt von Carolin Callies und Yevgeniy Breyger.

Zur ersten Staffel von NWS geht‘s hier, zur zweiten Staffel hier, die aktuellen Texte finden Sie hier. Foto Lange: Privat.

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