Das Sozusagen in der Literaturkritik
– Bericht vom 6. Literaturwettbewerb Wartholz (22.–24.02.2013) in Anlehnung an den Vorbericht von Senta Wagner.
Unter Umständen verstellen die Berge den Blick auf das Wesentliche oder aber sie tun das Gegenteil, sie umstellen es. Der Schnee hat zum Gefühl der Einbettung ein Übriges getan. Mit Literatur pur apostrophiert entsprechend der Literaturwettbewerb Wartholz sein Lesefestival, das in diesem Jahr zum sechsten Mal stattfand: Wartholz VI. Wir sind nicht in Klagenfurt. Wir sind in der kleinen niederösterreichischen Gemeinde Reichenau a. d. Rax (= hochalpines Plateau). Reichenau ist ganz Geschichte und Tradition: Ort der mondänen k.u.k. Sommerfrische, kaiserliche Sommerresidenz und darüber hinaus Inspirationsquelle zahlreicher Kunstschaffender wie Schnitzler und Musil. Gemeinsames Bergwandern damals nicht ausgeschlossen.
Die Literatur hat hier nun seit einigen Jahren wieder ihren Platz gefunden, und zwar auf dem historischen Schloss Wartholz (1870/72), was dem rührigen und großzügigen kulturellen Engagement der Familie Blazek, Schlossherrin, Veranstalterin und Preisstifterin des Wettbewerbs in einem, zu verdanken ist. Als Garten- und Landschaftsgestalter sieht Ehepaar Blazek wohl im Schöpferischen der Literatur die Verbindung zur eigenen Leidenschaft. Andersherum hatte auch die poetische Auspinselung von Landschaft schon immer einen besonderen Stellenwert in der Literatur.
Vom 22.–24. Februar 2013 traten nun also im neu gebauten LiteraturSalon der Schlossgärtnerei Wartholz die zwölf deutschsprachigen Finalisten an: Es wurde gelesen, geschluckt, diskutiert und gekürt – vor im Schnitt achtzig Zuhörern. Es dürften ruhig noch mehr sein, wünschten sich die Veranstalter fürs nächste Jahr. Das Ambiente machte den Eindruck einer Mimikry feudalen Interieurs. Kristallluster an der Decke, Polstermöbel zum Sitzen. Das Gegenwärtige kam mit der Literatur hinein, ein Zauber ganz von allein. Ein besonderes Highlight für die Autoren war der festliche Empfang inklusive Abendessen auf Schloss Wartholz.
Der Wettbewerb
Aufregung musste schon sein: Die kurzfristige Absage von Volker Altwasser (D) brachte die noch kurzfristigere Nachnominierung von Katja Schröckenstein (Ö) kurz vor Beginn des Lesewettbewerbs mit sich. Mit Lyrik im Gepäck. Nach der Auslosung der Reihenfolge sollte sie als achte Autorin dran sein, durchatmen und Text üben. Die Lesungen verteilten sich über einen Abend und den darauffolgenden Tag, Lesezeit maximal zwanzig Minuten, die jeweilige Dauer der Jurydiskussion im Anschluss etwa zehn Minuten. Eine Beteiligung aus dem Publikum wurde begrüßt, Jurynachfragen an die Lesenden erschienen manches Mal unumgänglich („Was ist Weihnachtswichteln?“). Die Textgattung konnte bei der Einreichung frei gewählt werden, so gab es abgeschlossene Erzählformate, Romanauszüge, Essayistisches, postmodern Humoristisches und zweimal Lyrik. Die Fachjury bestand in dieser Ausgabe erstmalig aus der freien Literaturkritikerin und Autorin Ina Hartwig, den Literaturkritikern Stefan Gmünder (Der Standard) und Klaus Nüchtern (Falter) sowie der Autorin und Filmemacherin Ruth Beckermann – eine erstklassige Besetzung, wie sich herausstellte.
Der Literaturpreis Wartholz sei begehrt unter Autoren, sein Renommee gut, sagten die Nominierten. Er verlockte zur Bewerbung ebenso Studierende vom Literaturinstitut Leipzig (Florian Wacker) oder aus Hildesheim (Julia Sandforth) wie Romanautoren (Andrea Grill, Harald Darer, Andreas Neeser). Es gab knapp 700 Einreichungen. Rasch fanden sich die Teilnehmenden in Grüppchen zusammen, die Österreicher kannten sich fast alle. Hierzulande nicht verwunderlich. Man war freundlich miteinander, fand alles toll, fühlte sich wohl, feierte, tauschte sich aus, hörte gegenseitig aufmerksam den Lesungen zu und war doch froh, an der Reihe gewesen zu sein. Viele von ihnen hatten Vortragserfahrung, es wurde schön gelesen, manchen vertrocknete der Mund, anderen zitterte die Stimme. Das Vorlesen sei für eine Beurteilung ganz wichtig, betonte Juror Gmünder. Im besten Fall solle man, so Gmünder später, dabei den Respekt vor dem Schaffen der Autoren nicht verlieren.
Die Literaturkritik hat es nicht leicht, wenn sie nicht argumentiert, ist sie angreifbar und widerlegbar. Trotzdem sollte es gestattet sein, einen Text auch einfach mal schön zu finden. Das wäre dann geschmäcklerisch. Entsprechend zierte sich die Jury hin und wieder, tastete sich an die Texte heran, schwieg sich aus, enthielt sich der Stimme, fiel in den Grundtenor mit ein oder haute sein Urteil raus. Die Diskussionen verliefen insgesamt fair, kontrovers, die Statements waren klug und unterhaltsam. Missverständnisse im Textverstehen wurden charmant übergangen. Beachtliches musste auch die gern verwendete Floskel sozusagen leisten, sozusagen, wenn ein Juror mit anderen Worten seine Aussage auch nicht genauer ausdrücken konnte. Und gerade Präzision wird dann von der Literatur verlangt.
Einzelpositionen und Gewinner
Mit dem Schauspieler Michael Dangl (Ö) betrat ein souverän wirkender Autor die Bühne, nach seiner Präsentation wurde er nicht mehr gesehen. Der herrschende Ton in der Jury war ungnädig. Dangls Sätze hätten sich wie „Schleimhülsen“ um Jurorin Ruth Beckermann gelegt. Nüchtern erkannte einen „manierierten Fin-de-siècle-Stil“. Seufzer und Ratlosigkeit begleiteten die Besprechung des Gedichtzyklus „Juno-Blicke“ der Filmemacherin und (Drehbuch-)Autorin Katja Schröckenstein, die Nachnominierte, in dem der weibliche Blick auf die Welt in einem Gestus von „Schauerin und Beschaute“ verhandelt wird.
Viel Lob und den Newcomerpreis Wartholz (Buchveröffentlichung im Braumüller Verlag) erhielt der Prosatext „Die Zisterne“ des Anfang 30-jährigen Florian Wacker (D), der Zweitjüngste des Wettbewerbs. Der Beruf des Friseurs habe ihn interessiert, in seinen Augen eine Randfigur. Vielmehr handelt es sich hier um einen Anachronismus, denn längst ist aus dem Friseurmeister von gestern mindestens ein Coiffeur geworden. Gerade das Gestrige und Betuliche an der kleinbürgerlichen Oberfläche, die sich über eine im Untergrund dräuende sehnsuchtsvolle Welt breitet, nahm stark für den „handwerklich perfekten“ Text ein. So sanft hat sich bisher nur der Film „Der Mann der Friseuse“ (1991) mit dem Haareschneiden beschäftigt. Jurorin Beckermann fantasierte sich zu Wackers Beitrag eine Samisdat-Story zusammen.
Der mit 2000 Euro dotierte Publikumspreis, für den die Zuhörer abstimmten, ging an die jüngste Bewerberin des Wettbewerbs: Julia Sandforth (D) mit ihrem melancholischen und ruhigen Prosatext „Gewässeraufsicht“. Trefflich ließ es sich in der Jury über Badesalz diskutieren.
Karin Peschka (Ö) gewann mit „Watschenmann“ überaus verdient den sechsten Literaturpreis Wartholz, der mit 10.000 Euro dotiert ist. Die Begeisterung im LiteraturSalon für den aufwühlenden, dreckigen Text war gleich nach der Lesung deutlich. Angesiedelt ist er im besetzten Wien der Nachkriegszeit, die Stadt im Wiederaufbau („Schöne neue Welt“), die Seelen der Menschen zerschunden. Für Lydia und Dragan ist der innere Krieg ebenfalls nicht vorbei, ihre Wut darüber entladen sie hemmungslos am Watschenmann, dem Jungen Heinrich, der sich schlagen lässt. Zorn und Zärtlichkeit unter den dreien kippen ineinander. „Mit knapper und musikalischer Klarheit bringt Karin Peschka die tiefe beunruhigende Ambivalenz einer Dreierbeziehung zum Ausdruck, die für die ganze Gesellschaft zu stehen scheint“, lautete die Begründung der Jury.
Um im Bild der Gartengestalter Blazek zu bleiben: Gärten und Literatur sind fürs Leben. Der Literaturwettbewerb Wartholz ist ein feiner, unaufgeregter entdeckerischer Sensor für Gegenwartsliteratur.
Senta Wagner
Den Siegertext, weitere Pressemitteilungen und Infos zu den Autoren sowie zur Ausschreibung 2014 finden Sie hier.Wartholz IV. Gegenwartsliteratur in der Schlossgärtnerei. Berndorf: Kral-Verlag 2013. 134 Seiten. Alle Fotos von Senta Wagner.