Geschrieben am 21. Februar 2004 von für Bücher, Litmag

Andre Dubus: Haus aus Sand und Nebel

Im Strudel aus Hoffnung, Liebe und Hass

Andre Dubus erzählt diese Geschichte aus den wechselnden Ich-Perspektiven seiner Protagonisten und reißt den Leser immer tiefer hinein in einen Strudel aus Angst und Verzweiflung, Hoffnung und Liebe.

Tagsüber sammelt Massoud Behrani für ein paar Dollar den Müll von den hitzeflirrenden Asphaltbändern der Highways rund um San Francisco. Abends steigt der 56jährige mit einem frischen Anzug in seinen klimatisierten Buick und fährt zu Frau und Kindern heim in die 3000-Dollar-Wohnung.

Massoud Behrani ist ein hochdekorierter und exilierter Colonel der kaiserlich-persischen Luftwaffe und muss mit seiner Familie unter allen Umständen „den Schein wahren. Wir müssen so tun, als könnten wir noch so leben, wie wir es gewohnt sind.“ Doch die Geldreserven werden knapp, und mit dem Kauf eines zu versteigernden Hauses hofft Massoud Behrani auf eine goldene Zukunft als Immobilienmakler. Damit kreuzen sich seine Wege mit der jungen Kathy Nicolo, die nicht nur gerade von ihrem Mann verlassen wurde, sondern aufgrund eines Fehlers des Finanzamtes auch noch ihr Heim verloren hat: „Der Verlust des Hauses meines Vaters war der letzte Stoß in meinem langen Abrutschen Richtung Abgrund gewesen.“ Während der stolze und fest in die Traditionen seiner Heimat eingebundene Massoud mit diesem Haus wieder Boden unter den Füßen zu gewinnen hofft, wird er der labilen Kathy zugleich wie in einem Albtraum weggezogen – und so beginnt ein dramatisches Kräftemessen vor den Vorort-Kulissen San Franciscos mit seinen Bungalow-Siedlungen, Tankstellen, Schnellrestaurants und den vom Pazifik hochwallenden Nebelschwaden.

Andre Dubus erzählt diese Geschichte aus den wechselnden Ich-Perspektiven seiner Protagonisten und reißt den Leser immer tiefer hinein in einen Strudel aus Angst und Verzweiflung, Hoffnung und Liebe. Ununterscheidbar zerfließen hier Kategorien wie „Recht“ und „Unrecht“ oder „Täter“ und „Opfer“, und es offenbart sich in einer fast philosophischen Dimension die unerbittliche Macht des Schicksals. Brillant balanciert Andre Dubus das Geschehen auf einem schmalen Grat und zeichnet mit seiner zupackend-sinnlichen Sprache nach, wie die rationale Vernunft immer mehr ins Stolpern gerät – bis der sich in Kathy stürmisch verliebende Cop Lester Burdon schließlich in das Geschehen eingreift und eine Grenze überschreitet, nach der es kein Zurück mehr gibt: „Im Augenblick entglitt ihm alles. Nichts schien gefestigt oder real. Es gab keinen Maßstab mehr.“

Von Karsten Herrmann

Andre Dubus: Haus aus Sand und Nebel. C.H. Beck Verlag, 500 S., DM 48,00