Geschrieben am 6. März 2013 von für Bücher, Litmag

Alain Mabanckou: Zerbrochenes Glas

Alain Mabanckou _ Zerbrochenes GlasBusch oder nicht Busch, das ist hier die Frage

oder auch nicht, haben sich doch alle Protagonisten des Buches „Zerbrochenes Glas“ von Alain Mabanckou für die Stadt entschieden, oder viel mehr für die Bühne des Buches, einer Bar, deren Besitzer Sture Schnecke den Namen Angeschrieben wird nicht zum Kredo macht, der seinem Stammgast Zerbrochenes Glas ein Heft und einen Auftrag mitgibt, nämlich alles aufzuschreiben was in dieser Bar passiert, der ehemalige Lehrer, der durch den Alkoholismus alles verlor und seitdem nur noch in der Bar herumhängt soll schreiben, was soll das denn werden

das Erste, was der Leser denk, wenn er das Buch aufschlägt, ist in etwa das, was Sie gerade gedacht haben, als Sie begonnen haben, diese Rezension zu lesen, was soll der Scheiß, mit den Sätzen ohne Punkte, nur Kommas, nicht mal Fragezeichen, das gleiche fragt sich Sture Schnecke als er am Ende des Buches den ausgeführten Auftrag überreicht bekommt „das ist nicht normal, du musst das ein bisschen ins Reine bringen, meinst du nicht, hm, wie soll ich das denn lesen, wenn alles so eng zusammenklebt“, gute Frage, aber es geht, denn Alain Mabanckou versteht sein Handwerk, spielt mit der Sprache und schafft es, den Leser neben Zerbrochenes Glas in der Bar sitzen zu lassen, das Gelesene als Gesprochenes zu verstehen und in die Welt des Trois-Cents-Viertels in der Republik Kongo einzutauchen, einer Welt voller gescheiterter Existenzen

eigentlich schaffen es nur zwei Männer mit ihrer Lebensgeschichte, neben der des Schreibers selbst, ins Heft, der Drucker, der in Frankreich lebte und mit einer Französin verheiratet war und der Pampers-tragende Ex-Häftling namens der Pampers-Typ, die beide dem an der Bar Wein saufenden Zerbrochenes Glas die Gebrauchsanweisung zu ihren Leben aufschwatzen, Leben die scheinbar durch die Hinterlist und verschwörerischen Geschichten ihrer Ex-Frauen zerstört worden sind, vorausgesetzt keiner der beiden belügt seinen Zuhörer, denn genauso gut könnte es sein, dass die Frauen die Wahrheit sagten und die Männer sich und alle anderen belügen, eine Lebenslüge leben, auf deren Aufklärung Alain Mabanckou keine Antwort gibt

Der Leser soll sich sein eigenes Bild schaffen, dazu gibt der Autor eine hervorragende Grundlage, denn mit den Geschichten, der unheimlich sprühenden Erzählweise und dem Aufbau des Buches schafft Alain Mabanckou ein herzzerreißend lustiges Abbild des Kongos, das weder ein Querschnitt, noch eine repräsentative Auswahl sein will und der lebendige Witz in den tragischen, eigentlich persönlichkeitszerstörerischen Geschichten, schafft es, den teilweise obszönen Inhalt gut verdaubar darzubieten, selbst als er vom Kacken schreibt, den Drucker permanent „Neger“ sagen lässt oder die Gründe für den nässenden Hintern des Pampers-Typs ausführlich beschreibt

ein unheimlich witziges Buch, das doch vor allem nachdenklich macht und dem Leser nebenbei und fast unbemerkt, allegorisch und doch direkt Lebensweisheiten mit auf den Weg gibt, so ist schon der Name Zerbrochenes Glas eine Allegorie, denn so fragt der alkoholabhängige Ex-Lehrer selbst, ob schon mal jemand gesehen hätte, dass ein zerbrochenes Glas repariert werden könne, nein niemand, also steuert er zu auf das unvermeidliche Ende

der Roman ist ein erfrischendes Unikat voller kluger Anspielungen, Adaptionen und Rezitationen, Alain Mabanckou spielt mit dem kulturellen Erbe seines Landes, flechtet hie und da ein Shakespeare Zitat, eingepasst in die Wirklichkeit der Protagonisten ein und schafft es so sogar, einen Pisswettbewerb zur Wissensvermittlung zu nutzen als der Kontrahent der dorfbekannten Superpisserin Robinette mit seinem Strahl die Landkarte von Korsika in den trockenen Sand zeichnet und Beifall erntet, nachdem sich zu Beginn noch alle über Casimir lustig gemacht hatten, wurde er nun der Geograf genannt, so ändern sich die Dinge

dass Alain Mabanckou 1989 mit Hilfe eines Stipendiums sein Heimatland verließ und schon seit 24 Jahren im Westen lebt, merkt man dem Roman nicht an, es erlaubt dem Autor vielleicht sogar einen neutraleren Blick auf die gegenwärtige Probleme seines Heimatlandes, auch auf seine Regierung, und es ermöglicht ihm wertungsfrei und ohne belehrenden Ton von seinen (ehemaligen) Landsleuten zu erzählen, indem er sich in die Perspektive derer stellt, die es betrifft

gekonnt und lesenswert! Ich höre jetzt auf mit dem Krampf und tue das, was Alain Mabanckou nicht tut, das Einzige, was er vermeintlich versäumt, aber wohl eher sehr bewusst nicht macht: einen Schlusspunkt setzen.

Sophie Sumburane

Alain Mabanckou: Zerbrochenes Glas (Verre Cassé, 2005). Liebeskind 2013. Aus dem Französischen von Holger Fock und Sabine Müller. 222 Seiten. 18,90 Euro. Zur Homepage des Autors. Zur Homepage von Sophie Sumburane.

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