Schnappschüsse
– Eine Auswahl von Briefen Arno Schmidts. Von Wolfram Schütte.
Als Teil einer Reihe von Büchern, die den 100. Geburtstag Arno Schmidts am 18. Januar 2014 (siehe CM vom 15.1.) nutzen, um den Autor wieder “ins literarische Gespräch” zu bringen – falls es dergleichen überhaupt noch gibt –, ist Ende des letzten Jahres eine Auswahl von Briefen des 1979 mitten in der Arbeit an seinem vierten Typoskript (“Julia”) gestorbenen Autors erschienen.
Die von Susanne Fischer & Bernd Rauschenbach verantwortete Edition der Arno Schmidt Stiftung erscheint in der sehr schönen Form der grauen Leinen/schwarze Pappe-Ausgabe, die bereits die drei Tagebuchausgaben Alice Schmidts von den Werk-Editionen absetzten.
1985 ff. waren schon 4 Brief-Bände erschienen: zuletzt (2007) ein “Briefwechsel mit Kollegen”, davor jene mit dem kollegialen Förderer Alfred Andersch, dem Maler Eberhard Schlotter & dem Freund Wilhelm Michels, über den & mit dessen Hilfe die Schmidts ihre Bargfelder Bleibe gefunden hatten.
Als Adressaten tauchen sie nun wieder in dem neuen Briefband auf, dessen Titel “Und nun auf, zum Postauto!” aus einem Brief Arno Schmidts an seine “Ma Dame” Alice stammt, als die Ehefrau einmal allein ihre Mutter & Schwester in Berlin besuchte & ihren Arno im Bargfelder Häuschen verwaist zurückließ…
Der Band ist wohl vor allem an Newcomer im Reiche des (Bargfelder) Silbenlöwen gedacht; denn den älteren Kennern & Liebhabern Schmidts dürften die Mehrzahl der Briefe aus den früheren Editionen längst bekannt sein. So hätte man es hier bei dieser Publikation der AS-Stiftung um die Imitation eines von Siegfried Unseld oft praktizierten Suhrkampverlags-Usus zu tun, Altes mit Neuem zu kombinieren?
In der Tat enthält der Band, dessen “chronologisch angeordnete” & knapp, i.e. nicht immer hinreichend annotierte Sammlung von Briefen & Briefentwürfen des Autors auch Äußerungen, die bislang noch nicht publiziert worden waren: in Briefen z. B. an seine Mutter, seine Schwester Lucy in den USA & an seinen “Schüler” Hans Wollschläger (für den er rührig bei Verlegern wirbt & den er gegen Verleger nachhaltig berät) und in der Korrespondenz mit dem “Stahlberg”-Lektor & -Verleger Ernst Krawehl, der zeit seines Lebens für AS warb, aber auch ihn gelegentlich als vorauseilender Zensor vor “Gefahren” zu schützen meinte, die Schmidts aufmüpfig-sexuell-freimütiger Prosa von Seiten der bundesdeutschen Justiz drohen könnten.
Auch wird an den knappen Dankschreiben Schmidts an Willy Brandt & Gustav Heinemann ersichtlich, dass die beiden sozialdemokratischen Politiker ihm während ihrer Amtszeit zu seinem 60. Geburtstag gratuliert haben müssen. Wenn diese Ehre, die dem grantigen Solipsisten gut getan haben dürfte, wohl einem kundigen Staatssekretär oder vielleicht Klaus Harpprecht zu verdanken sein dürfte, freut es einen doch, nun zu erfahren, dass sich hier “die Richtigen” gefunden hatten.
Insgesamt scheint die Auswahl des Briefbandes darauf zu zielen, dem bislang wenig kundigen Leser, sowohl den Lebensweg, die Arbeitsfelder & die individuelle Eigenart des Schriftstellers & Privatmannes Arno Schmidt fortlaufend – von seiner Jugend bis zur Apanage J.Ph. Reemtsmas – vor Augen stellen zu wollen. Nicht immer macht er dabei eine sympathische Figur. Eine Biographie ersetzt der Band jedoch nicht.
Wolfram Schütte
Arno Schmidt: “Und nun auf, zum Postauto!“ Briefe von Arno Schmidt. Herausgegeben von Susanne Fischer und Bernd Rauschenbach, Suhrkamp Verlag, Berlin 2013. Mit Abbildungen. 295 Seiten. 29,00 Euro. Foto Schmidt: Alice Schmidt © Arno Schmidt Stiftung.