Geschrieben am 15. Februar 2018 von für Crimemag, CrimeMag Februar 2018, Litmag

Roman: Szcepan Twardoch: Der Boxer

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Von Karsten Herrmann

Der Pole Szcepan Twardoch ist ein außergewöhnlicher Autor mit neo-expressionistischer Wucht und avancierten Romankompositionen. Mit dem Monumentalroman „Morphin“, der in Warschau spielt und die morbid-exzessive Atmosphäre vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges einfing, gelang ihm 2012 der internationale Durchbruch. Mit seinem neuen Roman „Der Boxer“ kehrt er nach seinem erdverbundenen Schlesien-Roman „Drach“ nun nach Warschau und in die Zeit der 1930er Jahre zurück.

Erzählt wird „Der Boxer“ im Rückblick von Mojzesz Bernstein, dessen Vater von dem Boxer und Mafiosi Jakub Shapiro getötet wurde: „Ich […] bin siebzehn Jahre alt und bin kein Mensch, ich bin ein Nichts, es gibt mich nicht“. Doch dann nimmt Shapiro den jungen und bettelarmen Bernstein als Wiedergutmachung unter seine Fittiche und führt ihn in die Welt des Boxens und in die lukrativen Geschäfte des Unterweltpaten und Sozialisten  Kaplica ein. Warschau ist schon zu dieser Zeit eine zweigeteilte Stadt: Auf der einen Seite die christlichen Polen,  die die Macht und das Geld haben, auf der anderen Seite die Juden, die in den Armutsviertel leben und sich wie Shapiro nur durch Sport, Gewalt oder Verbrechen Ansehen und Geld verschaffen können. Im Aufstieg sind in Warschau zu dieser Zeit die Nationalisten und Falangisten, die an einem Staatsstreich arbeiten und die polnischen Juden nach Palästina vertreiben oder in Konzentrationslagern einsperren wollen. Hier leuchtet schon der spätere nationalsozialistische Genozid nach dem Einmarsch der Deutschen auf.

Auf faszinierende Weise verbindet Szcepan Twardoch in „Der Boxer“ den zeitgeschichtlichen Hintergrund und jüdische Lebensweise mit der Halb- und Unterwelt des Boxens und des Verbrechens – ein Leben in Saus und Braus mit viel Wodka, Kokain, Prostituierten, feinen Anzügen, schicken Autos und natürlich jeder Menge Gewalt. Schließlich will Jakub Shapiro, der trotz seiner Brutalität als Sympathieträger dargestellt wird,  aus dieser Welt ausbrechen und mit seiner Frau und seinem Sohn nach Palästina auswandern. Doch als der Pate Kaplica auf Betreiben der Nationalisten und Faschisten inhaftiert wird und der Staatsstreich bevor steht, eskaliert die Gewalt und das Rad des Todes dreht sich immer unausweichlicher.

Wie schon in „Morphin“ erzählt Twardoch mit düsterer neo-expressionistischer Wucht und höchster Sinnlichkeit. Und zunehmend stellt er dabei die Verlässlichkeit seines Erzählers Mojzesz Bernstein in Frage, der die Geschichte scheinbar viele Jahre später in Tel Aviv auf einer „IBM Selectra II“ niederschreibt. Und so lässt er das Buch dann mit einer tragischen Überraschung enden, die noch einmal die Frage nach Schicksal, Schuld und Sühne in ein neues Licht stellt.

Szcepan Twardoch: Der Boxer. Aus dem Polnischen von Olaf Kühl. Rowohlt Berlin 2018, 464 Seiten, 22,- Euro

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