Geschrieben am 12. Februar 2004 von für Bücher, Litmag

Alina Vituchnowskaja: Schwarze Ikone

Nihilistische Splitterbombe

Wie ihr Leben sind Alina Vituchnowskajas Texte hoch energetisch, ungebändigt und mutwillig provozierend.

Alina Vituchnowskaja ist eine schillernde Ikone der radikalen Moskauer Jugend und inszeniert ihr Leben als provokative Performance. Und wie das Leben der 29jährigen ist auch ihre Literatur – sie ist, wie es in einem frühen Manifest der russischen Futuristen heißt, eine schallende „Ohrfeige für den öffentlichen Geschmack.“

In den bruchstückhaften Gedichten, Prosa-Szenen, Tagebucheintragungen und Manifesten ihres Sammelbandes „Schwarze Ikone“ beschreit und beschreibt die 30jährige rücksichtslos eine postsowjetische Gesellschaft, in der das „schon immer geahnte Desaster“ vehement eingebrochen ist. Wie Mehltau scheint eine erstickende Orientierungs- und Sinnlosigkeit über der Existenz zu liegen – und in diesen Phasen blüht die ästhetische Destruktivität und der irrationale Ausbruch: Als verfemte Wiedergängerin der poéte maudits fordert Alina Wituchnowskaja so die „heroische Selbstaufhebung“ und die „Diktatur des absoluten Nichts“.

Nur im absoluten Nichts scheint das Leiden an dieser „falschen Welt“ aufhören zu können – und dieses Leiden zieht sich wie ein blutiger roter Faden durch Alina Wituchnowskajas Schreiben: „Am Anfang war das Entsetzen“ konstatiert sie im Rückblick auf ihre Kindheit und schlägt den Bogen schnurstracks in eine verzweifelt einsame Gegenwart, in der sie sich „zerrissen wie ein faulendes Laken“ fühlt.

Zerrissen wie ein faulendes Laken

Auch die Kunst bietet in solchen Zeiten keine schützende Zuflucht mehr, sondern erscheint nur noch als „unnützer Firlefanz eines müßigen Weiberlebens“. Im deutlichen Anklang an die Avantgardebewegungen zu Beginn des vorletzten Jahrhunderts proklamiert Alina Wituchnowskaja wieder einmal das Ende der Kunst, die sich überlebt habe: „Die Kunst ist nutzlos, weil sie harmlos ist.“ Dagegen setzt sie in Verbindung mit wirren faschistischen Provokationen und Affronts eine Kunst der Tat, fordert Aktionen, die wirklich „extrem und schön wie Erschießungen bei Sonnenaufgang“ sind.

Voller Wut, Verzweiflung und Verachtung versucht Alina Wituchnowskajas mit ihrer Literatur „den Verfall der Welt im Kern“ zu treffen. Ihre Texte sind ungebändigt, hochenergetisch und schockierend – sie gleichen nihilistischen Splitterbomben, denen nicht zu entweichen ist.

Karsten Herrmann

Alina Vituchnowskaja: Schwarze Ikone. DuMont, 120 S., 14,90 Euro. ISBN 3-8321.5818-9