Geschrieben am 10. August 2011 von für Kolumnen und Themen, Litmag, Sachen machen

Sachen machen: Wacken

Faster, Harder, Louder

Isabel Bogdan begibt sich für CULTurMAG ins Handgemenge mit den Dingen und probiert skurrile, abseitige und ganz normale Sachen aus. Letztes Wochenende war sie auf der Jahrestagung der IG Metall in Wacken.

Kurz vor knapp kommt dann doch noch eine Mail von meinem CulturMag-Redakteur Jan: Wir sind für Wacken akkreditiert. Ach Du Scheiße! Und jetzt? Schön und gut, es war meine Idee gewesen, aber da war es noch lange hin und würde wahrscheinlich eh nicht klappen … und jetzt wird es plötzlich ernst. Nach Wacken. Ich. Zu den Metallern. Hilfe!

Das Dorf Wacken in Schleswig-Holstein hat an 362 Tagen im Jahr 1800 Einwohner, an den restlichen drei Tagen, am ersten Augustwochenende, kommen ein paar dazu, dieses Jahr waren es 86.000. Dann findet dort nämlich das größte Heavy-Metal-Festival der Welt statt. Der örtliche Edeka-Markt macht an den drei Festivaltagen ein Drittel seines Jahresumsatzes, sagt Wikipedia. Und unter den 86.000 Bekloppten sollen dieses Jahr also Jan und ich sein. Wir beschließen, eine Nacht in Wacken zu bleiben, von Donnerstag auf Freitag. Das wird reichen, wir haben schlimme Dinge über die hygienischen Zustände gehört, denn das Festivalgelände ist an 362 Tagen im Jahr ein Acker, der gegüllt wird, und an den drei Tagen im August stehen dort Dixiklos für 86.000 Menschen. Länger als eine Nacht müssen wir uns das nicht antun.

Ich hole das Zelt vom Boden, das da seit mindestens zwölf Jahren unbenutzt herumliegt. Ob es noch dicht ist?

Ansonsten lese ich ein bisschen die Berichterstattung der Vorjahre und habe zunehmend das Gefühl, da würde vom Kirchentag berichtet. Angeblich alles friedlich, fröhlich, freundlich, ein großes Fest und alle haben sich lieb. Na klar, zigtausend Menschen, davon die meisten Männer, trinken große Mengen Bier, hören aggressive Musik und sind total nett. Wer’s glaubt.

Donnerstag

Wir kommen irgendwann nachmittags an und müssen erst mal Schlange stehen zum Einchecken. Währenddessen besuche ich das erste Dixiklo. Nicht schön! Gar nicht schön. Die Leute in der Schlange sind aber nett, und schließlich bekommen wir unser „VIP/Presse“-Bändchen und einen entsprechenden Aufkleber fürs Auto, mit dem wir auf den VIP/Presse-Campingplatz dürfen. „Campingplatz“ bedeutet in dem Fall: eine ungemähte, grüne Wiese mit zwei Dixiklos, außer dass sie nicht Dixi heißen, sondern Hasi. Die Sonne kommt raus, und wir sind spontan verzückt. Voll schön! Und alle so nett! Und so eine hübsche Wiese! Hasi ist erstaunlich sauber, es gibt sogar Klopapier. Aber noch ist die Wiese auch ziemlich leer.

Während wir das Zelt aufbauen, kommt neben uns ein Kleinbus mit Leuten an, die das alles nicht so toll finden. Alles scheiße organisiert, da wisse ja niemand, wer wohin soll, und wie das denn sein könne, dass nicht mal die Wiese gemäht ist. Saftladen. Reg dich nicht auf, sagt einer, und der Aufreger grollt, das versuche er ja gerade, aber wie man sich da wohl nicht aufregen solle. Wir zucken die Achseln, finden soweit alles prima und machen uns auf den Weg aufs Festivalgelände.

Und dann laufen wir ungefähr 24 Stunden lang mit Kulleraugen herum und freuen uns. Alles voller Leute, hauptsächlich Männer in schwarzen Band-Shirts oder Wacken-Shirts. Außerdem welche in rosa Bademänteln, in T-Shirts mit lustigen Aufdrucken („Die langen Haare sind gerade in der Wäsche.“ – „Schwarz war leider ausverkauft.“ – „Ich würd mich ficken lassen.“), ziemlich viele Schottenröcke, Wikingerhelme, einer davon mit Klopapierrollen auf den Hörnern, enganliegende Ganzkörper-Anzüge mit Raubtiermuster, Borat-Badehosen, aufblasbare Plastikbrüste. Einer hat sich lange, grüne Geschenkbandfäden mit Tesa auf die Glatze geklebt und ganz oben drauf einen kleinen Holz-Osterhasen. Es gibt viele lange Haare, viele nackte Oberkörper, sodass man die Tätowierungen gut sieht. Die Frauen tragen entweder ebenfalls Band-T-Shirts und Schlabberbermudas oder sind richtig aufgebrezelt, mit Korsagen und kurzen Röcken oder Hot Pants und Stiefeln, viele hochgeschnürte, tiefe Dekolletés.

Hayseed Dixie

Gleich als Erstes spielt eine der wenigen Bands, die ich wirklich hören möchte: Hayseed Dixie! Eine Band, die als AC/DC-Tribute angefangen hat und Bluegrass-Cover von Hardrocksongs spielt. Ganz großer Spaß! Da fetzen die Banjos wie sonst nur im Wilden Westen, die Jungs mit den langen Haaren und den Metal-T-Shirts flippen aus, und mit ein bisschen Konzentration kann man es auch schaffen, nicht gleichzeitig Helloween auf der großen Bühne zu hören, die ungleich lauter sind. Vorne vor der Bühne sitzt eine junge Frau im BH auf jemandes Schultern, zieht sich den BH aus und wirft ihn auf die Bühne. Der Sänger ruft: Let me hear you say: Amen! Und alle brüllen: Amen! – Let me hear you say: Hallelujah! Und alle brüllen: Hallelujah! – Let me hear you say: Coldplay is shit! Und alles johlt: Coldplay is shit! Der Sänger seufzt: God, how I hate that band. Wir holen uns das erste Bier, grinsen uns dümmlich an und sind sehr glücklich. Schön hier.

Nach dem Hayseed-Dixie-Konzert drehen wir erst mal eine Runde über das Gelände. Jan will ein T-Shirt kaufen. Ich nicht, würde ich eh nicht tragen. Wir kommen am Merchandising-Stand vorbei, gucken aber nur kurz, denn dahinter sehen wir was viel Interessanteres: Pfahlsitzen! Da stehen fünf Pfähle mit draufgeschnitzten Stühlen, und oben sitzen Leute. Warum? Was machen die da? Wir schließen Wetten ab, wer als Erster schlappmacht (die Frau vorne, weil sie zu kurze Beine hat und nicht an die Fußstütze kommt, das ist doch total unbequem). Ob es etwas zu gewinnen gibt? Freien Eintritt oder so? Wie lange müssen die da sitzen, wie oft dürfen sie aufs Klo? Und was ist mit schlafen? Warum fragen wir eigentlich niemanden?

Weil es ein paar Meter weiter schon wieder was zu sehen gibt: eine Feuershow. Aus riesigen Kanonen kommen riesige Stichflammen, macht auch ordentlich Lärm, aber es ist strahlender Sonnenschein, da wirkt das ein bisschen … verschenkt. Die Hitze allerdings dringt ziemlich weit. Und das, obwohl es sowieso so warm ist.

Nach allem, was wir gehört haben, ist das schöne Wetter geradezu ungehörig, Wacken hat gefälligst im Schlamm zu versinken, und schließlich war auch Regen vorhergesagt. So richtig schlimm kann ich die Sonne und den blauen Himmel allerdings nicht finden. Wir gucken ein bisschen beim Bullriding zu, ein paar Jungs werfen sich mit großer Geste auf den mechanischen Bullen und fliegen ruckzuck wieder runter. Könnte ich eigentlich auch mal versuchen, hebe ich mir aber für später auf. Nackt ist es übrigens kostenlos.

Die nächste Entdeckung: Toilettenwagen mit Wasserspülung! Nix Hygiene-Katastrophe, nix Dixi. Alles frisch geputzt, hervorragend, es gibt Klopapier und Handwaschbecken. Jemand geht vorbei und sagt zu den Händewaschern: Ihr wisst aber schon, dass Händewaschen kein Heavy Metal ist? Allgemeines Gelächter. Gott, ist das alles nett hier!

Auf dem Weg zum Wackinger Village kommen wir an einem Zelt namens Bullhead City vorbei. Davor reichlich Sicherheitspersonal und Leibesvisitation, wir gehen natürlich rein. Drinnen ist an einem Ende eine Bühne, von der aus ein Laufsteg zu einem Boxring in der Zeltmitte verläuft. Richtig, hier finden auch Oil Catchen, Miss Wet T-Shirt und Wrestling statt. Im Moment läuft aber  Masters of Comedy, ein Komiker in vollkommen abartiger Lautstärke und mit unterirdischen Witzen. Er fängt an mit der Frage, ob man noch „Neger“ sagen darf (er sagt fortan „Maximalpigmentierter“, haha), und kommt dann über Schwule im Whirlpool bis zu Geht ne Nonne zum Frauenarzt. Wirklich unterirdisch, eine Zote schlimmer als die andere. Ich stelle derweil fest, dass ich zu doof für Ohropax bin, es dauert eine ziemliche Weile, bis ich wenigstens eins der Dinger in eins meiner Ohren kriege, aber lange halten wir das Niveau ohnehin nicht aus.

Dann spazieren wir durchs Wackinger Village – ein Mittelalter-Zeltdorf, offenbar überschneiden sich die Metal- und die Mittelalterszene (entsprechende Witze mit Metalalter bitte selbst ausdenken). Hier kann man Met aus Kuhhörnern trinken, Spanferkel essen, den Lukas hauen, ich versuche mich im Axtwerfen. Die dritte Axt fliegt immerhin dahin, wo sie hinsoll, und bleibt im Holzklotz stecken. Die umstehenden Herren in langen, schwarzen Ledermänteln sind angemessen beeindruckt. Ich auch. Sie haben es nämlich nicht geschafft, ha! Womöglich hatten sie auch schon mehr Bier getrunken als ich.

Wir probieren ein Metbier und ein Kirschbier, beides ziemlich süß, ich finde es super, Jan nicht. Mädchenbier, aber mit ordentlich Wums.

Beim späteren Nachlesen im Internet stellen wir fest: Wir haben die Folterecke verpasst! Man hätte sich auf eine Streckbank schnallen oder sich auspeitschen lassen können und was weiß ich, was noch. Schade, nicht gesehen. Wobei ich wahrscheinlich eh hätte weggucken müssen.

Es ist aber sowieso Zeit, zur Beergarden Stage zurückzukehren, zum zweiten Highlight des Tages: den Wacken Firefighters. Und wenn wir bislang schon den Eindruck hatten, dass die Metalheads mit einer gehörigen Portion Selbstironie gesegnet sind, wird es spätestens hier offensichtlich: Die Metalgemeinde flippt komplett aus. Zum Zillertaler Hochzeitsmarsch, dem Kufsteinlied und Tulpen aus Amsterdam. Gespielt von einer traditionellen Dorf-Feuerwehrkapelle mit reichlich Umtata. Mitten im Publikum stehen ein paar Wackener Silberlöckchen in praktischen Anoraks und schunkeln, während die Metaller eine Polonaise zu Es gibt kein Bier auf Hawaii starten und lauthals mitsingen. Zwischen den Stücken skandieren sie „Wa-cken, Wa-cken, Feu-er-wehr! Wa-cken, Wa-cken, Feu-er-wehr!“ und machen dazu das Teufelszeichen mit der Hand. Ganz vorne in der Feuerwehrkapelle sitzt eine klassische Schönheit, groß, schlank, hübsch, lange blonde Haare, wahrscheinlich ist sie auch noch siebzehn, sie spielt Querflöte. Die Metaller singen spontan „Querflötensolo! Wir wolln ein Querflötensolo! Querflötensooolooo! Wir wolln ein Querflötensolo.“

Wir kriegen das Grinsen nicht mehr aus dem Gesicht und finden alles großartig und toll. Und spätestens nach der nächsten Szene sind wir diesem Festival vollkommen erlegen: Da fliegt nämlich ein Bierbecher auf die Bühne. So was tut man nicht! Die Feuerwehrkapelle sagt das letzte Lied an, weil sowieso Schluss sei, und außerdem fänden sie es nicht so richtig witzig, mit Bechern beworfen zu werden, sie würden ja auch nicht mit Instrumenten werfen. Ein paar Ordner holen den Becherwerfer aus dem Publikum und, Achtung: schicken ihn auf die Bühne, sich entschuldigen. Wie rührend ist das denn! Da geht so ein Langhaariger in schwarzer Metaller-Kluft ganz offensichtlich zerknirscht auf die Bühne und entschuldigt sich bei einer jungen Feuerwehrkapellentrompeterin. Hach. Was für ein schönes Festival, wir sind ganz beglückt. Hinterher frage ich mich, ob die BH-Werferin vorhin sich eigentlich auch entschuldigen musste, aber wahrscheinlich ist das was anderes.

Wir holen uns etwas zu essen (sehr lecker, gebackener Schafskäse und Salat im Fladenbrot – überhaupt, die Auswahl an Essständen ist erstaunlich, für jeden Geschmack was dabei, und alles nicht so fürchterlich teuer), verpassen dabei Blind Guardian, und dann kommt schon der Top-Act des Abends, und wir gehen zum ersten Mal in den Bereich der Hauptbühne, der True Metal Stage:

Ozzy Osbourne! Zwischen uns und der Bühne stehen ungefähr 30.000 andere Menschen, wir können Ozzy und seine Band also nur auf der großen Leinwand sehen, aber hey: Ozzy Fucking Osbourne. Wenn ich das mal so sagen darf. Ozzy darf so was sagen, zwischen den Stücken animiert er das Publikum immer wieder zum Brüllen, und reagiert immer mit „I can’t hear you! I can’t fuckin’ hear you!“ Immer. Zwischen allen Stücken. Mehrfach. „I can’t fuckin’ hear you!“ Schwer vorstellbar bei zigtausend Mann, aber vielleicht ist Ozzy einfach schwerhörig. Über die Musik kann ich nicht viel sagen, ich kenne mich da nicht aus, aber es gefällt mir – wir hüpfen ein bisschen rum, versuchen, uns in der Menge nicht zu verlieren, und ich kriege das mit den Ohropax immer noch nicht hin. Habe ich irgendwie verdrehte Gehörgänge oder was? Schwerhörig bin ich jedenfalls nicht, I certainly do fuckin’ hear them. Ozzy ist nicht mehr ganz fit, seine Musiker ermöglichen ihm mit spektakulären ausgedehnten Soli eine Weile Pause. So ein Metal-Schlagzeuger macht ja wirklich Hochleistungssport. Und die Gitarristen auch. Und dann spielen sie nach anderthalb Stunden zum Abschluss Paranoid,  das kenne sogar ich. Irgendwie ist es auf so großen Konzerten immer besonders schön, wenn man mitsingen kann, und überhaupt schwappt gute Laune durch die Menge und alles ist schön. Wer hätte das gedacht, dass Heavy Metal und ich uns so gut verstehen.

Wir beenden den Abend mit einem Besuch beim Metal-Karaoke im Headbangers Ballroom. Die Männer, die da singen, sind allesamt Halbprofis oder so, das ist schon richtig gut und hat nichts Peinliches wie Karaoke sonst. Und auch alle große Headbanger. Die Gemeinde flippt aus, wie bei allem, was wir bisher gesehen haben. Was für ein Fest.

Gegen zwei kehren wir auf den Campingplatz zurück und trinken noch ein letztes Bier in der offenen Heckklappe des Autos.

Die Nacht

Die Gruppe neben uns – die über die ungemähte Wiese geklagt hatte – stellt sich als Band heraus. Wir liegen auf unseren Luftmatratzen und erfahren im Laufe der Nacht eine Menge über diese Band. Also, ich zumindest, Jan schnarcht leise vor sich hin. Genauer gesagt erfahren wir viel über Rob, Sänger und Gitarrist, er hält bis fünf Uhr morgens quasi einen einzigen Vortrag. Es handelt sich, wie wir raushören, um die Excrementory Grindfuckers – da ist Jan noch wach und wir haben den ersten Kicheranfall über diesen Namen. Auf der Webseite ist zu lesen, der Name sei schnell gefunden gewesen:

es mußten Exkremente, die Standsilbe -ory, das Wort „Grind“ und ein liebliches „Fuck“ vorkommen. Warum wir dabei nicht auf „Fuckory Grindexkrement“ gekommen sind? Ich weiß es nicht.

Excrementory Grindfuckers

Ich kann nicht schlafen. Nebenan ist noch jemand zu Besuch gekommen, ein Herr vom Wackel-Festival (sic!) auf dem die Grindfuckers (wir Insider kürzen den Bandnamen so ab) kürzlich gespielt haben. Er selbst spielt bei der Band Hämatom (wir kichern schon wieder) und will sich nochmal für den tollen Auftritt bedanken und eine Runde selbstgebrannten Schnaps namens 666 ausgeben. Der kommt aber echt aus der Hölle, aber hallo, ey! Ist auch ein bisschen Chili drin, eine der zu den Grindfuckers gehörenden Damen klärt uns über ihre allergischen Reaktionen gegen Chili auf. Sie bekommt davon nämlich Durchfall. Too much information, ich würde gern schlafen.

Hämatom

Hämatom

Es fängt an zu regnen, ich hoffe, das Zelt hält. Der Wackel-Hämatom-Mann geht wieder, die Grindfuckers sind wieder unter sich, ich erfahre, warum Rufus die Band verlassen hat, dass Christus ein super Schlagzeuger ist und Pempas ein toller Bassist und wie Rob sich sein geplantes Soloalbum vorstellt. Pssst: Es wird ein Konzeptalbum. Mehr verrate ich nicht. Jan schläft selig, das würde ich auch gern.

Ich muss mal. Ich will aber nicht bei Regen raus und durchs kniehohe nasse Gras zwischen den Grindfuckers durch aufs Hasi. Die Grindfuckers sind beim Fachsimpeln angekommen, welche Band nur bis zu welchem Album gut war, danach kam nur noch Scheiße, obwohl, auf der So-und-so-Scheibe war noch Das-und-das drauf, das war natürlich Heavy Metal, ich dämmere weg und kann nicht mehr folgen. Es regnet stärker, ich taste nochmal im Zelt herum, ob es dicht ist. Jan schläft. Irgendwo draußen geht irre laute Musik an. Ich bin müde, ich will schlafen, es ist halb vier.

Robs Vortrag wendet sich dem Verlottern der Jugend zu. Ein Album sei heute nichts mehr wert, er sei ja in den Neunzigern aufgewachsen, da hat er auf seine erste Scheibe noch richtig gespart, Metallica war das, und die war ihm dann viel mehr wert als sie gekostet hat. Aber heutzutage gehen die Leute ins Netz und laden sich wild alles mögliche runter, was sie gar nicht wirklich interessiert, und das sei doch wie mit den Frauen. Wenn man eine so einfach kriegen kann, macht es keinen Spaß. Wenn man sich aber richtig bemühen muss, ihr Herz zu erobern, dann ist sie einem auch was wert.

Ich muss lachen und will schlafen. Ich denke gerade, dass die Jugend von heute wahrscheinlich schon seit Jahrhunderten nicht mehr das ist, was sie mal war, da kommt auch schon der nächste krude Vergleich: Heutzutage meine ja auch jeder, der eine Gitarre halten kann, er müsse eine Platte aufnehmen, es gebe viel zu viel Scheiß auf dem Markt, es sei alles so beliebig geworden, und das sei doch wie mit Cornflakes. Wobei, da sei es ihm eigentlich auch total egal, ob jetzt Kellogg’s Rice Crispies draufsteht oder Gut und Günstig Cornflakes, vielleicht sei der Vergleich doch nicht so gut. Öhm, jo, vielleicht.

Ich. Möchte. Schlafen. Ich muss aufs Klo, es regnet, und hat dieser Rob vielleicht irgendwo einen Knopf zum Ausschalten?

Fünf Uhr, der letzte Grindfucker geht ins Bett, draußen wird es hell. Jan schnarcht leise.

Freitag

Acht Uhr, das Zelt hat gehalten, ich gehe endlich aufs Hasi (frisch geputzt), und die Grindfuckers stehen auf. Eine ihrer Frauen kommt aus dem Zelt und ruft quer über den Campingplatz: „Will mich jemand ficken? Ich hab Kondome!“ Erster Kicheranfall des Tages, wir nehmen das Angebot trotzdem nicht an, sondern schlafen noch ein bisschen. Also, einer von uns.

Gegen zehn Uhr kann ich endgültig nicht mehr liegen und wecke Jan. Es hat aufgehört zu regnen, der Rest des Campingplatzes frühstückt schon, es gibt Bier und frisch gegrillte Koteletts. Manchmal tut es mir doch leid, dass ich meinen Fleischkonsum so eingeschränkt habe. So ein Kotelett könnte ich jetzt auch gut vertragen. Stattdessen haben wir noch selbstgebackenen Pflaumenkuchen zum Frühstück, das ist wahrscheinlich kein Heavy Metal.

Wir beschließen, uns den Ort Wacken anzusehen. Und sind sofort wieder verzückt. Üppig blühende Geranien an den Balkonen, Gasthof „Zur Post“, Edeka, Schlecker, Einfamilienhäuser auf großen Grundstücken mit über-gepflegten Vorgärten. Und in diesen Vorgärten: Bierbuden, Frittenbuden, improvisierte Verkaufsstände, an denen Wackener Muttis selbstgebackene Muffins für -,50 verkaufen, „Wurst von Horst“, und ein Schild, mit dem eine heiße Dusche angeboten wird. Die Supermärkte verkaufen gekühltes Bier, Wackener Jungs bringen es für kleines Geld mit dem Kettcar-Anhänger zum gewünschten Campingplatz. Die Bürgersteige sind schwarz von Metal-Fans, die sich irgendwo Frühstück holen oder einfach durch die Stadt spazieren. Es sind auch größere Bierzelte aufgebaut, hier und da ist schon wieder laute Musik zu hören.

Auch hier: alles entspannt, freundlich und friedlich, vielleicht sind wir doch wirklich auf dem Kirchentag gelandet – da, tatsächlich! Ein riesiges Schild, weiße Rockerschrift auf schwarzem Untergrund: Gerade Du brauchst Jesus! Turn or burn! Hui, das ist mal eine klare Ansage. Keine hundert Meter weiter: Jesus is Rock. The way, the truth, the life. Dazwischen, am Gasthof „Zur Post“ in schwarz auf weiß: Freu dich, Du bist in Wacken! Dann steht allerdings irgendwo ein handgeschriebenes Pappschild mit der Information: Odin sagt: Jesus, halt’s Maul. Keine Ahnung, wer sich am Ende durchgesetzt hat.

Vor mir geht eine Anwohnerin, eine ältere Dame, mit original Wacken-T-Shirt mit dem Zusatz: „Powered by Anwohner.“ Und übrigens scheint schon wieder die Sonne.

Wir gehen über einen Campingplatz zurück aufs Festivalgelände, entdecken noch eine ganze Einkaufsstraße aus Zelten, in der es alberne Helme, Mützen, Nietengürtel, Fuß-, Arm- und Halsbänder, Klebetattoos, Korsagen, Schottenröcke, Schuhe, große Mengen Band-T-Shirts und alles mögliche gibt. Jan hat immer noch kein Wacken-Shirt gekauft, so langsam möchte ich doch auch eins, aber hier gibt es gar keine. Dass die Metaller Konsumverweigerer wären, kann man jedenfalls nicht behaupten.

Wir hören ein bisschen in Ensiferum und Suicidal Tendencies rein. Immer noch nicht meine Musik. Hier und da fallen uns plötzlich Leute in Grindfuckers-T-Shirts auf. Auf den Pfählen sitzen inzwischen andere. Oh Mann! Wir haben Russkaja verpasst! Vor lauter Gucken und uns Treibenlassen haben wir die ganz vergessen, dabei hätte ich sie doch wirklich sehen wollen! Doof.

Und dann machen wir etwas noch viel Dooferes: Wir fahren nach Hause. Weil das so geplant war, und weil Jan plötzlich Stalldrang hat. Beziehungsweise arbeiten muss. Dabei hätte es im Pressezelt bestimmt auch Internet gegeben, wir haben das Pressezelt nicht mal gefunden.

Wie wir überhaupt alles mögliche verpasst haben. Wir haben Russkaja verpasst und die Excrementory Grindfuckers, die erst Freitag Nacht um zwölf spielen. Wir haben Mambo Kurt verpasst. Wir haben die Folterecke nicht gesehen, keine Miss Wet T-Shirt, kein Oil-Catchen und kein Wrestling (zum Glück). Wir haben die Highland Games verpasst, die Ritterkämpfe und die Rollenspieler. Ich habe mich doch nicht mehr im Bullriding versucht, und wir haben keine T-Shirts gekauft. Wir haben Motörhead verpasst! Das muss man sich mal vorstellen! Waren wir überhaupt da?

Den Rest des Wochenendes verbringe ich damit, Jan maulige Mails zu schicken, warum wir eigentlich so früh wieder gefahren sind und wessen blöde Idee das eigentlich war, und dass wir ja einfach wieder hinfahren könnten. Außerdem gucke ich bei YouTube nach den Grindfuckers, rechne mit Schlimmem und finde ganz großartig lustige Spaßmusik. Die Jungs haben mich die ganze Nacht wachgehalten und mich echt genervt, aber jetzt bin ich Fan.

Und nächstes Jahr will ich wieder nach Wacken. Und dann nehme ich alles mit und mache einen Plan und gucke mir die Bands an, die ich sehen will (was nicht allzu viele sein werden, aber hey). Und Schlammcatchen.

See you in Wacken, rain or shine!

Isabel Bogdan

Isabel Bogdan übersetzt seit 10 Jahren Literatur aus dem Englischen (u. a. Jonathan Safran Foer, Miranda July, ZZ Packer, Tamar Yellin, Andrew Taylor). Sie lebt und arbeitet in Hamburg. Zum Blog von Isabel Bogdan.