Geschrieben am 14. Februar 2004 von für Bücher, Litmag

Arthur Phillips: Prag

In Schönheit gestorben

Im amerikanischen Feuilleton wurde das Debüt von Arthur Phillips geradezu überschwenglich gelobt: Von einem „Meisterstück“ ist da die Rede, von „hinreißender Scharfzüngigkeit und sarkastischer Großzügigkeit“. Die New York Times konstatiert knapp: „Most Notable Book of the year.“ Zusammen mit dem vollmundigen Versprechen des Schöffling Verlags – „ein großer Roman, den man verschlingen möchte“ – schrauben sich die Erwartungen so schon im Vorfeld ins Unermessliche. Doch dann, nach exakt 334 von 529 Seiten klappt der Rezensent das Buch angesichts seines definitiv erlahmten Interesses verzweifelt zu – und stellt zugleich sein literarisches Sensorium in Frage.

Doch der Reihe nach: Arthur Phillips Roman Prag spielt in Budapest, wo sich nach dem „zischenden Verpuffen des Kommunismus“ und dem Fall des Eisernen Vorhangs fünf junge Amerikaner treffen. Da sind der skurrile Nostalgieforscher Mark, der Risikokapitalmanager Charles, der Nachwuchsjournalist John und sein Bruder Scott sowie die Botschaftsangestellte Emily. Sie treiben durch die Budapester „Atmosphäre des Verfalls und verblichener Pracht“, durch die Straßen und Cafés und spielen das „Wahrheitsspiel“, bei dem erraten werden muss, welche mit schauspielerischer Ernsthaftigkeit vorgetragene persönliche Eigenschaft wahr ist und welche nicht. Sie, die in postmoderner Beliebig- und Orientierungslosigkeit aufgewachsen sind, wittern in der geschichtlichen Umbruchsituation neben dem nächtlichen Amüsement ein vages Versprechen von Sinn und Zukunft: „Einer muß unserer Generation erzählen, was das Ganze soll … Stehen wir für etwas? Oder gegen etwas? Wir müssen uns neu definieren.“

Begleitet von einem ständigen ironischen Plätschern wird in Prag in diesem Sinne ungeheuer viel geredet, diskutiert und fantasiert. Wie in einer Laborsituation durchstrahlt den Roman ein künstliches Licht, und die Protagonisten, die sich im rhetorisch brillanten Schattenboxen üben, bleiben dem Leser ebenso wie ihre wechselnden Satelliten merkwürdig fern. Ohne Zweifel zeichnet sich Arthur Phillips Prosa dabei durch große Eleganz und Geschmeidigkeit aus – doch beim Fußball würde man sagen: Er stirbt in Schönheit, vertändelt den Ball, entwickelt keinen Zug zum Tor.

In einem um sich selbst kreiselnden Romangeschehen stößt Charles schließlich auf den alten Imre Horvath. Dieser ist auf der Suche nach Kapitalgebern für seinen traditionsreichen Verlag, in dessen wechselvoller Geschichte sich diejenige Ungarns widerspiegelt. Der Horvath-Verlag versteht sich so auch als „das Gedächtnis“ des ungarischen Volkes – wobei egal ist, ob dieses gerade nationalistisch, sozialistisch oder neu-kapitalistisch angehaucht ist. Wie auch immer: Charles und seinen potentiellen westlichen Investoren scheint dieser Verlag in diesem historischen Augenblick eine gute Rendite zu versprechen.

Doch vom Fortgang der Geschichte und ob diese noch in die titelgebende Stadt Prag und an das Ziel aller Träume oder ganz woanders hin führt, kann der Rezensent nicht mehr berichten und bittet dafür um Verständnis. Vielleicht aber hat er das Beste ja doch noch verpasst? Ein letzter Zweifel bleibt.

Karsten Herrmann

Arthur Phillips: Prag. Aus dem Amerikanischen von Sigrid Ruschmeier. Schöffling & Co 2003. Gebunden. 529 Seiten. 26 Euro. ISBN 3-89561-148-4