Geschrieben am 8. Mai 2013 von für Bücher, Litmag

Bruce Bégout: Der ParK

Bruce_Bégout_Der_ParKGehen wir gemeinsam Horror genießen im Park

– Die Idee des „Dark Tourism“ hat uns bereits vor einem Monat beschäftigt – der französische Soziologe Bruce Bégout hat sie in seinem Roman „Der ParK“ auf die Spitze getrieben: Im Freizeit-Themenpark auf einer Insel bei Borneo kann eine Plutokraten-Elite Nervenkitzel und menschenverachtende Todesspielchen genießen. Es ist eine brillant formulierte utopische Vision, die nicht so abwegig ist, wie sie scheint. Von Peter Münder.

Die „Faszination des Schreckens“ sei ein starkes Motiv für die enorme Zunahme des „Dark Tourism“, konstatiert der Paderborner Tourismus-Forscher Professor Albrecht Steinecke (Vgl. „Kaffeefahrten zur Hölle oder historische Edutainment-Exkursionen?“ in CULTurMAG vom 10. April 2013). Immer mehr Touristen begnügten sich nämlich nicht mehr mit beschaulichen Trips nach Venedig, Rothenburg ob der Tauber oder nach Neuschwanstein, sondern besuchen die ehemaligen KZ von Dachau und Auschwitz, den Pariser Promi-Friedhof Pere Lachaise, die Killing Fields in Kambodscha oder den ehemaligen Stasi-Knast Hohenschönhausen. Das Erkenntnisinteresse an den düsteren historischen Epochen, wozu auch der Katastrophen-und-Schlachtfeld-Tourismus gehört, sei nämlich extrem gewachsen.

Aber gibt es nicht auch eine Grauzone auf dem Tourismussektor, bei dem die Suche nach dem Nervenkitzel überwiegt? Wenn man beim Besuch des strahlenden Atomreaktors in Tschernobyl den Geigerzähler ticken hört oder in Fukushima die Auswirkungen des Tsunami und der Reaktorkernschmelze wahrnimmt, überwiegt dann nicht der Thrill des Voyeurs, der diese Katastrophe zwar mit leichtem Gruseln nachempfindet, sich aber damit trösten kann, von diesem Horror verschont geblieben zu sein? Richtete sich der Furor des österreichischen Polemikers Karl Kraus gegen die Schlachtfeld-Touristen in Verdun und die komfortablen „Reklamefahrten zur Hölle“ nicht speziell gegen diese Tendenz, bei Kaffee und Kuchen oder beim Glaserl Wein dem horror vacui vergangener Zeiten zwar auf der Spur zu sein, ihm jedoch elegant von der Schippe gesprungen zu sein?

Diesen Trend zum gefährlichen Rendezvous mit dem Horror im exklusiven Themenpark hat der französische Soziologe und Urbanitätsforscher Bruce Bégout, 45, in seinem utopisch gefärbten Kurzroman „Der ParK“ (das große K steht offenbar für „Kulturkampf“) schon 2011 zu einer bestechenden, packenden Vision ohne herkömmlichen Plot oder Hauptfiguren essayartig komprimiert. Es ist eine wunderbare, brillant geschriebene Ergänzung zur „Dark Tourism“-Debatte.

Ein Erzähler berichtet von eigenen Eindrücken während eines Besuchs: Er beschreibt ein Modell, das Entertainment als Suche nach dem ultimativem Kick in die Zukunft projiziert und für eine kleine Plutokratenelite weiterentwickelt. Dabei stößt der Kulturbegriff allerdings an seine Grenzen, denn hier überlappt sich das Konzept von Unterhaltung und KZ, von Freizeitpark und Gefängnis. Und welche „Besucher“ nur angeheuerte, staunende Schauspieler sind und welche echt sind, bleibt völlig offen. Manche Besucher werden hier auch gefangen genommen, man munkelt auch von existierenden Folterkammern.

Der vom klaustrophilen Architekten Licht entworfene ParK ist eben ein Versuchslabor, eine permanente Baustelle, in der neue Konzepte ausprobiert werden: Wie kann der Stadt-Land-Konflikt aufgehoben werden, wie kann eine neuronale Architektur das menschliche Denken beeinflussen? Wie kann der menschliche Arbeitsbereich eines Büros mit dem tierischen Habitat harmonieren? Im streng abgeschirmten Bürobereich von ParK sollen Beamte mit Schlangen zusammenleben, gelegentlich werden einige Büroarbeiter von Boas verschlungen … Alles scheint hier möglich zu sein. Daraus ergibt sich auch ein Krimi-ähnlicher Spannungsbogen, denn nichts ist in ParK, wie es scheint.

zeropolis-bruceBégout hatte schon in „Zeropolis“, seiner Studie über Las Vegas (von 2002) dieses Glitzer- und Spieler-Dorado als Inkarnation und Abgesang des American Dream bezeichnet. Er ist offenbar vom Altmeister Emile Durkheim und dessen Thesen über die Auseinandersetzung mit dem Fremden beeinflusst und kennt natürlich auch Houellebecq und dessen Gewalt-Kritik. Bégout liefert hier ein weiteres, aber radikaler zu Ende gedachtes Traktat, das Zivilisationskritik nicht nur als Hedonismus-Exzess begreift, sondern auch neue Ansätze bei Architektur, Identitätsbildung, Naturverständnis und Abenteurertum sucht.

Premium-Perversion als Freizeitspaß: Für 15 000 Dollar Eintrittsgeld kann der Besucher – es werden täglich nur hundert eingelassen – auf der bei Borneo gelegenen Privatinsel des milliardenschweren russischen Waffenhändlers und Themenpark-Entrepreneurs Kalt prickelnde, haarsträubende Erfahrungen der besonderen Art machen. Hier ist Interaktion angesagt statt voyeuristischer Konsumbeflissenheit. Auf das Fremde und das gefährliche Risiko soll sich der Besucher einlassen, das Ungewisse, Unberechenbare verleiht dem Besuch den besonderen Kick. Wer Pech hat, bleibt allerdings auch gelegentlich auf der Strecke und wird von Scharfschützen erschossen. Doch diese unerquicklichen Einsichten in den innerbetrieblichen ParK-Ablauf deutet der Erzähler nur vorsichtig an.

Das Leitmotiv von ParK scheint „Schluss mit der vulgären Leichtigkeit!“ zu sein.

„Licht sucht die Hybris“, erklärt der Erzähler, „aber nicht in Überdimensionierung und Extravaganz, die letztlich immer nur das Banale aufblähen, sondern im gewaltsamen und unnatürlichen Zusammenprall von Stimmungen.“ Statt Tourismus light in sedierter Disneyland-Atmosphäre möchte der elitäre ParK radikale Alternativ-Konzepte bieten, die Architekt Licht konsequent zu Ende gedacht hat: „In einem vorhersehbaren und rationalen Universum ist der Wahnsinn der einzige Weg zur Erlösung“.

ParK ist also das ultimative, radikal-aberwitzige und geniale Plädoyer für einen extremen „Dark Tourism“. Ziemlich irre, anspruchsvoll und in sich schlüssig – genau wie ParK.

Peter Münder

Bruce Bégout: Der ParK. Aus dem Französischen von Franziska Humphreys-Schottmann. Diaphanes Broschur 2011. 128 Seiten. 10,00 Euro. Verlagsinformationen zum Buch und zum Autor.

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