Geschrieben am 26. Juli 2008 von für Litmag, Porträts / Interviews

Stanley Kubrick im Porträt

Eyes Wide Open

Schrecken, Schönheit, Rausch – Ein Porträt des Regisseurs, der heute seinen 80. Geburtstag gefeiert hätte. Von Gisela Trahms

Kubrick? Ah, diese Bilder…

Nur wenige Regisseure gibt es, die in den Köpfen der Zuschauer ein Album von Tableaus hinterlassen. Die meisten versehen uns mit Geschichten, die in der Erinnerung bruchstückhaft als Szenen überleben: jene Verfolgungsjagd, dieser Überfall, hier eine Liebe, dort ein Mord… immer aber bewegt, oft hektisch, motion picture eben.

Natürlich gibt es auch bei Kubrick solche Szenen. Die Flucht des Kindes vor dem rasenden Jack Nicholson in „Shining“. Gewaltakte aus „Clockwork Orange“. Der schreiende Ausbilder in „Full Metal Jacket“. Doch die eindrucksvollsten Sequenzen bestehen im Grunde aus einer Aneinanderreihung von film stills – einzelne Bilder der starren Kamera, die sich langsam aneinander fügen zu einem magischen Ganzen. Eröffnung und Schluss von „2001“ etwa, in denen noch einmal versucht wurde, das Medium neu zu definieren. Meditationen sind das, philosophische Untersuchungen zu den Themen „Gewalt“ und „Blick“. Am Beginn der Menschwerdung steht der Mord, aus der unvorstellbaren Zukunft starrt das Auge des Fötus und bedeutet uns, dass wir in allem, was wir sehen, immer nur uns selbst begegnen.

Das Potential des einzelnen Bildes

Kubrick, 1928 als Sohn einer jüdischen Arztfamilie in New York geboren, wurde als Jugendlicher von drei Leidenschaften umgetrieben: Dem Schachspiel, der Musik (er erwog, Schlagzeuger zu werden) und der Fotografie. Mit Fotos begann er, und dieses Gespür für das Potential des einzelnen Bildes blieb eine der Konstanten seiner Arbeit. Die Musik setzte er so souverän und wirkungsvoll ein wie kaum ein anderer Regisseur, bestes Beispiel ist wiederum „2001“, das Ballett der Raumschiffe zu einem Walzer von Johann Strauss oder die Gott-lose Schöpfungsgeschichte zu den Klängen von „Also sprach Zarathustra“. Und das Schachspiel? Das ist der kontrollierte Terror, der in allen Kubrick – Filmen herrscht, die geplante Grausamkeit, die kalkulierte Vernichtung.

Mitleidlos, übrigens. Diese Filme sind nicht gemacht, um Gefühle zu wecken. Barry Lyndon geht unter, aber was liegt an ihm? Ein herzloser, hirnloser Bursche, dem Ryan O’Neal sein Babyface leiht, damit man einen Rest Sympathie für die Figur aufbringt. Seine Geschichte ist keine Geschichte, sondern ein Sammelsurium unzusammenhängender Episoden (wie unser aller Leben). Ungerührt verlässt man das Kino, im Kopf wiederum Einzelbilder von verschwenderischer Schönheit und verklärtem Glanz, berühmt, weil Kubrick ein Verfahren entwickelte, das es erlaubte, bei Kerzenlicht zu filmen. Die technische Seite des Films und das von ihr abhängige Vokabular weiter zu entwickeln war eine seiner Obsessionen, und insofern enthält die Tatsache, dass er seinen einzigen persönlichen Oscar für die special effects von „2001“ erhielt, eine grimmige Wahrheit.

Perfektionisten wie ihn hat es in der Geschichte des Kinos immer gegeben: Erich von Stroheim war nicht der erste und Stanley Kubrick wird nicht der letzte gewesen sein. Und immer zielt solche Perfektion aufs Monumentale, auf das Große Kino, weil dem Medium die Gigantomanie innewohnt, seit es existiert. Nicht von ungefähr hatte eines von Kubricks gescheiterten Projekten Napoleon zum Thema. Kino braucht Geld und einen, der es wie besessen ausgibt, weil er den Film in seinem Kopf endlich mit Augen sehen will.

Probeabzüge späterer Ikonen

Dabei waren Kubricks Anfänge tiefstes Low Budget. In den Kurz- und Kürzestfilmen, mit denen er begann, übernahm er die Kamera, schrieb das Buch, produzierte, führte Regie, kümmerte sich um den Ton, schnitt – nicht zuletzt aus Geldmangel. Aber auch, um alle Elemente, aus denen Filme komponiert werden, selber zu beherrschen und die ihnen innewohnenden Möglichkeiten gründlich zu erforschen. Zwischendurch spielte und gewann er Schachturniere, um vom Preisgeld wieder ein paar Tage leben und drehen zu können.

Natürlich sind die frühen Filme schwarz-weiß und an Originalschauplätzen aufgenommen, um Kosten zu sparen, aber sie enthalten schon Probeabzüge zu den Ikonen der späteren Meisterwerke. In „The Killing“ beispielsweise zieht Sterling Hayden eine Maske über, die sofort an „Clockwork Orange“ denken lässt, und der Überfall auf das Wettbüro wird als Ballett inszeniert, genau wie die üblen Taten von Alex und seiner Gang.

Kubricks erster Erfolg beim großen Publikum wurde durch Anpassung erkauft: Er übernahm die Regie von „Spartacus“, einem Sandalen- und Heldenepos, weil er glaubte, er könne diesem Projekt die eigene Handschrift aufzwingen. Hollywood war stärker und verteidigte siegreich seine Sülze, weshalb Kubrick später diesen Film nicht als seinen anerkannte. Schließlich ging er nach England und schuf dort „2001“. Konzipiert und gedreht von 1965 – 1968, also vor den Triumphen der bemannten Raumfahrt, kam der Film nach einem monatelangen Schnittmarathon in die Kinos und wurde ein Welterfolg.

Das sehende Tier

Obwohl nun berühmt und von der Kritik gepriesen, konnte er in den dreißig Jahren bis zu seinem Tod nur noch fünf Filme realisieren. Zwischen den beiden letzten, „Full Metal Jacket“ und „Eyes Wide Shut“, liegen zwölf Jahre. Kubrick war ein schwieriger, scheuer, tyrannischer Regisseur, ein wahrer „auteur“, der die Kontrolle über alle Phasen der Produktion in seiner Hand behalten wollte. Seine Filme zeigen die Welt als Panorama des Schreckens und der Grausamkeit, nicht nur weil diese oder jene sozialen Missstände herrschen, sondern weil der Mensch immer eine bestia terribilis war, ist und sein wird. Kubricks Blick ist der des Pathologen, seine Figuren, vom Tod gezeichnet, taumeln durch eine Mechanik, die sie nicht begreifen. Aber sie schauen uns an aus Bildern, nach deren Schönheit man süchtig werden kann und die, bei aller Kälte, eine Ahnung davon wecken, was es denn sein könnte, das sehende Tier.

Gisela Trahms