Geschrieben am 20. März 2013 von für Litmag, Porträts / Interviews

Nora Gomringer im E-Mail-Interview mit Isabel Bogdan

Am 31. Januar trat Nora Gomringer zusammen mit dem Wortart Ensemble im Hamburger Literaturhaus auf. Wie es mir gefallen hat, steht hier – Kurzfassung: Ich war schwer begeistert und beeindruckt und habe Nora gleich danach gefragt, ob ich sie für CulturMag interviewen darf. Ich durfte. Wir haben das Interview per E-Mail geführt.

Nora Gomringer in Island (© Nora Gomringer)

Nora Gomringer in Island

Isabel Bogdan: Hast Du eigentlich das Vorlesen oder Vortragen gelernt? Hast Du Sprechunterricht oder eine Schauspielausbildung oder so was? Denn das war sehr beeindruckend. Oder hast du so viele Slams absolviert, dass sich das quasi von ganz allein so entwickelt hat?

Und zweitens: Rhythmus, ne? Rhythmus! So toll. Machst Du noch irgendetwas anderes als Schreiben, was Dein Rhythmusgefühl trainiert? Tanzen, Musik, Trommeln, Treppensteigen? Meine Übersetzerkollegin Miriam Mandelkow sagte mal „Übersetzen und Steppen gehören einfach zusammen“. Ich habe sofort verstanden, was sie meint (und steppe seitdem auch), würde es allerdings erweitern auf „Textproduktion und Tanz“ oder „Text und Musik“ oder eben „Text und Rhythmus“. Lyrik wird ja überhaupt erst durch den Rhythmus zur Lyrik, aber auch Prosa muss einen Rhythmus haben, damit sie schön wird. Hast Du da Tricks oder Trainingsmethoden oder Geheimwissen? (Schreibst Du sitzend oder gehst Du beim Dichten auf und ab?)

Nora Gomringer: Ich habe mehrere Monate, beinahe Jahre im anglophonen Raum (in England und in den USA) Theater gespielt und gute Ensembles erlebt. Das war meine Darsteller-Schule. Am wichtigsten ist aber die häusliche Situation gewesen: mit meinem Dichtervater (verdientermaßen in jedem Schulbuch) und meiner germanistischen Mutter. Ich habe 7 Brüder, die alle sehr andere Wege eingeschlagen haben, aber ich bin bei der Literatur geblieben – auch weil sie mir das Studium finanziert hat, so basal das klingt. Ich habe eine klassische Gesangsausbildung, habe meine Stimme nach dem 11. September samt Stimmlage aber verloren. Das musste alles erst langsam wieder erstehen. Meine Zeit in New York war wichtig, aber eben auch verheerend.

Ich habe ein gutes Rhythmus-Gefühl, kann gut tanzen und tanze gerne. (Zu meiner Ausbildung in England gehörte auch viel Tanzunterricht.) Aber vor allem habe ich ein passables Ohr, das mir hilft, gut hinzuhören und auch zu imitieren. Ich spreche ein paar Sprachen, ohne sie zu sprechen … so in der Art.

Keine Tricks, was das Vortragen angeht. Da muss jeder für sich eine passende Art und Weise erarbeiten, nur dann ist es authentisch. Ich schreibe über meinen Laptop gekrümmt, meistens mit dem Fernseher auf zu laut (sagt mein Mann). Das geht alles, weil viel von meinem Schreiben aus der Hörerinnerung kommt – die kann einen überall einholen.

Nora Gomringer meets Wortart Ensemble (© Alexander Deck/Dresden)

Nora Gomringer meets Wortart Ensemble (© Alexander Deck/Dresden)

IB: Ach, das ist interessant – Geld ist ja ein Thema, über das „man“ traditionell nicht spricht, ich finde aber, durch Herumgeheimnissen verleiht man ihm eine Wichtigkeit, die es gar nicht haben sollte. Du kannst aber natürlich trotzdem einfach nichts dazu sagen (dann streiche ich die Frage einfach). Aber wie hast Du es angestellt, mit Literatur Dein Studium zu finanzieren? Die meisten Autoren, und vor allem die Lyriker, hangeln sich ja mehr schlecht als recht mit Stipendien durch oder haben sogenannte Brotjobs.
Und die nächste Frage gleich hinterher: Ich dachte, man spricht die Kinder bekannter Persönlichkeiten besser nicht auf ihre Eltern an, weil sie bestimmt nicht immer nur „die Tochter von“ sein wollen. Aber wenn Du selbst von Deinem Vater anfängst: Hat Dir sein Name Türen geöffnet? Konntest Du unter anderem deswegen von der Literatur leben, weil Du einen großen Namen hast? Oder nervt es manchmal, immer auf den berühmten Vater angesprochen zu werden? (Auch das ist eigentlich eine intime Frage, die Du nicht beantworten musst, logisch. Ich will Dir nicht zu nahe treten.)

NG: Ab meinem 16. Lebensjahr habe ich als Rezitatorin Geld verdient, also mit Lyrik von anderen, meist toten Dichtern. Ich bin mit einem Heine-Abend, einem Kaleko-Abend und einer Mischung anderer Inhalte buchbar gewesen und war dann ziemlich schnell bekannt dafür … zumindest so sehr, dass ich eine recht hohe Gage verlangen konnte und davon eben gut über die Runden kam. Ich habe viele Brüder; meine Brüder haben sich eher von ihrem Vater entfernt, WEIL er diesen Namen hatte. Für mich hat er kaum Türen geöffnet, a) weil viele von vornherein dachten, mein Vater wäre bereits verstorben und b) weil seine Fans mich eher wahnsinnig konservativ in der Form finden. Oft gab und gibt es aber sehr schöne Begegnungen durch den Namen. In Russland, China, den USA, überall wo ich toure, kommen Menschen, die mir erzählen, wie viel ihnen die Arbeit meines Vaters bedeutet. Das macht mich froh und stolz. Kein Problem also, das mit Tochter und Vater. Wir treten auch gerne (und gut ;-)) miteinander auf (Bericht in der Schweizer „Tageswoche“).

Und mittlerweile wird auch er angesprochen, ob er nicht der „Vater der Gomringer“ wäre und das ist dann ausgleichende Gerechtigkeit.

Mit meinen eigenen Texten bin ab 2002 aufgetreten und habe mir durch z. T. 272 Reisetage im Jahr für Auftritte viel Arbeit beschafft, die natürlich auch Gelder eingespielt hat. Ich halte es für sehr wichtig, über Geld zu sprechen, weil ich immer wieder merke, wie drückend und wichtig es ist, seinen Preis nennen zu können in der Kunst. Als Direktorin führe ich ständig solche Gespräche mit unseren Stipendiaten.

Nochmal zu meinem Vater. Er ist ein gut gelaunter, sehr moderner, was uns Kinder angeht angenehm „egaler“ Mensch. Er ist selbst noch komplett arbeitstätig, schreibt jeden Tag und veröffentlicht regelmäßig. Oft hält er vier bis fünf Vorträge im Monat an verschiedenen Orten in Europa. Meinem Vater ist das, was ich literarisch tue, eher suspekt, aber er akzeptiert es und manches gefällt ihm auch. Ich bin aber eben keine konkrete Dichterin, aber durchaus eine konkrete Sprecherin … das liegt ihm aber fern. Dass ich einen festen Posten habe und eine bayerische Dienststelle leite, das beeindruckt ihn im Ganzen sicher mehr. Und wenn ich dann wieder „nur“ Autorin bin, dann werden wir sehen, ob ihm das gefallen kann.

Nora und Eugen Gomringer, Vater der konkreten Poesie (© Malte Göbel)

Nora und Eugen Gomringer, Vater der konkreten Poesie (© Malte Göbel)

IB: Du hast erzählt, dass du noch nie vom Wortart Ensemble gehört hattest, als sie dich anschrieben und deine Texte vertonen wollten. Wie fühlt sich so was an – freust du dich nur, oder hast du auch Angst, dass es furchtbar schiefgeht und dir gar nicht gefällt oder nicht „passt“? Gerade weil Du selbst so musikalisch bist und sicher deine eigenen Vorstellungen hast. Was dabei rauskam, finde ich sensationell, aber es ist ja bestimmt auch *anders* (nicht schlechter), als Du es dir erst mal vorgestellt hast. Oder? Was ist das für ein Gefühl? Bekommt man dadurch auch ein neues Verhältnis zu den eigenen Texten?

NG: Nun. Die ersten Vertonungen und Fassungen für Theater und Schauspiel kamen schon recht früh, insofern ist es nicht mehr so arg „neu“, aber natürlich immer spannend, wenn ein anderer Künstler an mich herantritt und dem Verlag mitteilt, dass er eine Bearbeitung plant. Dann wird ein Vertrag gemacht, es fließt ein bisschen Geld und der andere Künstler hat dann die Freiheit und die Bürde. 2012 saß ich mit schmerzverzerrtem Gesicht in der Veranstaltung einer experimentellen Sängerin, die einen Text mit viel Elektronik bearbeitet hat. Mit hat’s gar nicht gefallen und doch hat es den Zuhörern wohl generell gefallen. Da darf man dann auch nicht zu kleinlich und ich-bezogen sein, glaube ich. Man ist eben letztlich auch nur einer von vielen und der eigene Geschmack kann nicht Maßstab sein.

Als WAE auf mich zukam, war ich sofort begeistert, weil die 5 schon lange professionell arbeiten und ich die Chance gesehen habe, moderne Text-Rezeption und -Rezitation wieder ein bisschen aufleben zu lassen. Lyrik ist auch Gebrauchstextgut und das dürfen die Leute ruhig mutiger annehmen und nicht alles auf dem Sockel belassen.

IB: Das ist ja eine wundervoll großzügige Einstellung zu Deinen eigenen Texten. Ich glaube, es gibt genügend Künstler, die nicht so gut loslassen können. Kannst Du das auch bei Übersetzungen? Eine Vertonung ist ja eigentlich auch eine Art „Übersetzung“ – wie ist es mit Übersetzungen in Sprachen, die Du nicht oder nicht sehr sicher beherrschst?

NG: Übersetzungen in andere Sprachen sind ein großes Thema. Und in der Tat sorgen die oft für große Verstörung. Ich wurde offiziell (also mit ganzen Werken) ins Schwedische und Französische übersetzt, gerade in Arbeit sind Spanisches Spanisch, Amerikanisches Englisch und Belarussisch. Sammlungen von Texten gibt es ins Chinesische, Bretonische, Norwegische, Polnische, Russische, Holländische, Türkische und zypriotische Griechisch u. a. In der Regel mache ich sehr gute Erfahrungen, wenn der Kontakt mit den Übersetzern eng ist und nachgefragt wird. Wenn nichts gefragt wird, bange ich immer und kriege die Rechnung dann quasi hinterher, wenn das Buch gemacht und das Publikum und die Pressereaktionen seltsam sind. So alles schon vorgekommen. Ist immer ein großes Glücksspiel.

Meine Schwedin, selbst Lyrikerin, ist grandios!

IB: Das sind jetzt schon fast sieben Seiten, ich fürchte, wir müssen Schluss machen, obwohl mich noch so viel interessiert hätte – wie das mit dem 11. September war, wie die Zusammenarbeit mit deinen Übersetzerinnen abläuft, und über das neue Buch, „Monster Poems“, das gerade erschienen ist, haben wir gar nicht gesprochen. Willst Du noch irgendwas loswerden? Die eine, große universale Grundwahrheit über das Schreiben oder so?

Nora-Grominger_Monster_PoemsNG: Wenn Du nach der großen Weisheit am Ende fragst, muss ich wohl sagen, dass die Literatur ein wunderbares, grausames professionelles Feld ist, das keine Trennung in Leben und Arbeit kennt. Wer sich die Liebe und Achtung vor Texten und das Verständnis für ihre Wichtigkeit erhält, wird ein glückliches Wesen, weil er eine lebenslange Beschäftigung gefunden hat, die ihn trösten, erfüllen und anregen wird, solange sein Geist dies zulässt.

Ich hoffe, das ist nicht zu heilig. Wahr ist es.

IB: Das ist überhaupt nicht zu heilig. Ganz vielen Dank!

Nora Gomringers aktueller Gedichtband „Monster Poems“ ist soeben bei Voland und Quist erschienen. Kein dickes Buch, eher ein Heft mit 25 Gedichten, man meint zunächst, eine Literaturzeitschrift in der Hand zu halten, aber wenn man es aufschlägt, ist es von Reimar Limmer ganz und gar wundervoll illustriert und riecht nach Druckfarbe. Auch hier haben wir also ein großartiges Zusammenspiel mit einer zweiten Kunst, diesmal der Illustration. Inhaltlich geht es um Monster, was etwas düsterer ist als die Gesamtstimmung bei der Lesung. Mit dem Buch kommt eine Audio-CD, man kann sich die Gedichte also wunderbar von Nora Gomringer vortragen lassen und dazu die Bilder von Reimar Limmer betrachten.

Übrigens: am 23. März ist Indiebookday. Die Idee ist, dass möglichst viele Leute in die Buchhandlungen gehen und Bücher aus unabhängigen Kleinverlagen kaufen. Ich hätte da einen Vorschlag.

Nora Gomringer: Monster Poems. Gedichtband. Voland und Quist 12013. Buch + Audio-CD mit Illustrationen von Reimar Limmer. 64 Seiten. 17,90 Euro. Verlagsinformationen zum Buch mit Lese- und Hörprobe. Zur Homepage von Nora Gomringer. Porträtfoto: Nora Gomringer in Island © Nora Gomringer.

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