Geschrieben am 21. Juli 2018 von für Litmag, ReiseMag 2018, Specials

Reiselust & Primärtext: Die Reise als…

N.N. , Leuchtfeueranlage Westerheversand, Westerhever: Ansicht, Schnitte 1:50. Lithographie auf Karton, 100,6 x 65,3 cm (inkl. Scanrand). Architekturmuseum der Technischen Universit‰t Berlin Inv. Nr. BZ-I 22,060.
Die Reise als Aufbruch zu sich selbst, Die Reise als Heimkehr in Wehmut und Zorn, Die Reise als Exkursion ins Ungewisse, Die Reise als geplante Unternehmung.


Primärtexte von
Georg Büchner, Heinrich Heine, Joseph Conrad, Moritz Busch –vorgeschlagen von Frank Goehre, Krimi- und Drehbuchautor und regelmäßiger Beitragender bei Culturmag. Für unser ReiseMag schrieb Goehre über Raymond Roussell. Mehr zu Frank Goehre findet sich auf seiner Homepage.

 

Georg Büchner, 1813 – 1837

Die Reise als Aufbruch zu sich selbst

Den 20. ging Lenz durch´s Gebirg. Die Gipfel und hohen Bergflächen im Schnee, die Täler hinunter graues Gestein, grüne Flächen, Felsen und Tannen. Es war naßkalt, das Wasser rieselte die Felsen hinunter und sprang über den Weg. Die Äste der Tannen hingen schwer herab in die feuchte Luft. Am Himmel zogen graue Wolken, aber Alles so dicht, und dann dampfte der Nebel herauf und strich schwer und feucht durch das Gesträuch, so schwer, so plump. Er ging gleichgültig weiter, es lag ihm nichts am Weg, bald auf- bald abwärts. Müdigkeit spürte er keine, nur war es ihm manchmal unangenehm, dass er nicht auf dem Kopf gehn konnte. Anfangs drängte es ihm in der Brust, wenn das Gestein so wegsprang, der graue Wald sich unter ihm schüttelte, und der Nebel die Formen bald verschlang, bald die gewaltigen Glieder halb enthüllte; es drängte in ihm, er suchte nach etwas, wie nach verlornen Träumen, aber er fand nichts. Es war ihm alles so klein, so nahe, so naß, er hätte die Erde hinter den Ofen setzen mögen, er begriff nicht, dass er so viel Zeit brauchte, um einen Abhang hinunter zu klimmen, einen fernen Punkt zu erreichen; er meinte, es müsse Alles mit ein Paar Schritten ausmessen können.

aus: Lenz. Ersterscheinung postum 1839 in Telegraph für Deutschland.

 

Heinrich Heine, 1797 – 1856

Die Reise als Heimkehr mit Wehmut und Zorn

Im traurigen Monat November wars,
die Tage wurden trüber,
der Wind riss von den Bäumen das Laub,
da reist ich nach Deutschland hinüber.

Und als ich an die Grenze kam,
da fühlt ich ein stärkeres Klopfen
in meiner Brust, ich glaub sogar
die Augen begannen zu tropfen.

Und als ich die deutsche Sprache vernahm,
da ward mir seltsam zumute;
ich meinte nichts anders, als ob das Herz
recht angenehm verblute.

Ein kleines Harfenmädchen sang,
sie sang mit wahrem Gefühle
und falscher Stimme, doch ward ich sehr
gerühret von ihrem Spiele.

Sie sang von Liebe und Liebesgram,
Aufopferung und Wiederfinden
dort oben, in jener besseren Welt,
wo alle Leiden schwinden.

Sie sang vom irdischen Jammertal,
von Freuden, die bald zerronnen,
vom Jenseits, wo die Seele schwelgt
verklärt in ewgen Wonnen.

Sie sang das alte Entsagungslied,
das Eiapopeia vom Himmel,
womit man einlullt, wenn es greint,
das Volk, den großen Lümmel.

Ich kenne die Weise, ich kenne den Text,
ich kenn auch die Herren Verfasser;
ich weiß, sie tranken heimlich Wein
und predigten öffentlich Wasser.

Ein neues Lied, ein besseres Lied,
o Freunde, will ich euch dichten!
Wir wollen hier auf Erden schon
das Himmelreich errichten.

Wir wollen auf Erden glücklich sein,
und wollen nicht mehr darben;
verschlemmen soll nicht der faule Bauch
was fleißige Hände erwarben.

Es wächst hienieden Brot genug
für alle Menschkinder,
auch Rosen und Myrten, Schönheit und Lust,
und Zuckererbsen nicht minder.

Ja, Zuckererbsen für jedermann,
sobald die Schoten platzen!
Den Himmel überlassen wir
den Engeln und den Spatzen.

aus: Deutschland, ein Wintermärchen. Ersterscheinung Hamburg 1844.

 

Joseph Conrad, 1857 – 1924

Die Reise als Exkursion ins Ungewisse

The Nellie, a cruising yawl, swung to her anchor without a flutter of the sails, and was at rest. The flood had made, the wind was nearly calm, and being bound down the river, the only thing for it was to come to and wait for the turn of the tide.

The sea-reach of the Thames stretched before us like the beginning of an interminable waterway. In the offing the sea and the sky were welded together without a joint, and in the luminous space the tanned sails of the barges drifting up with the tide seemed to stand still in red clusters of canvas sharply peaked, with gleams of varnished sprits. A haze rested on the low shores that ran out to sea in vanishing flatness. The air was dark above Gravesend, and farther back still seemed condensed into a mournful gloom, brooding motionless over the biggest, and the greatest, town on earth.

aus: Heart of Darkness. Ersterscheinung: 1899 serial, Blackwood Magazine.

 

Moritz Busch, 1821 – 1899

Die Reise als geplante Unternehmung

Eine Reise in den Orient erfordert, wofern sie sich nicht auf den Besuch der Küstenplätze beschränkt, vor Allem einen gesunden Körper, Ausdauer und Ertragen von Beschwerden und Entbehrungen und einen Geist, der auf eine Weile, je nach Befinden auf lange Zeit absehen kann von den Freuden und Annehmlichkeiten des civilisierten Lebens. Nach den Küstenorten und nach einigen Theilen Aegyptens können auch Frauen gelangen, ohne sich zu viel zumuthen zu müssen. Bis Triest führt Post und Eisenbahn, und dort nimmt sie ein bequem eingerichteter Dampfer auf, um sie bis hart vor die Thore Alexandriens, Athens, Smyrnas oder Konstantinopels zu tragen. In Betreff anderer Punkte genüge es vorläufig zu bemerken, dass man in Griechenland und der europäischen und asiatischen Türkei nur zu Pferde reisen kann, dass man den grössten Theil des Jahres einer glühenden Sonne ausgesetzt ist, dass man im Innnern des Landes oft die einfachsten Bequemlichkeiten vermisst, und dass man das Mangelnde nur mit beträchtlichen Kosten mit sich führen kann. Unter solchen Umständen zu reisen ist nur den Kühnen und Starken vergönnt, oder dem, welchem ein fürstliches Vermögen einen Theil der Schwierigkeiten ebnet.

Im Uebrigen bedarf es keines ungewöhnlichen Muthes, um die interessanten Punkte im Innern zu besuchen. Man hört Mancherlei von Raubüberfällen, wird aber, wenn man die im Folgenden angegebenen Vorsichtsregeln befolgen will, selbst in den berüchtigtsten Gegenden kaum einen Räuber zu Gesicht bekommen. Ein Orientale reist in der Regel mit seinem halben Vermögen im Gürtel, da er Anweisungen und Wechsel nicht kennt, und seine Waffen und Kleider sind gewöhnlich so kostbar, dass es sich lohnt, ihn zu berauben. Der Franke dagegen lässt bei Ausflügen nach gefahrvollen Gegenden (wirklich gefahrvoll ist nur die Nachbarschaft von Smyrna und ein Theil Palästinas und Syriens), wenn er sich nicht von einer Escorte begleiten lassen und sich keiner Karavane anschließen kann, sein Geld bis auf das Notwendigste in Sicherheit beim letzten Consul seiner Nation zurück, und was er sonst mit sich führt, hat für den oreientalischen Wegelagerer keinen oder nur geringen Werth.

aus: Aegypten. Reisehandbuch für Aegypten. Mit sechzehn Illustrationen, zwei Karten und einem Plane. Erstveröffentlichung 1870.

 

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