Geschrieben am 29. Februar 2012 von für Litmag, Sachen machen

Sachen machen: Segway

Hui!

Isabel Bogdan begibt sich für CULTurMAG ins Handgemenge mit den Dingen und probiert skurrile, abseitige und ganz normale Sachen aus. Diesmal rollert sie mit 9 km/h durch Hamburg.

Um elf Uhr soll es losgehen. Um neun Uhr ist es draußen grau. Um zehn noch grauer, es fängt an zu nieseln. Ich gucke ins Internet, da steht aber, die Tour findet statt. Also packe ich mich warm ein, ziehe meinen Friesennerz an und gehe los. Unterwegs fällt mir ein, dass ich meine Handschuhe vergessen habe. Blöd. Aber der Friesennerz ist bestimmt genau das Richtige. Da bleibt man trocken, und weil man sich auf dem Segway nicht bewegt, dürfte ich dieses eine Mal auch nicht so schwitzen wie sonst in dem Ding.

Als ich aus der U-Bahn steige, hat es sich offenbar eingeregnet. Na, das wird ein Spaß, die Tour soll zwei Stunden dauern. Das mit den Handschuhen ist echt blöd.

Es wird dann aber, stellt sich heraus, weder ein Spaß noch blöd, es wird vielmehr gar nichts. Die Tour findet nicht statt. Glücklicherweise sind auf der Tour am nächsten Tag noch Plätze frei, ich werde umgebucht und gehe erstmal Kaffee trinken.

Am nächsten Morgen stehe ich bei deutlich besserem Wetter wieder bei Mindways Segway Citytour vor der Tür und habe Handschuhe dabei. Außer mir sind noch drei Paare unterschiedlichen Alters da, dazu unsere beiden Guides Karl und Julien. Wir bekommen Helme, Karl erklärt uns ein paar Dinge zur Funktionsweise und zur Sicherheit auf den Segways, und dann dürfen wir üben: einer nach dem anderen darf aufsteigen, ein paar Meter fahren, dann wieder absteigen.

Ich war überzeugt gewesen, dass das Gasgeben und Bremsen so ähnlich funktionieren würde wie beim Mofa (man braucht übrigens auch einen Mofa-Führerschein, um Segway fahren zu dürfen), nämlich über die Handgriffe. Stimmt aber nicht, die Technologie ist viel komplizierter und total faszinierend: Man verlagert nur um eine Winzigkeit das Gewicht nach vorne, um Gas zu geben, und wieder nach hinten, um abzubremsen. Die Informationen werden über Sensoren auf dem Trittbrett elektronisch weiterverarbeitet. Wenn man die Handgriffe loslässt, fällt die ganze Lenksäule übrigens nach vorne, die Dinger können nicht allein stehen.

Ich bin dran mit der Probefahrt. Karl hält den Segway fest, ich steige auf. Karl wackelt ein bisschen daran herum, damit ich ein Gefühl dafür kriege, dann lässt er los. Ich verlagere das Gewicht ein bisschen nach vorne und fahre los. Hui! Und verlagere das Gewicht wieder nach hinten und halte an. Faszinierend. Wirklich. Sehr beeindruckend, wie sensibel das Gerät funktioniert. Und hey, das macht Spaß!

Während wir einer nach dem anderen unter Karls Anleitung die ersten zwei-drei Meter fahren, baut Julien einen kleinen Parcours auf. Wir fahren Slalom zwischen Baustellenhütchen hindurch, kurven hin und zurück, durch enge Stellen und über kleine Hubbel, es funktioniert alles hervorragend und nach erstaunlich kurzer Zeit schon ganz intuitiv. Ich habe das Gefühl, ich brauche nur „losfahren“ zu denken, dann fahre ich los. Und wenn ich „stehenbleiben“ denke, dann bleibe ich stehen.

Zum Schluss bekommen wir noch ein paar klare Ansagen: Wir müssen immer schön hintereinander herfahren, nicht nebeneinander. Und wer sich Karls und Juliens Anweisungen widersetzt, fliegt raus. Dazu sind die Segways zu empfindlich und zu teuer, als dass man da Quatsch machen könnte. Sieht aber nicht aus, als wären wilde Rowdys in unserer Gruppe.

Los geht’s erstmal Richtung Hafencity. Was ich gleich als erstes denke: Wenn man nicht mit einer geführten Tour unterwegs ist, sondern allein, dann weiß man gar nicht, wo man langfahren kann. Wo die Bordsteine so weit abgesenkt sind, dass man drüberfahren kann, und wo man absteigen und den Segway anheben müsste. Wo womöglich Treppen sind.

Die Segways haben Mofa-Kennzeichen und werden auch ansonsten wie Mofas behandelt, müssen also normalerweise auf der Straße fahren. Mindways hat aber eine Sondergenehmigung, mit den Stadtführungsgruppen dürfen sie auf dem Bürgersteig fahren. Unsere Segways sind auf 9 km/h gedrosselt, schneller fahren sie nicht. Juliens und Karls schon, Julien wird manchmal an uns allen vorbeidüsen, um aufzupassen, dass wir alle eine schwierigere Stelle gut überstehen. Ansonsten fährt er als letzter hinten.

Vorne an der Lenksäule sind kleine Lautsprecher installiert, aus denen wir Informationen über die Stadt vorgespielt bekommen, teilweise von passender Musik oder Geräuschen unterlegt. Anfangs finde ich das ein bisschen albern, dann aber irgendwie doch ganz nett. Karl hat vorne an seinem Segway ein Gerät, mit dem er diese Informationen im richtigen Moment einschalten kann; zwischendurch hält er das Band an und erzählt selbst noch etwas. Das gefällt mir, diese Mischung aus aufbereiteten Informationen und persönlicher Note des jeweiligen Guides.

An den Marco-Polo-Terrassen machen wir eine kleine Pause, stellen die Segways ab und vertreten uns kurz die Beine. Wir sind noch nicht mal einen Kilometer gefahren und merken schon, dass uns ein bisschen die Füße kribbeln und wir etwas steif sind; erstens ist es frisch, zweitens stehen wir wohl doch alle noch nicht so ganz entspannt auf den Segways. Wir machen ein paar Fotos, reichen Kameras herum, vor allem machen Karl und Julien Bilder von uns Teilnehmern. Sehr nett. Außerdem kommt die Sonne raus, der Himmel reißt auf und ist plötzlich blau.

Als wir die Hafencity verlassen, können wir wegen einer Baustelle einen Bürgersteig nicht benutzen. Wir müssen auf der Straße fahren und eine größere Straße überqueren – waaaaaaah, mitten auf der Kreuzung kommt mir meine Lenksäule entgegen, ich bin irgendwie zu schnell, Hilfe! Ich versuche, sie wegzudrücken, das ist natürlich kontraproduktiv, weil ich dabei das Gewicht nach vorn verlagere. Karl hatte es uns vorher erklärt: Wenn man zu schnell wird, versucht die Lenksäule sozusagen, einen zurückzuschieben, damit man langsamer fährt. Denn wenn man das Gewicht nach hinten verlagert, wird ja abgebremst. Aber als wir da die große Straße überqueren, habe ich das Gefühl, ich muss dagegenhalten, gegen die aufdringliche Lenksäule, denn sonst schubst sie mich hinten runter. Außerdem will ich natürlich schnell über die Kreuzung. Ich brauche einen Moment, bis mir wieder einfällt, dass ich mich ein bisschen „setzen“ und langsamer fahren soll, und dass die Autos sowieso gerade rot haben und gar nicht vorhatten, mich über den Haufen zu fahren. Wenn ich das Gewicht nach hinten verlagere, falle ich ja auch gar nicht hinten runter, sondern werde langsamer

Puh, das war ein kleiner Schreck. Beim nächsten Mal weiß ich es. Wir lassen den Hafen hinter uns, fahren am Michel vorbei, durch Straßen, in denen ich noch nie war, und sind plötzlich oben an der Jugendherberge. Dort machen wir noch eine kleine Pause an Hamburgs einzigem Weinberg und schauen noch einmal auf den Hafen hinunter. „Schönste Stadt der Welt“ denke ich, wie immer, wenn ich bei schönem Wetter am Hafen bin. Oder bei irgendeinem Wetter. Am Hafen geht mir immer das Herz auf.

Ich hüpfe ein bisschen herum, denn so langsam wird es doch recht kalt. Man bewegt sich ja auf dem Segway nicht, man steht die ganze Zeit still, ich bin sehr froh, dass ich Handschuhe dabei habe. Und dass wir gestern bei Regen und ohne Handschuhe nicht gefahren sind, denn das wäre kein Spaß gewesen.

Im Oktober 2009 fand in der Schweiz das erste Segway-Laubbläser-Polo-Turnier statt. Was für eine sensationell beknackte Idee, da wäre ich gern dabeigewesen. Karl hat davon nichts gehört, erzählt aber, dass Segwaypolo tatsächlich auch dauerhaft gespielt wird. In der Tat gibt es einen entsprechenden Wikipediaeintrag, es gibt den Verein Segwaypolo Deutschland e.V., es gibt Europa- und Weltmeisterschaften. Man staunt. Wie großartig, was es alles gibt! Und wie irre, dass man davon so überhaupt nichts mitbekommt, wenn man sich nicht zufällig auch dafür interessiert.

Ich fühle mich auf meinem Segway inzwischen wie zu Hause. Er scheint wirklich durch Gedankenkraft zu funktionieren: Sobald ich „losfahren“ oder „anhalten“ denke, tut er das. Großartiges Gerät. Nur wird es auf die Dauer dann doch ziemlich kalt. Wir kommen an der Laeiszhalle vorbei, am Casino, machen einen letzten kurzen Stopp an der Binnenalster und fahren dann über den Rathausmarkt zurück zum Segway-Laden. Ich habe dies und das über Hamburg gelernt, bin durch Straßen gefahren, in denen ich noch nie war, und habe zum Abschluss auch noch einen „Segway-Führerschein“ bekommen. Netter Gag. Und eine Menge Spaß hatte ich auch.

Isabel Bogdan

Zum Nachfahren: Segway-Citytour.

Isabel Bogdan übersetzt seit 10 Jahren Literatur aus dem Englischen (u. a. Jonathan Safran Foer, Miranda July, ZZ Packer, Tamar Yellin, Andrew Taylor). Sie lebt und arbeitet in Hamburg. Zum Blog von Isabel Bogdan. „Sachen machen“ erscheint im August 2012 als Buch im Rowohlt Verlag.

Tags : ,