Interkulturelles Lehrstück
– Die gebürtige Nigerianerin Chimamanda Ngozi Adichie gehört wie ihr Landsmann Teju Cole, der Dominikaner Junot Diaz oder der Pakistaner Mohsin Hamid zu einer neuen Generation von Kosmopoliten und „Weltliteraten“. Sie sind Grenzgänger zwischen den Ländern und Kulturen und schöpfen aus ihrer gebrochenen Identität und einem scharfen Blick für die Differenz einen enormen literarischen Mehrwert. Von Karsten Herrmann.
In ihrem Roman „Americanah“, der vergangenes Jahr in die „Top Five“ der New York Times gewählt wurde, erzählt Ngozi Adichie über den Aufbruch in eine neue Welt, den Preis des Ankommens und über die spätere Rückkehr in die Heimat – und legt damit nicht nur einen facettenreiche Entwicklungs- und Liebesroman vor, sondern bietet auch ein interkulturelles Lehrstück par excellence.
Adichies Protagonistin Ifemelu hat es geschafft: Als „Princeton“-Stipendiatin und erfolgreiche Bloggerin zum Thema Rasse und Rassismus ist die gebürtige Nigerianerin nach über zehn Jahren in Amerikas liberaler und finanziell abgesicherter Intellektuellenschicht angekommen – „und doch war Beton in ihrer Seele“. Die Sehnsucht nach ihrer Heimat hat sie gepackt und in einem afrikanischen Haarsalon, in dem ihr über Stunden hinweg Extensions geflochten werden, lässt sie ihre Vergangenheit Revue passieren.
Im Rückblick lässt Adichie sie atmosphärisch dicht und alltagsnah von ihrer Kindheit und Jugend in Lagos erzählen, von Stromausfällen, Putschen, Korruption, ausgehaltenen Frauen und einer um sich greifenden Lethargie und Resignation: „Alle sprachen davon, ins Ausland zu gehen.“ Auch sie wagt den Aufbruch nach Amerika, lässt ihre erste Liebe Obinze zurück und kommt bei ihrer Tante Uju unter, die sich mit drei verschieden Jobs durchschlägt und nebenbei für eine Medizinprüfung lernt. Auch für Ifemelu beginnt ein verzweifelter Kampf ums Überleben in der Überflussgesellschaft. Die immer wieder neuen Jobabsagen führen sie soweit in Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung bis sie eine Grenze überschreitet. Sie verfällt in „Selbstekel“ und bricht den Kontakt zu ihrer großen Liebe Obinze ab: „Amerika hatte sie bezwungen“. Erst als sie ein Job als Kindermädchen bei einer reichen Familie bekommt, öffnet sich ihr ein Hoffungsfenster und sie fasst Fuß in ihrer neuen Heimat, dem multikulturellen und doch von Rassenschranken bestimmten Schmelztiegel USA.
Tausend Spielarten des Rassismus
In parallelen Einblendungen erzählt Adichie auch den Lebensweg von Obinze, der mit einem Touristenvisum nach England reist, sich mit Aushilfsjobs über Wasser hält, eine Scheinehe anbahnen lässt und schließlich doch abgeschoben wird. Zurück in seiner Heimat kommt er als protegierter Immobilienmakler dann aber zu Reichtum und trifft auf die Rückkehrerin Ifemelu, die in Lagos „in das fremde Vertraute“ zurückfällt und wieder zwischen den Welten steht.
„Americanah“ ist ein Roman, der sich zusammen mit seinen Protagonisten und ihrem existentiellem Kampf um die Zukunft langsam entwickelt und den Leser dabei immer stärker in den Bann zieht. Adichie gibt einem immer authentisch klingenden Einblick in das Leben von Migranten, in ihren Kampf ums Überleben, ihre Hoffnungen und Zerrissenheit. Nuancenreich führt sie dabei die zwischenmenschlichen und kulturellen Missverständnisse und Verwerfungen in einem fremden Alltag vor, der mit seinen Codes, Signifikanten und Verhaltensregeln erst einmal entschlüsselt werden muss.
Gnadenlos und auch in Form von eingestreuten „Blogs“ von Ifemelu offenbart dieser Roman die tausend Spielarten des Rassismus vom tumben Fremdenhass bis zur sublimen Verletzung und Ausgrenzung in kleinen alltäglichen Situationen. Beispielhaft zeigt sich das widerspenstige krause schwarze Haar hier als vieldiskutierte „Metapher für Rasse“, aus der allzu oft noch der gesellschaftliche Zwang zum schmerzhaften Glätten und Bleichen resultiert. Die Hoffnung auf einen historischen Wendepunkt im Verhältnis der Rassen zueinander macht sich bei Ifemelu und ihren Freunden schließlich an Barack Obamas Präsidentschaftskandidatur fest und lässt den Leser noch einmal bei der dramatischen Entscheidung mitfiebern und ihre ganze Bedeutsamkeit aufscheinen.
Karsten Herrmann
Chimamanda Ngozi Adichie: Americanah (Americanah, 2014). Aus dem Englischen von Anette Grube. S. Fischer 2014. 612 Seiten. 21,99 Euro.