Geschrieben am 27. September 2004 von für Bücher, Litmag

Chang-rae Lee: Turbulenzen

Süffige Virtuosität

Chang-rae Lee zeichnet in seinem neuen Roman „Turbulenzen“ mit leichter Hand eine multi-kulturelle Familiengeschichte.

„Von hier oben, achthundert Meter über der Erde, sieht eigentlich alles ganz perfekt aus“ – wenn Jerry Battle mit seiner Propellermaschine „Donnie“ über Long Island schwebt, löst sich der übliche Alltagswust aus kleinen und großen Katastrophen, nervigen Routinen und verzwickten Beziehungen zu einer wunderbaren Klarheit und Leichtigkeit auf.

Jerry Battle ist der Ich-Erzähler von Chang-rae Lees neuen Roman „Turbulenzen“. Mit seinen knapp 60 Jahren könnte Jerry, der seine Gartengestaltungsfirma schon an seinen Sohn Jack übergeben hat, ein Leben in luftigen Höhen genießen – wenn ihn der Alltagswust nicht immer wieder auf den harten Boden zurückziehen würde. So hat ihn seine langjährige Lebensgefährtin Rita gerade verlassen, sein Sohn Jack, der in typisch amerikanische Manier ein voll klimatisiertes Leben in einem Luxus auf Pump führt, fährt die Firma unbeirrt gegen die Wand und seine „ungemein literarisch gebildete, intellektuell total überzüchtete Tochter Theresa“ ist nicht nur schwanger, sondern muss zugleich mit einer schrecklichen Krebs-Diagnose zurechtkommen. Und dann lauert tief in der Vergangenheit auch noch die tragische Geschichte vom frühen Tod seiner asiatischen Frau Daisy.

Sittenbild des amerikanischen Lebens

Chang-rae Lee saugt den Leser mit seiner sinnlichen und im lockeren Alltagsslang gehaltenen Prosa direkt in diese multi-kulturelle Familiengeschichte hinein. Er brennt ein wahres Feuerwerk überraschender Vergleiche ab und zeichnet mit ebenso großer Leichtigkeit wie augenzwinkernder Ironie ein Sittenbild des amerikanischen Lebens in der gehobenen Mittelschicht, das an John Updike erinnert.
Mit dem Fortschreiten des Romans wird der Ton des Ich-Erzählers jedoch leicht geschwätzig. Im saloppen Räsonieren über alles und nichts droht die Linie der Geschichte verloren zu gehen und die süffige Virtuosität des 1969 in Korea geborenen und mit drei Jahren in die USA gekommenen Schriftstellers bekommt einen schalen Nachgeschmack wie zu süßer Sangria. Doch am Ende bekommt Lee wieder elegant die Kurve und entlässt seine Leser mit einem dramatisch-lakonischen (Flug-) Manöver.

Karsten Herrmann

Chang-rae Lee: Turbulenzen. Deutsch von Christa Schuenke. Kiepenheuer & Witsch 2004. Gebunden. 441 Seiten. 22,90 Euro.