Frei
Elke Erb
Präsenz
Vorgestellt von Gisela Trahms
Präsenz
Probleme keine. Alleine. Im weiten Umkreis frei.
Gesättigt Sonne, der kleine Kahn. Im weiten Umkreis
Fläche. Offenbar – See. Seerosen.
Drei in dem Kahn, dem bemalten, gealterter
Farbauftrag, satt. Knarren, Ruderdolle. Frieden.
Sonst nichts als, kahl nichts als
Präsenz.
Präsenz heißt manchmal bloß: vorhanden sein. Aber sie ist auch eine mystische Qualität, die sich am deutlichsten bei gewissen Schauspielern zeigt. Robert Mitchum etwa hielt Kopf und Körper hin auf diese nur ihm eigene Weise (lazy) und war da. Auch im Alltag begegnen wir (selten) Menschen, die diese Gabe besitzen: Sie betreten einen Raum und alle anderen werden zu Statisten.
In Elke Erbs Gedicht geht es um die Präsenz einer Landschaft (ein See), in der ein paar Menschen unterwegs sind (die Kahnfahrer), wahrgenommen von einem Ich, das niemals Ich sagt, sich also ausspart und dennoch in einer Weise von sich spricht, dass auch seine Präsenz Thema ist. Eine Miniatur – Meditation also über eine Anwesenheit, die erst im Auge des Betrachters zustande kommt, so wie das Gedicht erst im Auge des Lesers zu leben beginnt.
Den Anfang macht eine Feststellung: „Probleme keine.“ Schön für dich!, denkt man, vielleicht etwas vergrätzt, weil man selber welche hat. Das nächste Wort erstaunt, nimmt man doch Alleinsein gewöhnlich als Mangel wahr, als Problemquelle. Warum das hier anders ist, macht „Im weiten Umkreis frei.“ klar: Die positive Seite des Alleinseins ist die Selbstbestimmung, niemand redet drein. Und dann öffnet der „Umkreis“, eh wir es recht bemerken, die räumliche Dimension, in die die Schilderung einer friedvollen, besonnten Landschaft eingebettet ist. Der See, Seerosen, ein Kahn, Stille – man glaubt sich mitten im Bild.
Aus dem emotionsbeladenen „frei“ des ersten Verses wird im dritten die nüchterne „Fläche“. Bloß kein Sentiment! Die „Seerosen“ tupfen ein wenig Monetsche Anmut auf das (brandenburgische? mecklenburgische?) Wasser. Merkwürdig bleibt jedoch das Wort „Offenbar“ samt dem folgenden Gedankenstrich. Einerseits bezeichnet es das Selbstverständliche und Evidente, alles liegt offen vor Augen, keine verborgene Bedeutung muss ‚dahinter‘ gesucht werden. Andererseits klingt „Offenbarung“ an mit all seinen religiösen oder metaphysischen Konnotationen, also das Geheimnisvollste, was es gibt. Diese Doppeldeutigkeit funktioniert wie eine Schiebetür, die den Text auf einen immensen Hintergrund hin öffnet.
Die zweite Strophe scheint den Kahnfahrern zu gelten („Drei“), aber der Kahn erweist sich als wichtiger. Bemalt ist er und die Farbe, obwohl „gealtert“, leuchtet immer noch „satt“ in der „gesättigten“ Sonne. Durch die bescheidenen Rudergeräusche wird die Stille hörbar. Den Gipfelpunkt bildet das letzte Wort des Verses, „Frieden“, das zunächst beinahe überflüssig erscheint, weil wohl jeder Leser mit diesem Begriff zusammenfassen würde, was die Landschaft vermittelt.
Aber danach folgt: „Sonst nichts als, kahl nichts als // Präsenz.“
Ja, ist denn „Frieden“ nicht genug? Oder zu schön, um wahr zu sein? Das freundliche Bild plötzlich „kahl“ zu nennen, will uns nicht gefallen. Freilich errichtet es eine Barriere gegen den Kitschverdacht, unter dem liebliche Landschaften stehen, seufzend müssen wir es zugeben. Schließlich saust noch das Titelwort wie ein Hammerschlag nieder, steht nackt und ohne klärendes Adjektiv da und entlässt uns ins Rätseln: Was heißt das denn nun, „Präsenz“?
Zunächst einmal, dass die Schiebetür wieder geschlossen wird. Zweimal versichert man uns, dass da nichts ist außer dem, was genannt wird und eben einfach da ist. Nichts Tieferes, nichts Symbolisches. Aber Präsenz ist dennoch mehr als Faktizität. Es ist Anwesenheit, und zwar so intensiv, dass Landschaft, Kahn und Menschen sich zu einem Ganzen zusammenfügen, das eine Aura besitzt. Das Ich statuiert auf nüchterne Weise, bremst den Ausdruck von Gefühlen ab, vermittelt aber durch Rhythmus und Klang sehr wohl die Schönheit und das Glück, die die bloße Wahrnehmung begleiten. Es gibt keinen Bruch zwischen Innen und Außen, zwischen Ich und Welt: als unspektakulär, aber wohltuend bei aller Kargheit, empfindet das Ich auch die eigene Lebenssituation.
Die geschilderte Landschaft erinnert an Brecht. Aber interessanter ist vielleicht, dass es auch in Andre Rudolphs diesjährigem Debütband ein Gedicht über Präsenz gibt, in dem in aller Deutlichkeit ausgesprochen wird, was hier nur indirekt anklingt: wie sehr wir manchmal die Randfiguren unserer eigenen Wahrnehmungen sind, welche Tiefenunschärfen da lauern. Und damit geht die Schiebetür wieder auf.
Gisela Trahms
Gedichte mit Neugier und Genuss zu lesen – das ist das Ziel der Reihe Neuer Wort Schatz II, die jede Woche einen zeitgenössischen Text vorstellt. Zusammengestellt wird sie von GISELA TRAHMS und DANIEL GRAF.
Zu Neuer Wort Schatz II (6): Thomas Kunst
Zu Neuer Wort Schatz II (4): Nora Bossong
Zur ersten Staffel von NWS geht‘s hier
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Das Gedicht ist bislang noch nicht in einem Buch erschienen.
Elke Erbs jüngste Publikation:
Elke Erb: Sonanz: 5-Minuten-Notate
Urs Engeler Editor 2008
314 Seiten. 21,00 Euro.
Elke Erb im Poetenladen