Geschrieben am 10. Juli 2008 von für Bücher, Litmag

Annette Spohn: Andy Warhol

Wa(h)re Kunst

Eine kompakte Biographie über Leben, Werk und Wirkung der Pop-Ikone Andy Warhol. Von Jörg von Bilavsky

Nie war mit zeitgenössischer Kunst mehr Geld zu verdienen als heute. Die Preise für die aberwitzigen Werke eines Damien Herst sind schwindelerregend und nicht nur er profitiert vom Kunsthype der letzten Jahre. Viele fragen sich indessen fassungslos: Ist das wirklich Kunst? Ist sie diese Unsummen überhaupt wert?
Doch darauf kommt es schon lange nicht mehr an. Spätestens seit Pop-Ikone Andy Warhol in den 1960er Jahren systematisch damit begann, die Kunstszene mit seriell gedruckten Suppendosen, Dollarnoten und Coca Cola-Flaschen aufzumischen, ist eins klar: Kunst und Kommerz sind in Zeiten des medialen wie kapitalistischen Overkills und dem ständigen Kampf um Aufmerksamkeit und Anerkennung untrennbar miteinander verbunden. Ob es kunstkonservativen Kritikern nun passt oder nicht.

Umso aufschlussreicher ist es, dem ersten und vielleicht extremsten Vertreter der kommerziellen Kunstinszenierung rückblickend noch einmal in die Karten zu schauen. Und zwar so, dass Kenner und Laien davon profitieren. Und genau dieses Kunststück hat die fernseherfahrene Kunsthistorikerin Annette Spohn mit ihrer schmalen BasisBiographie aus dem Hause Suhrkamp eindrucksvoll geleistet.
Ihr genügen 160 Seiten, um dem Leben, dem Werk und der Wirkung des scheuen und doch so sensationslüsternen Andy Warhol auf die wichtigsten Spuren zu kommen. Geleitet und inspiriert wird ihre kompakte Erzählung von Warhols „Lebensziel, reich und berühmt zu werden.“ Unter diesem Primat deutet sie seinen frühen Willen, der Geburtstadt Pittsburgh und dem ärmlichen Elternhaus zu entkommen und sein Glück als talentierter Werbegrafiker in New York zu suchen und zu finden. Nur hier, in dieser bis heute liberalsten und kreativsten Metropole der USA konnte eine solch exotische Pflanze, wie sie Warhol in persona darstellen wollte, auch nur gedeihen.

Anette Spohn lässt keine der wichtigen Stationen und Förderer seiner Karriere aus, weist zu Recht auf das ökonomisch und kulturell günstige Klima der sechziger Jahre hin, in dem er sein Gespür für kommerziell verwertbare Kunstaktionen und Kunstprodukte perfekt entwickeln konnte. Dass er sich sofort den unscheinbaren Oberflächenäußerungen der Kultur zuwandte, resultierte sicherlich aus seinem ständigen Interesse an den Konsumstilen des amerikanischen Durchschnittsbürgers.
Der Wiedererkennungs- und Verfremdungseffekt seiner Gemälde und Drucke, in denen er nichts anderes fokussiert, was jeden seiner Mitmenschen tagtäglich umgab, war der Schlüssel seines Erfolges. Dass er mit seinen vermeintlich profanen Kopien aus der Alltagswelt sowohl den klassischen Kunstbetrieb als auch das unbändige Konsumverhalten direkt oder indirekt in Frage stellte, schmälerten den Absatz seiner Werke keineswegs. Ganz im Gegenteil. Er bewegte sich mit seiner Kunst auf der gleichen Oberfläche, wie die Dinge, die er leicht verfremdet darstellte. Und sie war ebenso leicht konsumierbar wie jedes andere Ware.

Das galt jedoch keineswegs für das filmische Werk Warhols, mit dem er die gängigen Sehgewohnheiten in Frage stellte, aber mit den Stilmitteln des medialen Mainstreams nie so gefällig umging. In den selten erfolgreichen Streifen herrschte kreativer Stillstand oder um es mit den Worten des Künstlers zu sagen: „Wenn nichts passiert, hat man die Möglichkeit, über alles nachzudenken.“
Die Filme, in denen er Stunde um Stunde seinen schlafenden Liebhaber, seinen zigaretterauchenden Bekannten oder einfach nur das Empire State Building in einer einzigen oder nur wenigen Einstellungen porträtiert, waren selbst eingefleischten Warhol-Fans zu minimalistisch. Insofern stellt diese oft unterbelichtete Seite seines künstlerischen Schaffens einen merkwürdigen Kontrast zu seinen kommerziell so knallhart kalkulierten Arbeiten dar.

In der Tat streiten sich bis heute die Geister, was Warhol mit seiner Kunst am Ende bezweckt hat, außer um damit Geld zu verdienen, Ruhm zu ernten und sich als Pop-Ikone feiern zu lassen. Auch die sehr eloquente Autorin weiß letztlich darauf keine befriedigende Antwort, weiß aber seine Kunst ästhetisch und politisch zu interpretieren, ohne sich im Labyrinth abseitiger Kunsttheorien zu verirren. Sie bleibt ganz bei der Sache und bei Warhol, dessen Geschäftstüchtigkeit und Selbstinszenierung sie durchaus bewundert, aber deswegen noch lange kein verklärendes Heldenlied auf ihn anstimmt. Sondern die wichtigsten Warhol-Monographien zu Rate zieht und sich bei aller Deskription ein eigenes, ausgewogenes Urteil erlaubt.
Mit ihrer flott und pointiert formulierten Darstellung hat sie nicht nur die Konturen von Warhols Lebenswerk scharf nachgezeichnet, sondern uns auch Einblicke in die noch immer geltenden Mechanismen des modernen Kunstbetriebs verschafft.

Jörg von Bilavsky

Annette Spohn: Andy Warhol. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2008, 160 Seiten, 8,90 Euro.