Die sublimierte Kunst des konzentrierten Kurztrips
–Slow Travel geht sicher anders, aber wer die Tipps der New York Times-Reihe „36 Hours“ studiert, versteht sofort, was die wesentlichen Qualitäten einer fremden Stadt oder einer Insel ausmachen. Der aktuelle Band dreht sich um Asien, Australien & Ozeanien. Von Peter Münder.
Bildungsreise, Slow Travel, Dark Tourism (siehe CM vom 10.4.13) – diese Tourismus-Kategorien sollte man vergessen, wenn man sich auf die hier beschriebenen „36 Hours“-Trips einlässt. Denn man muss sich notgedrungen auf einige herausragende Sehenswürdigkeiten beschränken. Lange Bahnreisen, vom Railway-Spezialisten Paul Theroux („The Great Railway Bazaar“) favorisiert, sind ebenso out wie aufwendige Battlefield-Tours oder Schneckentempo-Exkurse im Milchwagen, die der Engländer Dan Kieran schätzt, um in eingehender Nabelschau eine Entdeckungsreise zum innersten Selbst zu wagen. Die New York-Times-Reihe „36 Hours“ spezialisiert sich auf Wochenend- Städte-Trips mit klaren Eckdaten: Ankunft am Zielort ist Freitagmittag, Abreise am Sonntag – „Weekend-Fast Travel“ ist also angesagt. Der Zeitaufwand für die Anreise ist natürlich nicht berücksichtigt. Da fragt man sich schon: Ist so ein Reiseführer nur für Shopping Queens mit Platin-Kreditkarte gedacht, für Plutokraten, die einen Gourmet-Tempel besuchen oder für Disco-Dancer, die auch mal in Shanghai eine Nacht durchmachen wollen? Verblüffendes Ergebnis: In diesem anspruchsvoll gestalteten, mit Stadtplänen und eindrucksvollen Fotos ausgestattetem Band favorisiert man die sublimierte Kunst konzentrierter Kurz-Trips.
Ob es um das Ausprobieren einer Pferdekopfgeige in Ulan-Bator/ Mongolei oder um eine Fahrt im Wasserbüffel-Taxi auf den exotischen japanischen Yaeyama-Inseln geht, eine ruhige Paddelrunde um das Inselchen Irikiri/ Ozeanien empfohlen wird oder eine bekannte Attraktion in Auckland, Chiang Mai, Kalkutta, Vientiane oder Shanghai: Die präzisen Infos konzentrieren sich auf das Wesentliche, gehen auch auf historische Hintergründe ein und liefern brauchbare, anschauliche Orientierungshilfen.
Die beliebten wöchentlichen Reisekolumnen der New York Times sind hier in den 60 beschriebenen Zielen konzentriert, die insgesamt Empfehlungen für 250 Restaurants und 150 Hotels liefern. Der Mix ist perfekt: Denn neben den bekannten chinesischen, japanischen, koreanischen, thailändischen, vietnamesischen und australischen Metropolen werden auch exotische Inselgruppen (Vanuatu) und andere Ziele abseits des Massentourismus wie Luang Prabang (Laos), Siem Reap (Kambodscha), Jaipur und Jodhpur (Indien), berücksichtigt. Auch Ziele in Taiwan, HongKong, Sri Lanka, Indonesien und den Philippinen werden erfasst, Burma ist allerdings noch nicht berücksichtigt.
Für die bekannten Mega-Metropolen gibt es die üblichen Restaurant-, Schneider-, Club- oder Disco-Tipps, doch der Band bietet eben auch detaillierte Empfehlungen für die Besichtigung kultureller Highlights in entlegenen Regionen. Das Kapitel Battambang/ Kambodscha etwa ist ein schönes Beispiel einer Empfehlung für eine kulturelle „Total Immersion“. Die Stadt mit 140 000 Einwohnern besitzt einen leicht morbiden Charme: Eine blühende Kunstszene mit diversen privaten Initiativen, verfallene Tempel außerhalb der Stadt, Boutique-Hotels sowie Galerien ergeben eine besonders attraktive Mischung. Naomi Lindt schreibt dazu: „Battambang setzt auf den Erhalt seiner Identität. Das Rezept: ein Mix aus lokalpolitischen Maßnahmen, privat finanzierten Sanierungsprojekten und Know-How aus Deutschland für den Aufbau neuer Infrastrukturen unter Erhalt alter Architektur. Am Ufer des Sangker-Flusses reihen sich Handelshäuser aus der französischen Kolonialzeit, jahrhundertealte Villen mit bordeauxroten Ziegeldächern und imposante Pagoden mit aufwendigen Flachreliefs auf. Eines der traditionellen Pfahlholzhäuser aus dem frühen 20. Jahrhundert am Stadtrand ist heute Heimat der Riverside Balcony Bar, wo man seine Dollars stilvoll loswerden kann. Suchen Sie sich ein Plätzchen auf der Holzveranda, um beim Zirpen der Grillen den Sonnenuntergang mit Blick auf den Fluss zu genießen“. Konkrete Besuchstipps sind dementsprechend: Ein „Spaziergang durch die Jahrhunderte“, „Schule und Zirkus“, Tempel auf dem Land, Khmer- und französische Restaurants, und eine Fahrt im gemächlichen Tempo mit der Bambusbahn in Wat Kor auf rollenden Bambusplattformen, angetrieben von Rasenmähermotoren.
Keine Frage: Dieser ebenso informative wie ästhetisch extrem ansprechende Führer bietet jedem Traveller wertvolle Tipps.
Peter Münder
Barbara Ireland (Hrsg): 36 Hours. Asien, Australien & Ozeanien. Übersetzt von Ulrike Lowis u. Lisa Voges, Taschen Verlag, Köln 2014. 299 Seiten. Mit Farbfotos. 19,99 Euro. Mehr Infos zur Reihe hier.