Geschrieben am 3. Juni 2017 von für Litmag, Reise Special 2017

Reise Special 2017: Martin Spieß: Und bis es so weit ist, gibt es Eiscreme

s-l225Furioser Roadtrip durch das nukleare Wendland

Das Wendland im November. Kalt. Grau. Kahl. Keine Reise wert. Es sei denn, man erwischt den Tag der Castor-Transporte und mischt sich unter die Demonstranten. Was der Erzähler und sein Freund Jäger tun. Randale machen oder gar ein politisches Gewissen treiben die beiden aber nicht an. Sie sind Schriftsteller, der eine mehr, der andere weniger. Und der festen Überzeugung, dass die Hauptsache im Leben ist: Abenteuer erleben und daraus Geschichten machen.

Ausgerechnet das Wendland soll eine Reise wert sein? Für die begeisterten Kiffer, deren Leben in Berlin eine ewige Schleife zwischen Fernsehen, Videospielen und Gelegenheitsjobs ist, schon. Sie ziehen los, hoffen auf schöne Demonstrantinnen, darauf, der Polizei eins auswischen zu können wie schon als Kinder im Kiez, wenn sie vollgedröhnt wegen blöder Sprüche mit auf die Wache mussten. Jäger und sein Kumpan wären nicht Jäger und Kumpan, wenn die beiden Nerds nicht auf die aberwitzige Idee kämen, sich als Journalisten des Guardian auszugeben. Presseausweise zu fälschen und sich dort wie die Hauptdarsteller der Serie „Dr. Who“ Matt Smith und David Tennant zu nennen. Sie umgehen tatsächlich jede Polizeikontrolle in den Dörfern. Und treffen dort auf schräge Vögel, die sie mit ausreichend Dope für den Weitermarsch, mit Kuchen und dem Besuch des ehemaligen Wachturmes der Briten Richtung DDR verwöhnen.

spieß_eiscreme_240Martin Spieß, geboren in Dannenberg (Elbe) nimmt den Leser mit in ein Stück Deutschland, das viele sicher nur von den Anti-Atomkraft-Demos kennen und das sie mit Gorleben und Endlager verbinden. Dass dort Menschen ein ganz normales Leben leben, Kinder erziehen, Häuser bauen – die Helden sind baff. Auch über die Gastfreundschaft der Leute. Und die Natur. Selbst im November. Bekifft kann man da im Nebelgrau schon vor gesundem Gelb nur so strotzende Rapsfelder und knallblaue Kornblumen sehen. Gesunde Wälder. Malerische kleine Dörfer. Menschen, die auf den Elbdeichen radeln. Da kommt der Hauptfigur sogar die Idee, sich genau hier niederzulassen und der hektischen Großstadt zu entfliehen.

Die Story liest sich wie ein einziger Rausch. Rasant und mit Wortwitz erzählt. Hervorragend konstruiert und technisch einwandfrei. Und mit wunderbaren Sätzen, denen man anmerkt, dass hier einer schreibt, der sein Handwerk von der Pike auf gelernt hat. Sein Protagonist stellt fest: „Man kann sich ein ganzes Leben lang einreden, dass man etwas nur um einer Sache Willen getan hat, aber das ist Bullshit. Es geht immer auch darum, davon erzählen zu können.“ Spieß jagt seine Anti-Helden von einem Platz zum nächsten, von der großen Urlaubsliebe zum Geschichtsunterricht in der Schule und zur Wikingerbestattung der ersten Wasserpfeife am Spreekanal. Und kehrt zwischendurch immer wieder im Wendland ein.

Die Geschichte könnte überall spielen. Dass Spieß sich ausgerechnet eine der unbekanntesten Regionen Deutschlands ausgesucht hat, macht den Lesespaß gleich noch besser. Man wünscht dem Roman genau so viele Leser, wie Gorleben und Co. Touristen, die nicht nur ein Mal im Jahr kommen, sich auf den eiskalten Asphalt hocken und von der Polizei wegtragen lassen. Und man wünscht sich noch mehr Bücher von Martin Spieß mit Sätzen wie diesen oft wiederholten: „Um nichts anderes geht es doch auch im Leben“. Oder: „Es geht nicht darum, immer glücklich zu sein. Das kann man eh nicht forcieren. Es geht darum, Erfahrungen zu machen. So viel gute Zeit zu haben, wie möglich. Und bei den Erinnerungen daran nicht sentimental zu werden.“ Das geht in Berlin oder Hamburg genauso gut, wie in Klein Gusborn oder Sant Pere Pescador.

Silke Porath
Silke Porath schreibt u.a. Unterhaltungsromane und Regionalkrimis. Sie ist Mitglied bei 42er Autoren e.V. www.silke-porath.de

Martin Spieß: Und bis es so weit ist, gibt es Eiscreme. CulturBooks, 2017. 250 Seiten. €15

http://www.martinspiess.com

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