klappklapp
Luise Boege
dame und flieger
Vorgestellt von Jan Kuhlbrodt
dame und flieger
es muss doch ein buch geben
welches sie anbeten jeder hat das
daraufhin spräche eine solche dame wohl nichts
sie flatterte zaghaft mit dem lid klappklapp
macht der schmetterling vor dem fenster
sie kann sich aber zusammennehmen
wenn sie nichts zu lesen hat
und flieger im himmel herumflögen
am ohr entlang
manche kanten sind in ihren tagen
nicht immer ist ja alles leicht
von der seele gar nicht zu reden
es wird spät
kein anruf kein blitz in der nacht
sie löst einen gutschein ein
und ein gebet aus einem buch
gähnt mit der hand vor dem mund
da knackt ihr kiefer
und wieder ein flieger
Es gibt Texte, die mich unmittelbar und doch ganz undeutlich ansprechen. Ich lese sie, und sie gefallen mir, ich analysiere sie, komme nicht gerade weit, und sie gefallen mir immer noch. Es sind Texte, die, obgleich sie in Sätzen klare Aussagen formulieren, sich in ihrem Inneren verlieren. Schneckenhaustexte, die ins Unendliche zirkeln.
Man sollte sie nicht überfrachten, eher wie ein Bergsteiger an sie herantreten. Mit leichtem Gepäck und mit Schuhen, die die Füße zwar schützen, aber dennoch ein gewisses Bodengefühl nicht verhindern, denn wir werden ein Stückchen klettern müssen. dame und flieger ist so ein Text.
Ich fand ihn in der Anthologie Lyrik von jetzt zwei. War wahrscheinlich nicht ganz zufrieden mit dieser Sammlung, wegen des Argwohns, der jene überfällt, die das Stichjahr hinter sich gelassen haben. Was kommt da herangerollt? Oder vielmehr, was plätschert da heran? Und dergleichen Gedanken mehr. Nun ist es nicht so, dass ein einzelner Text käme, und das alles mit einem Mal zerstreute.
Doch schon Boeges Eingangsvers macht mir Spaß, denn er kann beides sein, Ansprache oder Aussage, die Kleinschreibung macht es möglich, und ich finde dieses Stilmittel plötzlich gar nicht mehr so fraglos veraltet. Ein groß geschriebenes „Sie“ hätte mich wahrscheinlich zum nächsten Text springen lassen. Tat es aber nicht. „es muss doch bücher geben“: so einfach wie es irgend geht, und man vergisst vor Verblüffung, dass man ja gerade eins in der Hand hat.
Ich sprang also nicht und sah mich einer Dame mit klappernden Augenlidern gegenüber. Umkreist von fliegenkleinen Flugzeugen. Eine Dame, die etwas pikiert mit spitzem Mund einem eher lästigen Treiben zuschaut. Bis der Text für mich auf einmal etwas „Tschechisches“ bekam, etwas Filigranes, das knapp an der Welt vorbei zeichnet. Pan Tau. Und ich sehe mich als Kind vorm Fernseher sitzen, halb ungläubig dem Treiben folgend, das sich auf der Mattscheibe abspielte: Eigentlich alles normal. Die Menschen waren Menschen, wie ich sie kannte. Wären da nicht die Hosen gewesen, die Hosen von Pan Tau. Anzughosen, die zu seiner Melone passten, aber nicht in die Zeit.
Man möge es mir nicht übel nehmen, wenn ich mich nicht streng an die Verse von Luise Boege halte. Dies ist keine Interpretation. Aber vielleicht besteht ja gerade darin die Qualität dieses Textes, dass er nach jeder erneuten Lektüre neue Traumketten auslöst, uns eine Zeitlang von der Strenge des Gedankens beurlaubt und, wie bei traditionell surrealistischen Texten üblich, mit unserem Unbewussten in den Dialog tritt.
Und weil ich gern in Anthologien lese, fallen mir Sammlungen mit tschechischer Dichtung ein, „Die Sonnenuhr“ und „Glasträne“, und darin besonders die Gedichte von Konstantin Biebl und Nezval. Und ich bin froh, etwas von deren traumhafter Leichtigkeit in einem Gedicht wiederzufinden, das eine Zeitgenossin geschrieben hat.
Jan Kuhlbrodt
Gedichte mit kritischer Neugier und Genuss zu lesen – das ist das Ziel der Reihe Neuer Wort Schatz II, die jede Woche einen zeitgenössischen Text vorstellt. Zusammengestellt wird sie von GISELA TRAHMS und DANIEL GRAF.
Zu Neuer Wort Schatz II (27): Ulrike Almut Sandig
Zu Neuer Wort Schatz II (25): Monika Rinck
Zur ersten Staffel von NWS geht‘s hier
Das Gedicht ist erschienen in:
Lyrik von Jetzt zwei. 50 Stimmen.
Hrsg. von Björn Kuhligk und Jan Wagner.
Berlin Verlag 2008. 287 Seiten. 19,90 Euro.
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