Faszination Darm
– Isabel Bogdan begibt sich für CULTurMAG ins Handgemenge mit den Dingen und probiert skurrile, abseitige und ganz normale Sachen aus. Manchmal macht sie richtig was durch.
Faszination Darm. FASZINATION DARM! Das muss man sich mal, Verzeihung: auf der Zunge zergehen lassen. Fas-zi-na-tion Darm.
FASZINATION DARM (jawohl, in Großbuchstaben) ist, so ist es auf der Webseite zu lesen, Europas größtes Darmmodell. Schon mal ein spitzenmäßiger Superlativ, die Burdastiftung hat also den längsten, dann wäre das auch geklärt. Tatsächlich handelt es sich bei FASZINATION DARM um eine hüpfburgartige, aufblasbare, zwanzig Meter lange, fleischwurstfarbene … nun: Fleischwurst. Das Hüpfburgartige erstreckt sich leider nicht auf den Boden, der ist fest, schade eigentlich, das hätte noch mehr Spaß gemacht. So aber kann man einfach auf festem Boden durchgehen, durch den Darm. Durch zwanzig Meter rosa Fleischwurst-Hüpfburg-Darm. Wenn das nur Europas größter Kunstdarm ist, was mag das größte Darmmodell der Welt sein? Ein dreißig Meter langer Marshmallow in den USA? Eine vierzig Meter lange Glasnudel in China? Ich bin nicht sicher, ob ich es wissen möchte.
Der Darm eines erwachsenen Menschen, das entnehme ich ebenfalls der Webseite, ist acht Meter lang – „Faszinierend, oder?“ Jau. Faszinierend. Wie mich die Webseite überhaupt schwer beeindruckt. Da gibt es beispielsweise ein kleines Video, in dem die aufgepumpte Fleischwurst in einer regennassen, asphaltgrauen Fußgängerzone vor einer Drogeriekettenfiliale liegt, untermalt von „schmissiger“ Musik und mit O-Tönen der Vorsitzenden der Burdastiftung, eines Arztes und einiger Besucher. Eine Besucherin sagt tatsächlich, besonders gut habe ihr die 3-D-Darstellung der Geschwüre gefallen. Kurz glaube ich, die ganze Webseite wäre Satire, denn da stehen im Ernst Sätze wie „Das Darmmodell macht Darmkrebsvorsorge auf sympathische Art anschaulich und erlebbar“. Ich hätte mir eine erlebte Darmkrebsvorsorge ja irgendwie praktischer, konkreter vorgestellt. Nicht nur einmal durch die Hüpfburg gehen. Oder: „Mieten Sie FASZINATION DARM für Ihre Veranstaltung und nutzen Sie seine Einzigartigkeit für Ihre Kommunikation.“ Gute Idee, vielleicht mieten wir FASZINATION DARM mal für eine Party bei uns zu Hause, unser Flur ist zwar nicht zwanzig Meter lang, aber „Bei Platzmangel kann Teilstück B (Entzündliche Darmerkrankungen) unberücksichtigt bleiben“. Ich stelle mir das sehr schön vor, wenn man zur Wohnungstür reinkommt und gleich im Darm ist, der sich dann durch die Wohnung schlängelt. Würde bestimmt für eine einzigartige Partykommunikation sorgen.
Oder hier, mein Lieblingssatz: „FASZINATION DARM zeigt das Tabu-Organ als sympathisches Anschauungsobjekt.“ Ich wusste nicht mal, dass es Tabu-Organe gibt. „Du, die Milz finde ich auch irgendwie voll nett, aber der Darm, also nee, der macht doch echt nur Scheiß.“ Aber das war gestern, heute gibt es ja FASZINATION DARM, da kann man sich das mal angucken und zack: „Nee Du, der Darm ist eigentlich wirklich total sympathisch, wenn man den erst mal richtig kennenlernt.“ Überhaupt erstaunlich, wie oft darauf hingewiesen wird, dass die aufgeblasene Fleischwurst sympathisch sei. Muss einem ja auch gesagt werden.
Und dann steht da noch: „Viel Spaß.“
Hallo? Das Thema, um das es eigentlich geht, ist Darmkrebsvorsorge! Krebs ist doch kein Spaß, und er wird durch eine aufblasbare Wurst auch weder sympathisch noch „erlebbar“. Glücklicherweise. Auch die Vorsorge übrigens nicht. So, Schluss mit der Webseite, rein in den Darm.
„Treten Sie ein in FASZINATION DARM!“
Man geht also durch diese zwanzig Meter lange rosa Wurst. An den Wänden ändert sich das Zartrosa zunächst zu einem dunkleren, gefleckten Ton: Colitis Ulcerosa. Ehrlich gesagt, emotional ist das wenig beeindruckend. Und es wird auch mit den plastisch dargestellten Polypen, Wucherungen und Geschwüren nicht überzeugender, denn hey, das hier ist eine aufgeblasene rosa Plastikwurst, in der pilzförmige Beulen in unterschiedlichen Rosatönen von der Decke hängen. Es mag an mir liegen, vielleicht bin ich für diese Art Aufklärung nicht empfänglich, aber ich habe nicht das Gefühl, dass die rosa Wurst etwas mit meinem Körper zu tun hat; mir kommt dieser überdimensionierte Disneydarm schlicht albern vor. Nichts gegen Albernheiten, aber FASZINATION DARM ist offenbar ernst gemeint, das Thema bietet sich ja auch nicht gerade für Albernheiten an. Mir fällt auch kein guter Grund dafür ein, das Thema Darmkrebs zum „Erlebnis“ zu machen.
Am Ende stehen auf einer Tafel drei Fragen, und je mehr davon man mit ja beantworten kann, desto dringender sollte man eine Darmspiegelung machen lassen. Wir sind zu zweit und können glücklicherweise beide alles mit nein beantworten. Am Darmausgang machen wir ein paar schlimme Arschloch-Witze und dann einen langen Spaziergang durch den Hamburger Osten und verlieren kein Wort mehr über FASZINATION DARM. War wohl doch nicht so faszinierend, wie die Webseite verspricht.
Isabel Bogdan
Isabel Bogdan übersetzt seit 10 Jahren Literatur aus dem Englischen (u. a. Jonathan Safran Foer, Miranda July, ZZ Packer, Tamar Yellin, Andrew Taylor). Sie lebt und arbeitet in Hamburg. Zur Webseite von Isabel Bogdan.