Indoorspielplatz
– Isabel Bogdan begibt sich für CULTurMAG ins Handgemenge mit den Dingen und probiert skurrile, abseitige und ganz normale Sachen aus. Diesmal war sie spielen.
Das war eins der besten Geschenke des Jahres, zumindest hat es die größte Vorfreude ausgelöst: ein Besuch beim Ü-18-Abend im Indoorspielplatz Rabatzz! Tagsüber toben dort Kinder, einmal im Monat ist abends für Erwachsene geöffnet. Das ist unter anderem deswegen eine tolle Sache, weil ich es dem Weltgeist ein bisschen übelnehme, dass er die Hüpfburgen erst erfunden hat, als ich schon zu groß dafür war und nicht mehr reindurfte. Aber jetzt: Hüpfburg! Rutschen! Trampolin! Klettern! Jippie!
Um halb acht geht es los. Als wir um Viertel nach sieben ankommen, steht bereits eine erstaunliche Schlange vor der Tür. Die wollen alle spielen? Wahnsinn. Wir heben das Durchschnittsalter sichtbar, die meisten anderen sind schätzungsweise Mitte zwanzig.
Viele scheinen öfter herzukommen, sie werfen im Gehen ihre Schuhe ab, stellen sie in irgendein Regal und steuern dann zielstrebig auf bestimmte Spielgeräte zu. Wir hingegen sind alt und umständlich, wir setzen uns hin, um unsere Schuhe auszuziehen, stellen fest, dass wir für ein Schließfach am Eingang einen Schlüssel hätten holen müssen usw. Dann müssen wir uns erst mal orientieren.
Ein Seilgarten zum Klettern auf drei Etagen. Unten kann man sich einfach so durchhangeln, oben wird man mit Gurtzeug gesichert, und es ist noch nicht geöffnet. Als nächstes kommen wir an der Legoecke vorbei. Dort sitzen bereits drei Männer und bauen hochkonzentriert etwas aus überdimensionalen Legos aus einem weichen Material. Ich hätte gedacht, das wäre etwas für später, wenn man sich müdegetobt hat, aber diese Männer sind gerade erst angekommen und schnurstracks hierhergegangen. Um zu bauen. Mit weichen Riesenlegos.
Dann die Trampoline. Ich kann mich nicht beherrschen, eins ist noch frei, ich kann jetzt nicht tun, was meine Mutter mir beigebracht hat, nämlich: erst mal alles angucken, dann entscheiden, was man machen möchte. Meine Mutter ist immer so grauenhaft vernünftig, ich jetzt nicht, ich will jetzt Trampolinspringen, und zwar sofort. Man spielt ja im Allgemeinen viel zu wenig, man hüpft und rutscht zu wenig, man tobt zu wenig, in so einem normalen Erwachsenenleben. Wenn doch, dann hat man sich als Ausrede wahrscheinlich Kinder zu Hilfe genommen und tut so, als würde man nur ihnen zuliebe mithüpfen oder mitrutschen.
Aber in Wahrheit macht Hüpfen einfach Spaß. Alle Trampoline sind besetzt, neben mir schlägt einer Salti, vorwärts, rückwärts, mehrfach hintereinander mit nur einmal Aufkommen dazwischen, sehr beeindruckend. Das würde ich auch gern machen, aber ich traue mich nicht. Aber woah, macht das Spaß! Die anderen warten, ich springe nicht allzu lange auf dem Trampolin, und ehrlich gesagt ist es auch anstrengend.
Die Musik wird immer lauter. Stumpfestmöglicher Kirmestechno, wir müssen uns schon anschreien, um uns zu verständigen, das nervt.
Schräg gegenüber ist die Rutsche. Die Rutsche. Deutschlands steilste Rutsche. Die Doppel-Freifall-Rutsche. Eine ist 5,30 m hoch, die andere 7,30 m. Verdammt hoch. Und verdammt steil. Wir gucken eine Weile zu. Erwachsene Menschen kommen in einem Affentempo da runtergesaust, sie kreischen und donnern mit kaum gebremstem Schwung unten vor die Bande. Dann sagen sie „uiuiui“ oder so was und gehen noch mal hoch. Ich weiß nicht, soll ich mich das trauen? Ich meine – Freifall-Rutsche, echt? Das ist doch Wahnsinn und ich keine 20 mehr.
Gerd traut sich. Die kleine. Nur 5,30 m. Nur. Er kommt angeschossen und sagt, das sei schon ganz schön, also, puh. Aber kann man machen. Aber hui.
Wir gehen erst mal weiter. Da ist sie! Die Hüpfburg! Nichts wie rein! Es ist noch relativ leer, wir springen herum, es ist erstaunlich anstrengend. Zumal ich ja gerade erst auf dem Trampolin war. In der Hüpfburg wachsen dicke Würste aus dem Boden nach oben, gegen die man sich werfen kann. Wer gerade auf der anderen Seite dahintersteht, fällt halt um, aber macht nichts, ist ja alles weich.
Wir gehen weiter zur anderen Rutsche, der langen Wellenrutsche. Sieht super aus, wir nehmen uns Rutschmatten und steigen die Treppe hoch und rutschen alle nebeneinander her auf den langen Wellen nach unten. Das macht Spaß! Man rutscht ja überhaupt viel zu wenig. In Oldenburg, hörte ich, gibt es ein Kino, in dem man vom obersten Stockwerk aus nach unten rutschen kann. Hervorragende Idee, wieso gibt es so was nicht viel öfter? Ich möchte eine Bürgerinitiative für mehr Rutschen außerhalb von Spielplätzen gründen. Treppen sind doch langweilig, man könnte viel mehr mit Rutschen erledigen. In Kaufhäusern und Einkaufszentren zum Beispiel, Rolltreppe rauf, Rutsche runter. Wär ich sofort dafür.
Wir rutschen noch mal und noch mal, eine zwar recht lange und wellige, aber insgesamt doch nicht so irre spektakuläre Rutsche runter, weil es einfach Spaß macht. Alle, die unten ankommen, strahlen.
Und dann, als kleine Pause, ins Bällebad. Auch so was, wo ich noch nie wahr, gab es schon Bällebäder, als ich im Bällebadalter war? Ich kann mich nicht erinnern. Ich kann mich auch nicht erinnern, als Kind mit meinen Eltern bei Ikea gewesen zu sein, aber ich kann mich sowieso immer an wenig erinnern, ich habe das schlechteste Gedächtnis der Welt. Bällebad ist lustig, wir krabbeln darin herum, werfen mit Bällen, werden mit Bällen beworfen und darunter begraben, es ist geradezu gemütlich. Wenn nur diese grässliche Musik nicht so laut bollern würde.
Die Musik wird unterbrochen von der Durchsage, dass der Hochseilgarten jetzt geöffnet würde. Maret und ich flitzen los, unsere Schuhe holen, dann stellen wir uns an. Maret, normalerweise recht unerschrocken, hat ein bisschen Angst und möchte nur auf die mittlere Etage, nicht auf die obere. Aber als wir endlich ein Gurtzeug umhaben, öffnet der nette junge Mann uns die Tür zum oberen Stockwerk, das mittlere ist voll. Ich war schon mal in einem Klettergarten im Wald, mich kann das obere Stockwerk in einer Halle nicht mehr schrecken, ich bin cool.
Außer, als ich auf dem ersten freischwingenden Holzbrett stehe und keine Ahnung habe, wie ich von da aus auf das zweite kommen soll, das ist ja viel zu weit weg. Und das, obwohl ich so groß bin und entsprechend lange Beine habe, wie sollen denn Kinder da rüberkommen? Ich schwinge ein bisschen, greife todesmutig nach dem Seil, an dem das zweite Brett hängt, setze dann auch einen Fuß drauf, hänge halb auf dem einen, halb auf dem anderen Brett … geschafft. Und dann noch eins, und noch eins. Als ich auf der anderen Seite ankomme, steht Maret hinter mir immer noch auf dem ersten Brett. Wie soll das denn gehen?, ruft sie. Meine Beine sind zu kurz, ich komm da nicht rüber! Doch, rufe ich zurück, das ist für Kinder gemacht, die haben noch viel kürzere Beine! Wir klettern noch ein bisschen weiter, halten zwischendrin Ausschau nach den Männern, die irgendwie verschütt gegangen sind, statt uns zu fotografieren, sie sind nirgends zu sehen. Maret ist nicht so richtig glücklich mit der Kletterei, scheint’s, wir halten uns nicht allzu lange dort auf.
Stattdessen gehen wir die Männer suchen, wir haben schon so eine Ahnung … und richtig, sie sitzen im Bistrobereich, der schlappe Haufen. Einer mit kaputtem Arm, zwei einfach insgesamt ziemlich kaputt. Wir trinken ein Bier, dann müssen wir dringend wieder klettern, diesmal im Riesen-Spiel- und Kletterlabyrinth. Wir kriechen durch weichgepolsterte Gänge, es geht rauf und runter, ein Gang ist mit dicken Gymnastikbällen verstopft, durch die man sich durchwurschteln muss, ansonsten muss man robben, kriechen, krabbeln, mal wird es enger, dann wieder sieht man gar nicht, wo und wie es weitergeht, weil es immer um die Ecke geht und etwas die Sicht versperrt. Aber irgendwann finden wir die Rutsche doch, mit der man aus dem Labyrinth wieder rausrutscht. Großer Spaß! Man sollte viel mehr rutschen, aber womöglich wiederhole ich mich.
Wohin man guckt, sieht man strahlende Gesichter. Die Halle ist inzwischen rappelvoll, lauter erwachsene Menschen, manche gar nicht mal mehr so jung, und alle spielen und toben hemmungslos, manche rutschen ein ums andere Mal, andere klettern, hüpfen, bauen, fahren mit Elektroautos, und alle strahlen. Die coolen Jungs, die quietschigen Mädchen, die Tätowierten und Gepiercten, die Langhaarigen, die Braven, die Jungen, die Alten: alle haben einen Riesenspaß und sind offensichtlich glücklich.
Wir stehen eine Weile vor Deutschlands steilster Rutsche und gucken zu. Dann fassen wir uns ein Herz, Maret und ich, und klettern hoch, auf die kleinere, die nur 5,30 m hohe. Ich weiß, ich darf oben nicht lange fackeln, nicht direkt runtergucken und überlegen. Ich muss die Beine über das Brett schwingen und losrutschen, ohne nachzudenken. Dass und wie es geht, habe ich ja jetzt oft genug gesehen. Also los, einen Ruck geben und … KREISCH! Man fällt wirklich, an der Rutsche entlang, dann fängt die Rundung einen auf, und man saust mit einem Affenzahn unten vor die Bande. Huiuiui. Aber geil. Gleich noch mal. Und noch mal. Und noch mal. Man sollte überhaupt mehr rutschen, so im Leben.
Nach drei oder vier Mal trauen wir uns auf die große. Wir wissen ja jetzt, wie es geht, die große ist halt nur noch ein bisschen höher, aber pfft. Stört keinen großen Geist. Beziehungsweise … ups. Lieber nicht runtergucken. Tief Luft holen, und dann das bewährte Prinzip: nicht lang fackeln, Beine über das Brett schwingen und los. KREEEIIIIIISCH! *donner*
Du meine Güte, was war das denn, das war ja noch mal etwas völlig anderes als die kleine. Also, als die kleine steilste Rutsche Deutschlands. Die große hat zwei Meter mehr, aber was für ein Adrenalinstoß! Mein Herz wummert, erstaunlich, was diese läppischen zwei Meter ausmachen. Selten in so kurzer Zeit so viel Adrenalin ausgeschüttet. Wow. Wahrscheinlich sollte man einfach mehr rutschen.
Darauf brauchen wir erst mal noch ein Bier. Die Musik nervt. Die versammelten Männer sind der Meinung, ich müsse Bullenreiten, ich sei schließlich nicht zum Spaß hier, sondern zum Sachenmachen, und da haben sie zweifellos recht. Also kaufe ich einen Chip für einen Euro und stelle mich artig in der Schlange an. Der Bulle sieht toll aus, groß und mit schwarzem Fell bespannt, und das Wackelprogramm geht nicht vollautomatisch, sondern wird von einem schweigsamen Herrn von Hand bedient. Ich steige auf, fühle mich noch einigermaßen cool, aber das Vieh ist ganz schön glatt. Da kann man sich unmöglich mit den Beinen dran festklammern. Und mit der Hand, da mache ich mir nichts vor, ist festhalten sowieso fast unmöglich, denn es gibt keinen Knauf oder so was, sondern nur zwanzig Zentimeter Seil, mit Plastik ummantelt. Keine Chance, sich daran festzuhalten, wenn es ernsthaft ruckelt.
Aber ich habe Glück, nach mir steht niemand mehr in der Schlange, und so lässt der junge Mann am Bedienpult mich eine Weile auf dem Bullen sitzen, stellt offenbar nur sanfte Bewegungen ein, bis er mich schließlich mit Schmackes runterwirft. Zack!, liege ich auf der Matte.
Neben dem Bullenring steht ein Holzpferd. Es tut nichts, nichts daran bewegt sich, es ist einfach ein Pferd aus Holz. Mit Sattel drauf. Man kann sich da einfach draufsetzen. Man kann aber zum Beispiel auch von hinten aufspringen, ein bisschen Anlauf nehmen und dann wie beim Bockspringen die Hände hinten auf den Pferdehintern setzen, sich abdrücken und über die eigenen Hände hinweg auf dem Sattel landen. Der Sattel geht hinten ganz schön hoch, es sieht aus, als könne man sich da schmerzhaft das Schambein anstoßen. Ich traue mich jedenfalls nicht, es zu versuchen.
Maret traut sich. Beim ersten Mal klappt es so mittelprächtig, sie versucht es gleich noch einmal, und da passiert es: sie bekommt die Hände zwischen ihren eigenen Körper und die Sattelrückseite und knallt mit ungebremstem Schwung gegen ihre Hände, beziehungsweise mit den Händen gegen den Sattel. Sah aus, als hätte es wehgetan. Maret steigt vom Pferd, sagt aua, lacht aber noch, guckt auf ihre Hände, wir alle gucken auf ihre Hände und können zugucken, wie sie anschwellen, alle beide. In Sekundenschnelle werden beide Hände dick und bläulich, sehr beeindruckend. Eine Angestellte ist dazugekommen, haben Sie was zum Kühlen, frage ich, Moment, ich hol was, sagt sie und rennt in die eine Richtung davon. Maret und Maximilian gehen in die andere Richtung weg, ich denke, vielleicht haben sie irgendwas im Rucksack. Die beiden haben kleine Kinder, und Eltern haben ja immer alles Mögliche dabei.
Die beiden bleiben verschwunden. Ich gehe mal gucken, wo sie sind, Marets Hände sahen wirklich nicht gut aus. Ich finde sie um die Ecke, an der Kletterwand, Maret liegt auf dem Boden, Maximilian hält ihr die Beine hoch. Die Angestellte kommt mit zwei Coolpacks, wir legen sie Maret auf die Hände. Ob sie einen Krankenwagen rufen soll, fragt die Angestellte. Neinnein, sagen wir, geht schon. Da verdreht Maret die Augen, ihre Hände rutschen irgendwohin, ihr Kopf sackt zur Seite, und sie ist weg. Ohnmächtig. Mit offenen Augen, reglos, nicht mehr ansprechbar, keinerlei Muskelspannung, einfach komplett weg.
Doch, rufen wir der Angestellten hinterher, bitte doch den Krankenwagen! Gleichzeitig schreien wir Maret an, was über die nervtötende Musik hinweg ein wenig albern ist, wir kühlen ihr den Puls, wir rufen, Maret, wach auf! Maret! Sie bleibt weg. In Filmen werden Leute in solchen Fällen kräftig geohrfeigt, wir trauen uns das nicht, wir kühlen und schreien sie an und sind ansonsten so hilflos, wie man es in solchen Situationen eben ist. Nach einer gefühlten Ewigkeit bewegt sie sich, blinzelt, dreht den Kopf, wacht auf, und ich weiß nicht, wann ich zuletzt so erleichtert war. War ich ohnmächtig, fragt sie. Kurz drauf treffen auch schon zwei ausgesprochen charmante Sanitäter ein. Sie gucken sich die Hände an, messen Marets Blutdruck, sprechen mit ihr, sprechen mit Maximilian, messen noch mal den Blutdruck, sagen Maret, sie soll die Hände mal bewegen, und ob sie alle Finger einzeln bewegen kann. Alles funktioniert, Gott sei Dank. War nur der Schreck, Maret kennt das schon, Maximilian auch. Die Sanitäter messen schon wieder den Blutdruck, Marets Gesichtsfarbe ist irgendwo in der Nähe von Vanilleeis. Irgendwann setzen sie sie langsam auf und tragen sie dann raus, weg aus dem Kirmestechno und der schlechten Luft. Draußen sieht alles schon ein bisschen besser aus, wir beschließen, dass sie nicht ins Krankenhaus muss, aber auch nicht mit dem Bus nach Hause fahren soll. Wir rufen ein Taxi.
Marets und Maximilians größte Sorge ist jetzt, dass die Söhne nur ja nicht rauskriegen, dass sie auf einem riesigen Indoorspielplatz waren und am Ende ein richtiger Krankenwagen für Mama kam. Dann wären die Jungs sicher ernsthaft beleidigt. Wir anderen sind vor allem beruhigt, dass nichts Schlimmeres passiert ist. Die Sanitäter erzählen übrigens, dass sie immer mal wieder ins Rabatzz gerufen werden, und dann fast immer für erwachsene Männer. Frauen tun sich selten was, Kinder sowieso nicht.
Ein paar Tage später bekommt Maret mit der Post Gutscheine für freien Eintritt bei einem Ü18-Abend im Rabatzz. Also, ich wär wieder dabei. Wir waren nämlich nicht an der Kletterwand, und im Hochseilgarten viel zu kurz, und die Stelzen haben wir auch nicht ausprobiert, ich habe keine Ahnung, ob ich das noch kann. Außerdem hat die Bälledusche irgendwie nicht funktioniert, und überhaupt würde ich mit der ganzen Spielerei noch mal von vorne anfangen und alles noch mal machen. Rutschen auch. Man rutscht ja allgemein viel zu wenig.
Isabel Bogdan
Isabel Bogdan übersetzt seit 10 Jahren Literatur aus dem Englischen (u. a. Jonathan Safran Foer, Miranda July, ZZ Packer, Tamar Yellin, Andrew Taylor). Sie lebt und arbeitet in Hamburg. Zum Blog von Isabel Bogdan.
Zur Homepage von Rabatzz.