Geschrieben am 1. August 2018 von für Litmag, Specials, Story-Special 2018

Story: Uta-Maria Heim: Oskars Quartett

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Wald

Der Quälgeist wohnt im Walde. In einer längst verlassenen Hütte aus alten Köhlerzeiten. Tritt man ein, merkt man nur einen unaustreibbaren Modergeruch, sonst nichts. Kleiner als die kleinste Maus, unsichtbar selbst einem nahe gebrachten Auge, drückt sich der Quälgeist in einen Winkel. Nichts, gar nichts ist zu merken, ruhig rauscht durch das leere Fensterloch der Wald. Wie einsam ist es hier und wie kommt dir das gelegen. Hier im Winkel wirst du schlafen. Warum nicht im Wald, wo frei die Luft geht? Weil du nun schon hier bist, gesichert in einer Hütte, trotzdem die Tür längst aus den Angeln gebrochen und vertragen ist. Du aber tastest noch in die Luft, als wolltest du die Tür zuziehen, dann legst du dich nieder.

Franz Kafka, Der Quälgeist

In die lyrischen Texte 1, 2 und 3 wurden Zitate eingestreut. Die Kursivzeilen sind einem Brief von Karoline von Günderrode an Friedrich Creuzer entnommen, verfasst Ende September 1805. Der Satz in Kapitälchen stammt ebenfalls von der Günderrode. Die fettgedruckten Zeilen entsprechen dem vollständigen Text der unvollendeten Parabel „Der Quälgeist“ von Franz Kafka, geschrieben im März 1917, erstmals veröffentlicht 1953 in: Hochzeitsvorbereitungen auf dem Lande und andere Prosa aus dem Nachlaß, hrsg. von Max Brod, S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main. Der unterstrichene Satz ist von Friedrich Hölderlin: Hyperion – Kapitel 14.

1

Schreiquartett, Ende der Blickrichtung

… wie der Tod eines, den wir lieber hatten als uns,

wie wenn wir in Wälder verstoßen würden,

von allen Menschen weg, wie ein Selbstmord,

ein Buch muß die Axt sein für das gefrorene Meer in uns.

Franz Kafka, Brief an Oskar Pollak, Prag, 27. Januar 1904

 

Radau, Krakeelen, die Tosca. Hol schon mal den Wagen, Friedrich. Der Quälgeist wohnt im

Walde. Wie oft hast du mir gesagt, meine Liebe erhelle, erhebe dein ganzes Leben, und nun

Findest du unser Verhältnis schädlich. Es sind vier in mir unterwegs: Materialästhetik.

Tollkirschenbezirk. Siebtes Sprachlevel. Hintendrein puscht Puccini. Mensch, Karo. Du

Magst ihn nicht. Jetzt dreh ihm doch endlich den Saft ab. Wie viel hättest du ehmals gegeben,

Dir dies Schädliche zu erringen. Aber so seid Ihr, das Errungene hat Euch immer Mängel. …

In einer längst verlassenen Hütte aus alten Köhlerzeiten. Tritt man ein, merkt man nur

Einen unaustreibbaren Modergeruch, sonst nichts. Und hier dann der Cut. Aus heiteren

Höhen sirrt das Beil des Henkers. Es requiemt sich so leicht, solange die Falter an Spinn-

Fäden Pirouetten drehn. Doch eine Einkokonierung ist zur Stunde nicht mehr habhaft, und

Bis zuletzt hast du den Tod gefürchtet. (Nun, nach unserm Ende, nicht mehr.) Mein Herz

Schlägt gegen die Wand. Kleiner als die kleinste Maus, unsichtbar selbst einem nahe

Gebrachten Auge, drückt sich der Quälgeist in einen Winkel. Der Stillstand der Zeit. Wir

Müssen immer gegen Klischees anrammen. Mit unseren Laptops und Passwörtern, zu mehr

Reichen die Ferien nicht. Wirf dich weg, schmeiß dein Ego in die Kiste. Deckel drauf. Wert-

Schätzende Kommunikationstrainerin mailt: Wie das alles in mich kam, begreif ich noch

Nicht. Fragt: Ist dieser Satz von dir? Er hat sich leergekauft. Wenn du gehst, nimm bitte den

Rohrreiniger mit. Wir werden dieses kleine Drama in die Untiefen der globalen Tragödie

Manschen, wir werden diesen Mist auf die politische Bühne bringen. Wenig ist so wirr,

Wie es scheint. Was aber bleibt, ist ein Paar ausgelatschter Joggingschuhe. Schändlicher

Sommer. Es hat sich ausgemieft. Ohne Vorwarnung Zack! haust du mir die Tür ins Gesicht.

Nichts, gar nichts ist zu merken, ruhig rauscht durch das leere Fensterloch der Wald.

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2

Fingerhuthaine, Eisenhutraine

… wie der Tod eines, den wir lieber hatten als uns,

wie wenn wir in Wälder verstoßen würden,

von allen Menschen weg, wie ein Selbstmord,

ein Buch muß die Axt sein für das gefrorene Meer in uns.

Franz Kafka, Brief an Oskar Pollak, Prag, 27. Januar 1904

 

Schwulstkrauts Gift. Wir stempeln fehlen strampeln quälen trampeln zählen. Wie viele

Sind schon tot? Färbt die Sonne rot? Schlusslicht lachnicht Nachtschicht. Die Eckdaten:

Magenta. Sturmhut Nahtod. Der Schädel meiner Mutter. Lakonie macht sich breit,

So lang wie hoch. Koni: Sprache, Putins Labrador, Stoßdämpferfabrikant. Späht NATO:

Sowjetische Kriegsschiffe. Füge Silben. Du kannst es auch bleiben lassen. Schwör ab

Jetzt auf die Kraft der Kronblätter: Nimm zwei und du stirbst. Juli. Wie immer googelst du

Und liest Zeitung. Halbwärts den Hang hinunter liegt auf dem Asphalt die Kreuzotter;

Hätte das Rad sie verfehlt, züngelte sie bis in die Oper. Über den Schlangenlinien liegen

Sich versamende Hutfelder, zerstreut aber gesellig auf kalkarmen Kahlschlägen, emsig

Wuchernde Waldschellen. Unten am Festspielhaus lichtet sich Schwarzwald, Vipern und

Fuchskraut kamikazen katzbuckelnde Japaner. Artenschutz Atemschutz Hidschab Niqab

Tschador alles bloß keine Burka. Haut. In der Sommerhauptstadt Wegerichwüsten am sich

Wölbenden Waldweg, unverhüllt unverblümt gewaltige Giftgärten, in der Hitzeglut steigt

Benzinsuppe kocht die Diva auf der Leiter tönt es Aaargh! Stadtland Natur Kulturkunst-

Konserven Sonnenuntergänge abends dann: Blindflug schwergängiger Fledermäuse.

Radarsysteme orten Soundklischees beim Klimawandeln aufgeworfene Pflasterblasen.

Wir tanzen auf den Gräbern. Was ich nicht in die Widmung schrieb: Danke für damals.

Diese Landschaft steht uns unbegreiflich offen. Vertraut ist die Fremdheit der Toskana,

Diese dauernde Durchdringung, kondomschwitzendes Künstlicht. Nur das Wilde, Große,

Glänzende gefällt mir. Es ist bloß so: Hier liegt immer noch nicht Italien. Das Leben

Nach dem Leben. Grün orange pink. Morgen: Dein Todestag. Erdolchung am Rheinufer.

Wir schreiben Freitod. Liebelos Leid. Ich habe es hingenommen. Ich mag Winter nicht.

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3

Vokalschlingen, Seepferdchen

… wie der Tod eines, den wir lieber hatten als uns,

wie wenn wir in Wälder verstoßen würden,

von allen Menschen weg, wie ein Selbstmord,

ein Buch muß die Axt sein für das gefrorene Meer in uns.

Franz Kafka, Brief an Oskar Pollak, Prag, 27. Januar 1904

 

Tanze Samba mit mir. Mir ist, du seist ein Schiffer, der Scherenschliff, die Dichte

Des Dolchs. Ein Drahtseilakt, Mast ausbalancieren. Der Strand steht uns offen. So

Halt Anfangsgedanken Rückzug. Perspektiven Räume Richtungen. Familiengeschichte

Ist Firlefanz, der mich packt und wieder loslässt. Liebeliebeliebeleid. Geheimnis-

Weit Fremdlust vertraut ist das eigentümlich Unbekannte, das mit der entzogenen

Landschaft kommuniziert, aufgeträumt zuhanden anlanden, dann: Fremd daheim.

Schwebungen und Senkungen, das Stottern der Schatten des Gedichts. Abgehorchte

Satzsplitter abgeplatzte Wortwinde, körnigs Fragment; nun brausen aber die Stürme,

Die Wogen heben sich. Die Winde führen mir verwehte Töne zu, vom Wind verwehter

Atem, Formatzimmer, ich lausche und höre Wie einsam ist es hier und wie kommt

Dir das gelegen. Wie der Schiffer Rat hält mit seinem Freunde, ob er mich nicht über

Bord werfen soll oder aussetzen am öden Ufer? Du stuhlst mich auf mit der Zange und

Hebelst mich aus dem Fenster. Hier im Winkel wirst du schlafen. Warum nicht

Im Wald, wo frei die Luft geht? Keep going. Skulptur wahrt spielend Leben. Fare una

Bella figura. Hier in der Ödnis seicht sicher keine Seebestattung. Steck Steine ein und

Sinke in den Fluss. Und du, trink Trollinger troll dich du trüber Spitz. So fauch ich

In die Planken des Boots, aber mit den Fäusten traktierte ich den Sturm. Da war überhaupt

Gar keine Rettung. Du betäubst dich mit dem Geruch der fremden Seele, Weil du nun

Schon hier bist, gesichert in einer Hütte, trotzdem die Tür längst aus den Angeln

Gebrochen und vertragen ist. Verbrannt an einem Faden hängen. Ich war nicht glücklich

Am Ende kann ich keinen Schluss. Du aber tastest noch in die Luft, als wolltest du die Tür

Zuziehen, dann legst du dich nieder. Ich fasse die Änderung deiner Gesinnung nicht.

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4

Zuziehn, hinkende Schiffe

… wie der Tod eines, den wir lieber hatten als uns,

wie wenn wir in Wälder verstoßen würden,

von allen Menschen weg, wie ein Selbstmord,

ein Buch muß die Axt sein für das gefrorene Meer in uns.

Franz Kafka, Brief an Oskar Pollak, Prag, 27. Januar 1904

 

Weiter schreiben. Rums dich. Ein Gerippe. Eine Grippe. Die Gardinen. Der Himmel.

In Schollen kommen. Goldbutt, Grund und Boden, Erde, Treibeis, Luft. Fährfrau,

Liebchen, ich bin das Meer. Beständig und blau, du bist Ziegel und Zypressen,

Sonnenwendwüste. Zikaden, freilich. Walgänge, Windwetter, wetterfest wir.

Prozessionen, schwärmerische Fische. Darüber: Aufbruch. Eintröpfelnde Touristen.

Zyklopenauge: Den Zauber des Leuchtturms zu Ende bauen. Klippen, Schaumkrone

Und Gischt. Die Sandlache der Küstenbewohner, gleißendes Quallenfieber, Schnauf,

Es muss doch nicht immer Sansibar sein. Man kann auch am Nordpol Kamele

Fischen. Auch auf Svalbard weint die Wonne. Waidwunde Wortspiele, Fluch. Je

Weiter die Wellen, desto schmaler tropft der Trost. Einkehr: Dass es nie aufhört. Mehr

Meer! Inmitten die giftige Grenze. Das Mittelmeer mitsamt seiner ewigen Ersäufnis.

Menschenschiff, Schiffsreigen, gelber Südwestwind. Wir das Paar: Ich das schlingende

Wasser, du das Gitterland. Hier steigt kein frommer Austausch. Es sind ja nicht die

Kinder eines Freundes, die zurückbleiben. Nichts trommelt unterm Wasserspiegel.

Glühendes Ersticken im Nichtstun. Der Mythos badet im Gurkenteich, und wir sind

Mit ihm unter die Gewitterfront gefallen. Meer und mehr hagel- und feuergepeitscht.

Blitzunddonner. Nichts käme uns gelegener, als von der eigenen Ohnmacht

Erschlagen zu werden. Und keiner schenkt uns an der Schleuse einen Schnaps ein.

Schiffende Hirsche. Wie man das Boot auch wendet: Streich die Segel. Griffel

Weg. Mehr Mär! Du kannst das nicht deuteln. Schau lieber zu. Wie der Strandhase

Läuft. Wolkig. Berauschend. Brennt es am Hafen. Nichts wird so hingeschrieben, wie

Es dann später erzählt wird. Was will man. Tot ist, wer nicht mehr antworten kann.

Uta Maria Heim

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Uta-Maria_HeimUta-Maria Heim, geb. 1963 in Schramberg/ Schwarzwald, lebt als Hörspieldramaturgin, Dozentin und Autorin in Baden-Baden. Sie studierte Literaturwissenschaft, Linguistik und Soziologie in Freiburg und Stuttgart und arbeitete ab 1983 als Journalistin, Kritikerin und Schriftstellerin. Sie schrieb zahlreiche Essays, Features und Hörspiele. Über 30 Buchveröffentlichungen, zuletzt erschienen der Roman „Heimstadt muss sterben“ (2016) und das Künstlerbuch mit Gedichten „Im Innern werden Feste gefeiert. Im Inneren der Horizonte“ (2016, mit Peter-Jörg Splettstößer). 2017 veröffentlichte sie im Gmeiner-Verlag den ersten Toskana-Krimi „Toskanische Beichte“, 2018 folgt „Toskanisches Feuer“. Sie erhielt u. a. zweimal den Deutschen Krimi-Preis, außerdem den Förderpreis Literatur des Kunstpreises Berlin, ein Stipendium der Villa Massimo in Olevano Romano sowie den Friedrich-Glauser-Preis. Sie ist Mitglied des PEN.

Uta Maria Heim hat neu zu Herland gefunden – willkommen!

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