Die Kraft des Fußballs
Der blutige Angriff auf das Nationalteam Togos während des Africa Cup of Nations hat tiefsitzenden europäischen Ängsten und Vorurteilen neue Nahrung geben. Einen differenzierten Blick auf den Fußball in Afrika bietet diese Reportagesammlung von Bartholomäus Grill, der objektiv berichtet und gleichzeitig überzeugend für eine notwendige afrikanische WM 2010 plädoyiert. Von Peter Münder
Wer war der einzige Weiße, der es wagen durfte, dem blutrünstigen Diktator Idi Amin Dada die ungeschminkte Wahrheit zu sagen und dem Schlächter sogar zu widersprechen? Es war der deutsche Fußballtrainer Burkhard Pape, der von 1968–1973 das Fußballteam von Uganda trainierte und die „Kraniche“ zur besten Mannschaft der Welt formen sollte – so lautete jedenfalls sein Auftrag. Pape ließ sich von Idi Amin weder die Trainingsmethoden noch die Mannschaftsaufstellung vorschreiben, was ihm allerdings auch viele schlaflose Nächte bereitete.
Bartholomäus Grill, seit fünfzehn Jahren Afrika-Korrespondent der ZEIT, beschreibt in seinem mitreißenden Trainer-Porträt „Tee mit dem Tyrannen“ – einer von fünfzehn Beiträgen in dem vorliegenden Band – welchen Stellenwert Fußball in Afrika besitzt und wie hier neuestes europäisches Trainings-Know-how, afrikanische Lässigkeit und uralte Mythen bis hin zur Hexerei eine wundersame Symbiose eingehen. Grill ist dabei fast in jeder Zeile seine extreme Fußball- und Afrika-Begeisterung anzumerken, die sich direkt auf den Leser überträgt. „Laduma“ heißt übrigens „Tor“, und selbst die fünf „u“ im Titel scheinen für Grill und seinen Enthusiasmus kaum auszureichen. Aber auch kritische Untertöne, Hinweise auf Korruption und Vetternwirtschaft, auf latenten Größenwahn einiger afrikanischer Herrscher und auf die Heldenverehrung träger Kicker-Kings, die trotz ihrer Unfähigkeit weiter zum Einsatz kommen, unterdrückt Grill keineswegs.
Daher wirkt er auch besonders glaubwürdig, wenn er über begeisterte jugendliche Fußballer spricht oder über den Motivationsschub, den kickende Gefängnisinsassen auf der berüchtigten vor Kapstadt gelegenen Robben Island über den Fußball beziehen: „Fußball heißt Freiheit“, nennt Bartholomäus Grill diesen bewegenden Bericht über den Hochsicherheitsknast, in dem Staatsfeinde wie Nelson Mandela terrorisiert wurden, um ihren rebellischen Geist zu brechen. Beim Fußball konnten diese Unterdrückten und Entrechteten wieder Mut schöpfen und Zukunftsperspektiven entwickeln. Er selbst hat in Afrika immer wieder Fußball als befreienden Gleichmacher von Schwarz und Weiß, als Versöhnungsinstrument und optimales Kommunikationsmittel erlebt. Und in kritischen Konfliktsituationen erwies sich eine Diskussion über Fußballer und berühmte Teams oft genug als idealer Konfliktlöser.
Grill hat mit Lumpensoldaten im Kongo und mit Kindersoldaten in Sierra Leone über Fußball diskutiert; er trainierte die jugendlichen „Radium Stars“ in Johannesburg, er hörte im afrikanischen Busch auf seinem Weltempfänger das Bundesligaspiel Borussia Dortmund-Bochum und schrie beglückt „Tor! Tor!“ in den Dschungel, als „sein“ BVB 3:1 gewann und sich damals – es war die Saison 1994/95 – direkt zur Meisterschaft durchkämpfte. Irritierend war für ihn nur, dass die Kinder, die ihn da in der Zentralafrikanischen Republik verstört beim Hineinhorchen in sein kleines Radio beobachteten, noch nichts vom BVB und von Sabine Töpperwien gehört hatten…
Bartholomäus Grill
Mitreißend erzählt und objektiv berichtet
Wenn man die faszinierenden Reportagen über das „Fußballmärchen von Togo“, den „Quantensprung im Orangenheim“ oder die „Vergessene Pavianpfote“ gelesen hat, fragt man sich schon, weshalb der Autor noch nicht als deutscher (Fußball-)Botschafter in Afrika eingesetzt wurde. Auch bei seiner Hamburger Buchvorstellung, passenderweise im Clubheim des Zweitligisten FC St. Pauli, sprang der Funke seines engagierten Plädoyers für die afrikanische WM 2010 auf die versammelten Journalisten sofort über.
Trotz seiner Medienschelte, mit der er seine Buchpräsentation eröffnete: Das von den Medien hierzulande vermittelte Afrika-Image sei viel zu negativ, bemängelte Grill und bezog sich dabei auf Berichte, in denen die hohen Kriminalitätsraten in Südafrika nicht unterschlagen wurden. Außerdem wirkten all die gutsituierten, in Südafrika akkreditierten Kollegen unglaubwürdig, die zwar regelmäßig in Luxus-Hotels und Edel-Restaurants anzutreffen seien, sich jedoch meistens über die Armut und den geringen Lebensstandard vor Ort echauffierten.
Das deutsche Fußball-WM-Sommermärchen soll nun also auch in Südafrika Schule machen: Es kann eigentlich nur eine grandiose Erfolgsgeschichte werden, meinen die panafrikanischen WM- Befürworter, die sich Tausende neuer Arbeitsplätze, eine verbesserte Infrastruktur und ein lockeres, verspieltes Image versprechen. Die Skeptiker warnen dagegen vor überzogenen Hoffnungen und weisen auf korrupte Machenschaften von Bürokraten und Baufirmen hin und halten eine langfristige Sicherung von Arbeitsplätzen für illusorisch. Viele Kritiker lamentieren im Vorfeld der WM über Kriminalität und Korruption, die schlechten Straßen und die hohen Verkehrsunfallraten (doppelt so hoch wie in Deutschland). Dieses defätistische Lamento bringt den Afrika-Fan Grill auf die Palme: „Afrika hat lange genug auf diese Chance gewartet, der positive, auch auf andere afrikanische Staaten ausstrahlende Effekt wird sehr überzeugend sein“, meint er.
Übrigens führt man jetzt auch in England vor den Londoner Olympischen Spielen von 2012 ähnliche Debatten über inkompetente britische Planungsteams, versickernde Millionensummen, unzureichende Infrastruktur-Maßnahmen und über „Weiße Elefanten“ – also ineffiziente Londoner Mega-Projekte, die sich nach den Spielen als Total-Flops erweisen werden. Diese Diskussionen werden ja nicht zum ersten Mal geführt, Athen, München, Los Angeles und andere Olympia-Baustellen lassen grüßen. In Kapstadt lauten die Fragen: Sollte man die WM- Millionen lieber in den Aufbau einer funktionierenden Kanalisation oder in das Gesundheitssystem investieren? Kann es wirklich zu einer positiven Ausstrahlung auf den gesamten afrikanischen Kontinent durch diese WM kommen?
Fußball-Freudenfest als Chance für den Kontinent
„Ke nako!“ heißt das erste Kapitel, und dieses Motto „Es ist Zeit!“ ist auch das Leitmotiv des Buches: Zeit für die WM, für ein harmonisches Freudenfest rund um den Fußball, meint der bekennende BVB-Fan. Als er am Schluss seiner Buchvorstellung noch erklärt, für welchen deutschen Verein er früher spielte, da geht ein mächtiges Strahlen über das Gesicht des sympathischen Autors, als er mit Glanz in den Augen den provinziellen „TSV Eichstätt“ nennt. Es ist schon eine Freude, einen Reporter zu erleben, der noch so mitreißend schwärmen und erzählen kann und sich trotzdem objektiv mit dem verminten Topos Afrika auseinandersetzt.
Ob die Fußball-WM sich tatsächlich als das panafrikanische Allheilmittel für die Lösung gravierender Probleme herausstellt, muss sich erst erweisen – Skepsis ist sicher angebracht. Doch erst einmal, da kann man Bartholomäus Grill nur zustimmen, sollte man dem Land die Chance geben, so ein gigantisches Fußballfest auszurichten.
WM-Skeptiker sollten dieses herrliche Buch lesen, das einen begeisternden Enthusiasmus für das Land und seine verspielten Fußballfans vermittelt, ohne dabei kritische Aspekte auszublenden. Das liegt sicher daran, dass Grill selbst so viele positive Erfahrungen als Amateurtrainer mit afrikanischen Kickern gemacht hat und davon überzeugt ist, dass man mit Fußball mehr erreichen kann als mit allen anderen Mitteln.
Peter Münder
Bartholomäus Grill: Laduuuuuma! Wie der Fußball Afrika verzaubert.
Hamburg: Hoffmann & Campe Verlag 2009. 255 Seiten. 20 Euro
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