Geschrieben am 26. Februar 2004 von für Litmag, Porträts / Interviews

Wladimir Kaminer im Gespräch

Berühmt zu sein ist sehr anstrengend

© Christian Thiel

Karsten Herrmann im Gespräch mit Wladimir Kaminer.

Vor zehn Jahren sprach Wladimir Kaminer noch kein Wort deutsch. Heute, nach zwei Erzählbänden und seinem Debut-Roman „Militärmusik“ ist er der Shooting Star in der jungen deutschen Literaturszene: Regelmäßig schreibt das 34jährige Multitalent für FAZ und TAZ Kolumnen, moderiert beim SFB eine eigene Sendung und veranstaltet im Kaffee Burger am Prenzlauer Berg seine mittlerweile schon legendäre „Russendisco“.
„Russendisco“ hieß auch Vladimir Kaminers erster Erzählband, in dem er, der 1990 aus Moskau nach Deutschland übergesiedelt war, ganz ohne Krampf und mit viel Humor vom Leben eines Ausländers im brodelnden Schmelztiegel Berlin erzählte. In „Militärmusik“ lässt der gelernte Dramaturg seinen Ich-Erzähler die sowjetische Zeit davor Revue passieren – von der Geburt im Jahr 1967 über Kindergarten, Schule und Rumtreiberei bis zu seinem Militärdienst, in den prompt der Kreml-Flieger Mathias Rust hereinplatzt und stolze Krieger degradiert. Kaminers Protagonist ist ein sympathischer, bekennender Taugenichts, der sich pfiffig durch den real existierenden Sozialismus schlägt und Moskaus Subkultur mit ihren neuen „Rock’nRoll“-Helden tatkräftig befördert. Vladmir Kaminer nimmt in seinen deutlich autobiographisch grundierten Geschichten eine betont lakonische, ja naive Erzählhaltung ein. Mit großem Sinn für die kleinen Leute und grotesken Überspitzungen treibt er den Witz aus den grauen Fugen des Alltags.
Auch in seinem neuesten Erzählband „Schönhauser Allee“ bleibt Waldimir Kaminer sich treu und zeigt in seinen nachbarschaftlichen Mikrogeschichten, wie man sich – sei es als Spion, Jäger, Lebensmittelhändler oder Schriftsteller – locker-lustig durch das kapitalistische System des multikulturellen Berlin schlagen kann und dabei sogar noch berühmten Persönlichkeiten über den Weg läuft.

Karsten Herrmann: Wie ist es, so berühmt zu sein?

Waldimir Kaminer: Berühmt zu sein ist sehr anstrengend, muss ich sagen. Früher, bevor mein erstes Buch herauskam, habe ich nicht so viel gearbeitet wir heute. Heute muss ich in der Literaturfabrik von früh bis spät ackern und habe überhaupt keine Zeit mehr für ein Privatleben. Das ist wirklich sehr anstrengend. Ich wünschte mir mehr Freizeit und weniger Berühmtheit.

Wie konnte das passieren?

Die Medien haben eine große Rolle gespielt, um sie kommt man heutzutage nicht mehr drum herum. Ich dachte früher, die ganze Geschichte sollte beiden Seiten Spaß machen – ich wusste leider noch nicht, dass es sich zu einer Sklaverei entwickeln würde. Meine Branche ist sehr anstrengend – wie in einer Fabrik, in der man 24 Stunden am Tag arbeiten muss. In diesem Jahr habe ich alleine in 150 deutschen Städten gelesen und unzählige Interviews gegeben. Doch es funktioniert nur so oder gar nicht – da gibt es keinen Zwischenzustand.

Sind Ihre Bücher tatsächlich so autobiographisch, wie sie es auf den ersten Blick zu sein scheinen?

Eigentlich beschreibe ich in meinen Büchern nicht mein eigenes Leben, sondern das von vielen Freunden, Bekannten und Zeitgenossen. Es geht vor allem um die Zeiten und darum, wie sie sich verändern. Ich spiele als Erzähler selbst eine eher nebensächliche Rolle. Es passiert ja mit der Welt unheimlich viel, aber mit den Leuten selbst eher wenig.

Aber der Kern basiert schon auf realen Erlebnissen?

Ja sicher, worauf sonst? Alle Fantasie ernährt sich von der Realität!

War es in der früheren SU tatsächlich so leicht und lustig sich als Taugenichts durchzuschlagen?

Es war niemals leicht und ich habe das auch nie geschrieben. Es erforderte einige Kreativität, aber man hat im Laufe der Jahre gelernt, sich durchzuschlagen. Auch im Kapitalismus braucht man viel Kreativität und Fähigkeit zur Problemlösung, um durchzukommen. Natürlich gab es auch traurige und dramatische Seiten in diesem früheren Leben in der SU. Aber die schlechten Seiten vergisst man wahrscheinlich einfach und nur die lustigen bleiben in Erinnerung.

Aber der reale Sozialismus bot genug Nischen?

Ja, es gab große Nischen. Und überhaupt war der Sozialismus so wie ich ihn aus den 80er Jahren kenne, ziemlich harmlos und distanziert von dem Privatleben jedes einzelnen Bürgers. Nicht so wie hier im Kapitalismus, der anscheinend so ideologiefrei erscheint, aber doch sehr tief in jedem Haushalt steckt und praktisch aus jeder Hosentasche seine Zunge rausstreckt. Der Sozialismus stand mehr neben dem Leben und wenn man nicht gerade ein Dissident oder ein überzeugter Anti-Kommunist war, dann hat man auch ziemlich wenig von ihm mit bekommen.

Was vermissen Sie am meisten aus Ihrem früheren Leben?

Am meisten vermisse ich meine Kindheit und meine Jugend. Aber so ist das Leben: man wird immer älter und ich möchte halt auch die anderen Lebens-Phasen erleben. Man kann ja sowieso nicht zweimal im selben Fluss baden, wie so viele Philosophen schon gesagt haben.

Was bedeutet Literatur für Sie?

Indem man über das Leben schreibt, begreift man es besser und kann verborgene Bereiche öffnen. Literatur ist für mich ein Gespräch, an dem beide Seiten – Autor und Leser – interessiert sind.

Welche Funktion hat Literatur für sie?

Es gibt verschiedene Funktionen der Literatur. Nachdem die Epoche der Aufklärung sich auflöste, kam beispielsweise eine sehr ästhetisierte Literatur, die sich jeglicher Verantwortung entziehen wollte. Für mich aber ist immer das Leben entscheidend. Bei meinen Kollegen handelt es sich in erster Linie um proletarisch erzogene Autoren, um solche, die nicht durch eine Wohlstandskindheit verdorben sind – ganz im Gegenteil zu einigen der heutigen Popliteraten. Während wir eine eher linke Position vertreten, verbindet diese eine konservative Gesinnung. Sie stehen für einen neuen jungen Konservatismus, obwohl sie sich ja jeder politischen Aussage entziehen – ein Kritiker hat mal sinngemäß geschrieben, dass sie ohne ihre gefüllten Bankkonten die neuen Faschisten wären.

Was kommt als nächstes?

Als nächstes kommt mein Roman „Reise nach Trulala“ – ein Roman über langfristig geplante Reisen, die nie stattfanden. Zum Beispiel geht es da um eine Reise nach Amerika: Ich wollte immer wieder nach Amerika und nie hat es geklappt – irgendwann weiß man dann so viel über dieses Land, viel zu viel und es entsteht so eine Art fiktives Amerika, in das man im Grunde gar nicht mehr hinwill. Von solchen und ähnlichen Geschichten wird dieser Roman handeln. Als übernächstes kommt das „Deutsches Dschungelbuch“, in dem ich über verschiedene Kleinstädte Deutschlands schreibe.

Das Gespräch führte Karsten Herrmann

Von Wladimir Kaminer erschienen:

Schönhauser Allee.
Goldmann 2001. Taschenbuch. 190 Seiten. EUR 8,00.
ISBN: 3442541689

Russendisko.
Goldmann 2002. Taschenbuch. 192 Seiten. EUR 7,90.
ISBN: 3442541751

Militärmusik.
Goldmann 2001. Gebunden. 191 Seiten. EUR 18,00.
ISBN: 3442545323

Frische Goldjungs.
Goldmann 2001. Taschenbuch. 189 Seiten. EUR 7,50.
ISBN: 344254162X