Geschrieben am 17. August 2009 von für Litmag, Porträts / Interviews

Vor 150 Jahren starb Bettina von Arnim

Ich wollte immer so reden, wie es nicht statthaft ist

Auf den grünen Fünfmarkschein hatte ihr Bild es immerhin geschafft, und als kleines Geld unter die kleinen Leute zu kommen, hätte Bettina von Arnim, geborene Bettine Brentano, sicher gefallen. Ein Porträt von Gisela Trahms.

Zwar wurde sie in eine wohlhabende Frankfurter Kaufmannsfamilie geboren (1785), aber bei dreizehn überlebenden Kindern (von zwanzig) bleibt auch von einem soliden Erbe nur ein karger Anteil. Und als sie mit fast 26 Jahren (da lauerte schon die Horrorexistenz ‚Alte Jungfer‘) den Dichter Achim von Arnim heiratet, ist außer dem Titel ‚Baronin‘ nichts gewonnen: Das Gut Wiepersdorf in Brandenburg, Lebensgrundlage des Paars, ist hoch verschuldet.

Aus Berlin schreibt Achim 1815 an seine Frau: „..ich habe Dir für tausend Liebe ein armes sorgenvolles Dasein gegeben und das kränkt und quält mich bitterer als alles andere, was über mich ergehen mag… So bete denn, liebes Kind, für Haus und Hof, für Mann und Kinder…“

Bettine antwortet: „Lieber süßer Freund! Ich soll für Haus und Hof beten: mein täglich Morgengebet ist: Teufel Donnerwetter willst du heraus (=aufstehen) Annelise! Die Nähmamsell ist da!“

Originelles Rollenspiel: Der empfindsame Gutsherr und die impulsive, unverdrossene Großstädterin, die die Dienstboten auszankt, welche wenig Respekt vor ihr zu haben scheinen… Bettine hält es nicht aus in der ländlichen Einsamkeit; gegen Achims Widerstand nimmt sie eine Wohnung für sich und die Kinder in Berlin, wo sie den Winter verbringt. Im Frühjahr kündigt sie und lebt den Sommer über in Wiepersdorf, um Kosten zu sparen. Im Herbst neue Wohnungssuche, neuer Umzug – und oft auch neue Schwangerschaft… Sieben Kinder sind es schließlich, und zumindest die Namen der vier Söhne verdienen Erwähnung: Freimund, Friedmund, Siegmund, Kühnemund. Hier ächzen wir etwas.

Ist Bettine aber in Wiepersdorf, treibt sie ihren Mann an, zu reisen, die Freunde in Berlin zu besuchen, um nicht zum völligen Eigenbrötler zu werden. Nach einem Salonabend schreibt Achim: „Es überfiel mich dort einigermaßen die Langeweile und ich dachte mit rechter Sehnsucht an meine Kartoffeln.“

Eine diffizile Beziehung, zweifellos –

und doch eine von Vertrauen und Zuneigung geprägte, die allerdings zu intensive Nähe nicht vertrug. Als die Tochter Maximiliane heiratet, empfiehlt Bettine: „..es ist gewiss von großem Nutzen, dass die Alleinigkeit (=zeitweise Trennung) eines jeden ihn sich selbst wiedergibt, dass er sich aufs Neue dem Andern noch einmal schenken kann…“

Achim stirbt mit nicht einmal fünzig Jahren. Erst nach seinem Tod wird aus Bettine eine berühmte Schriftstellerin. Sie verfasst drei Bücher sehr unüblicher Art, in denen sie ihr Idol Goethe, die intellektuelle Freundin Karoline von Günderode und den Bruder Clemens Brentano mittels Briefen und Erinnerungen porträtiert, wobei Fiktion, Schwärmerei und dokumentarisches Material genialisch, poetisch und nervtötend vermischt werden. Besonders „Goethes Briefwechsel mit einem Kinde“ wird zur literarischen Sensation. Manche Passagen sind hinreißend, ganze Seiten kann man getrost der Philologie überlassen. Sie imaginiert sich als eine Art Mignon von unschuldigster Erotik, immer wieder legt sie sich „zu Füßen“, „kauert“, „schmiegt sich an seine Brust“, sitzt „auf seinem Schoß“ usw. Ihres Liebesansturms überdrüssig, verbietet Goethe ihr schließlich das Haus. Der heutige Leser schwankt zwischen neuerlichem Ächzen und Bewunderung.

Denn mutig ist sie,

lehnt Konventionen vehement ab und will nur der eigenen, aufrichtigen Empfindung folgen. Stolz verteidigt sie ihre Art zu leben und zu schreiben. Den Bruder Clemens, der um die Heiratschancen von Bettines Töchtern fürchtet, nennt sie eine „alte Schlafmütze“. Sie ergreift Partei für verfolgte Demokraten, strapaziert ihre Beziehungen zu König und Hof bis zum Äußersten, um Begnadigungen zu erwirken und plant zuletzt ein großes „Armenbuch“, in dem zum ersten Mal mit Fakten und Zahlen dokumentiert werden soll, unter welch entsetzlichen Bedingungen das Proletariat lebt. Alexander von Humboldt persönlich beschwört sie, von diesem Plan zu lassen, weil sie Anklage und Gefängnis riskiert.

„.. nach dem Himmel hab ich mich nie gesehnt sondern hab gewünscht immer auf dieser mühseligen Erde zu bleiben“, schreibt sie als junge Frau. Sie bleibt bis in ihr 72stes Jahr, von manchen geliebt, von vielen halb staunend, halb widerwillig anerkannt, immer nur sich selbst verpflichtet. Im Park von Wiepersdorf hat sie ihr Grab, wie Achim von Arnim und die Kinder: preußisch schmucklos, nah beieinander, jeder für sich.

Nachsatz:

Schloss Wiepersdorf beherbergt heute ein Künstlerhaus für jährlich wechselnde Stipendiaten. In diesem Jahr wohnt dort u.a. der Lyriker Marcus Roloff. Außerdem gibt es ein kleines Museum zur Geschichte der Familie von Arnim. Ein aktiver Freundeskreis unterstützt das kulturelle Programm.

Eine klug und mit Witz zusammengestellte Briefauswahl von Ulrike Ehmann und Sibylle von Steinsdorff erschien im letzten Jahr: Bettine von Arnim: Vom Herzen in die Feder. Lebensspuren im Briefwechsel, 175 Seiten. dtv 2008. 8,90 Euro.

Der vorzügliche Reclam – Band Bettina von Arnim. Ein Lesebuch. Hg. von Christa Bürger und Birgitt Diefenbach. RUB 2690, 8,00 Euro. enthält neben Passagen aus Bettines Werken auch ein sehr lesenswertes Nachwort.

Gisela Trahms