Geschrieben am 5. Oktober 2011 von für Litmag, Sachen machen

Sachen machen: Schiffstaufe

Die Stapellauf

– Isabel Bogdan begibt sich für CULTurMAG ins Handgemenge mit den Dingen und probiert skurrile, abseitige und ganz normale Sachen aus. Diesmal tauft sie einen Eisbrecher.

Ob ich mit auf eine Schiffstaufe und einen Stapellauf möchte, fragt meine Kollegin Brigitte am Telefon. Was für eine Frage! Natürlich will ich. Und so fahren wir an einem kühlen und ungemütlichen Dienstagmorgen in aller Herrgottsfrühe zur Hitzler-Werft in Lauenburg an der Elbe. „Alle Herrgottsfrühe“ ist bei Freiberuflern etwas später als bei anderen Leuten, wir finden es echt hart, um kurz vor neun schon im Zug zu sitzen, und fühlen uns sehr tapfer. Aber für eine Schiffstaufe ist uns nichts zu schwer. Dafür stehen wir sogar klaglos am zugigen Bahnhof im zugigen Lüneburg und lassen uns von einem windigen Typen vollquatschen, während wir auf den Bus nach Lauenburg warten. Wieso um alles in der Welt liegt so eine Schiffswerft am Ende derselben?

Ich habe einen schrecklich lästigen Ohrwurm. In Rainald Grebes Lied „Ich bin der Präsident“ geht es um den Alltag eines Bundespräsidenten, es ist ein wundervolles und sehr lustiges Lied, und darin heißt es unter anderem: „Ich werde heute eine Fääähre taufen!“ An mehr Text erinnere ich mich leider nicht. Also singe ich den ganzen Morgen im Kopf vor mich hin: „Ich bin der Präsident. Ich werde heute eine Fääähre taufen!“ Aber erst mal fahren wir Bus.

In Lauenburg liegt die Werft direkt am Bahnhof. Wir marschieren einfach in die Halle hinein, niemand hält uns auf, kein Tor ist verschlossen, die paar Leute, die dort herumlaufen, würdigen uns keines Blickes. Brigitte weiß, wo wir hinmüssen, sie war ein paar Wochen vorher beim „Tag des offenen Industriedenkmals“ schon einmal hier. Daher wusste sie auch, wann der Stapellauf stattfindet und dass man da einfach so zugucken kann. Ich werde heute eine Fääähre taufen!

In Wahrheit werden wir heute keine Fähre taufen, sondern einen Eisbrecher, und zwar auf den Namen „Keiler“. Schiffe sind ja immer weiblich, die Titanic, die Cap San Diego, es stört mich nicht mal bei „die Rickmer Rickmers“. „Die Keiler“ allerdings klingt erst mal komisch, aber man wird sich dran gewöhnen; „die Wildsau“ wäre jedenfalls auch nicht unbedingt besser gewesen.

Wir stehen ein bisschen herum, und wir gehen ein bisschen herum, langsam trudeln ein paar weitere Leute ein, es passiert nicht viel. Aus einem Lautsprecher scheppern Shantys, das ist gut, vielleicht helfen die gegen meinen „ich bin der Präsident“-Ohrwurm. Der oder die Keiler steht am Rand der Halle, daneben befindet sich eine Treppe zu einem offenen Galeriegang etwas höher an der Hallenwand, von dem aus man das Schiff sozusagen auf Augenhöhe betrachten kann, statt nur von unten. Betreten kann man es über eine Gangway auch, darf man aber nicht. Auf dem Schiff sind ein-zwei Leute mit irgendetwas Undurchschaubarem beschäftigt, unten um das Schiff herum ebenfalls, wir warten. Ich werde heute eine Fähre taufen.

Neben der Keiler (hm, na ja, geht so) ist eine etwas erhöhte Bühne aufgebaut, mit einem Mikrofon drauf und hinten hängt an einer Seilkonstruktion die Sektflasche für die Taufe. Sekt gibt es übrigens auch an einem langen Tisch an der Wand, sehr nett. Wir holen uns ein Glas, wir sind der Präsident.

Dann endlich tut sich was: Ein Teil der Keile, mit denen die Keiler (ha!) auf der schrägen Rampe befestigt ist, wird losgeschlagen. Ich würde mich ja nicht darum reißen, unter ein Schiff zu kriechen und mit einem schweren Vorschlaghammer Befestigungen zu lösen, aber ich verstehe auch sowieso nicht genau, wie diese Keile das Schiff gehalten haben, und wovon es jetzt gehalten wird. Es steht mit dem Kiel auf einer etwas breiteren Schiene, ansonsten wird es nur durch seitlich ziemlich weit unten angebrachte, bremsklotzförmige … Dingsbumse gehalten.

Auf der Bühne tut sich jetzt etwas, drei Männer und eine Frau stehen dort, ich wette, die Frau wird heute einen Keiler taufen. Aber zuerst spricht ein distinguierter älterer Herr, Herr Hitzler persönlich, wie sich herausstellt. Dann ein etwas jüngerer Herr vom Wasser- und Schifffahrtsamt Lauenburg.

Wir erfahren, dass die Keiler noch eine ganze Reihe älterer Geschwisterschiffe hat. Sie heißen Wolf, Stier, Widder, Wisent und Büffel, ich habe vergessen, wie viele es insgesamt sind. Das älteste Schiff aus dieser Reihe ist die Elch (doch, geht, die Elch) von 1935. So ein Eisbrecher, sagt der Herr vom WSA, ist ja ein stabiles Schiff und nicht besonders oft im Einsatz, daher könnten Eisbrecher – man beachte die Wortwahl: ein sehr hohes Lebensalter erreichen. Ich finde es irgendwie rührend, wie sehr Schiffe mit menschlichem Vokabular bedacht werden, aber ich habe natürlich auch vollstes Verständnis dafür. Schiffe sind super und müssen geachtet und geehrt werden.

Dann spricht die Frau, nämlich Frau Kalytta vom Lauenburger WSA, aber nicht zu uns, sondern zu dem Schiff: „Ich taufe dich auf den Namen Keiler und wünsche dir allzeit gute Fahrt und immer eine Handbreit Wasser unterm Kiel.“ Ich wäre gern ein bisschen gerührt, aber bevor ich dazu komme, wirft sie die Sektflasche gegen den Bug, sie zersplittert, der Sekt schäumt, ich fotografiere, alle applaudieren, ich schaue auf mein Display, ob ich den Sektflaschenmoment richtig erwischt habe – da sehe ich plötzlich, dass das ganze Schiff rückwärts rutscht. Beinahe lautlos gleitet es auf der Schiene rückwärts ins Wasser, in die Elbe, da, es macht platsch, es spritzt, und schon ist der Keiler im Wasser. Verzeihung, die Keiler. Vor lauter Aufregung doch wieder den falschen Artikel benutzt, wie ging das denn jetzt so schnell? Fast könnte man meinen, Frau Kalytta hätte das 33 Meter lange Schiff mit der Sektflasche die Rampe runtergeschubst. (Die Lösung findet sich in der Bergedorfer Zeitung: Es muss irgendwo eine Hydraulikpresse gegeben haben, mit deren Hilfe die Keiler angeschoben wurde. Haben wir aber nicht gesehen.)

Wenn ich groß bin, möchte ich auch mal ein Schiff taufen. „Ich taufe dich auf den Namen Isabo – oder meinetwegen auch Wildsau – und wünsche Dir allzeit gute Fahrt und immer eine Handbreit Wasser unterm Kiel“, das würde ich noch hinkriegen, außer dass ich immer so schrecklich schnell gerührt bin und womöglich ein Tränchen verdrücken müsste. Die Flasche Sekt jedenfalls würde ich mit größtem Vergnügen zerdeppern. Ich werde heute eine Fähre taufen!

Draußen auf dem Wasser wird die Keiler (na also, geht doch) von zwei Schleppern in Empfang genommen. Der Motor der Keiler wird gar nicht angelassen, die Schlepper ziehen sie in ein kleines Hafenbecken neben der Halle, wo sie vertäut wird. Und dann dürfen wir auch drauf und das Schiff angucken. Erstaunlicherweise interessiert das kaum jemanden; von all den Leuten, die beim Stapellauf dabei waren, kommt kaum einer mit nach draußen und auf das Schiff.

Es gibt auch nicht besonders viel zu sehen. Die Brücke ist ziemlich groß, aber sie ist auch der einzige geschlossene Raum auf dem Schiff, und es ist ja vor allem bei Eiseskälte unterwegs, also muss die Brücke genug Platz für die gesamte Besatzung bieten. Was jetzt möglicherweise großartiger klingt, als es ist, ich habe keine Ahnung, wie groß so eine Besatzung ist. Wahrscheinlich sind sowieso nur zwei oder drei Leute auf so einem Eisbrecher, denn da ist ja nicht viel mehr zu tun, als eben durchs Eis zu fahren und es kaputtzumachen. Außer der Brücke gibt es noch unten den Maschinenraum – 1100 PS, und hey! Alles glänzt! So schön neu! (Peter Fox! Endlich ein neuer Ohrwurm! Die Shantys kamen jedenfalls nicht gegen Rainald Grebe an.) Wenn man was von Motoren verstünde, gäbe es hier bestimmt mächtig was zu sehen.

Bleibt festzuhalten: Es passierte ziemlich viel nichts, oder zumindest nichts Erkennbares, dann gab es ein bisschen kalten Sekt und warme Worte, dann rutschte plötzlich das ganze Schiff ins Wasser. Ansonsten ein ungemütlicher Tag; zugig, kalt und grau. Aber das Inswasserrutschen war super, das sieht man nicht alle Tage, und da ist einem das Wetter doch egal. Wer demnächst ein Schiff zu taufen hat, und sei es auch nur die Meerschweinchen: ich stünde zur Verfügung. Ebenso dafür, beim nächsten Mal mit auf dem rutschenden Schiff zu sein, das wär auch toll.

Isabel Bogdan

Isabel Bogdan übersetzt seit 10 Jahren Literatur aus dem Englischen (u. a. Jonathan Safran Foer, Miranda July, ZZ Packer, Tamar Yellin, Andrew Taylor). Sie lebt und arbeitet in Hamburg. Zum Blog von Isabel Bogdan.

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