Geschrieben am 16. Februar 2004 von für Bücher, Litmag

Denis Johnson: Fiskadoro

Nach der großen Vernichtung

In seinem schon Mitte der achtziger erschienen Roman „Fiskadoro“ führt Denis Johnson uns in eine ebenso fremde wie faszinierend Welt nach der atomaren Apokalypse.

Denis Johnson, der mittlerweile als einer der wichtigsten und zugleich radikalsten amerikanischen Gegenwartsschriftsteller gilt, erlebt in Deutschland schon zu Lebzeiten seine Renaissance: So wurden in den letzten drei Jahren neben dem aktuellen Roman „Schon tot“ auch seine beiden Anfang der 80er Jahre entstandenen Frühwerke „Jesus Son“ und „Engel“ neu herausgegeben, deren eingedampfte Prosa von kristalliner Härte und trunkener Traurigkeit den Kultstatus des Autors begründete.

Leben und Lieben der Gefallenen


Der 1949 als Sohn eines amerikanischen Soldaten in München geborene Johnson, der früh eine intensive Alkohol- und Drogenkarriere begann und heute nur noch „jede Menge Kaffee“ trinkt, leuchtet in seinen Stories und Romanen das Leben und Lieben der Gefallenen dieser Welt, der Einsamen, Verzweifelten und Gescheiterten aus. Auch in seinem 1985 – also in der Zeit von Nato-Doppelbeschluss und kaltem Krieg – erschienenen und jetzt neu veröffentlichten Roman „Fiskadoro“ bestätigt sich dies einmal mehr. Und trotzdem ist hier alles anders: Denn „Fiskadoro“ ist ein postapokalyptischer Roman und spielt nach der „großen Vernichtung“. Wir befinden uns in einer „Zeit zwischen den Zivilisationen“ und hier, im Süden Floridas, „wo der Sand zersplittertem Elfenbein gleicht“ ist niemand mehr auf der Sonnenseite des Lebens: Alle sind in der einen oder anderen Form „Desechados“ – Ausgestoßene.

Unfassbar und vergessen


In archaischen Gemeinschaften voller Magie, Voodoo und religiösem Wahn leben hier „Sumpfleute“, „Israeliten“, missbildete Bettler, Fischer und verwegene Gestalten wie der Händler und Prophet Cassius Clay Sugar Ray oder der Destillateur und Sound Show-Man Bill Banks. Mitten unter ihnen auch die beiden Protagonisten, Herr Cheung – der Leiter des Miami-Sinfonie-Orchesters und Mitglied der Wissensgesellschaft von Twicetown – sowie Fiskadoro, der junge Sohn eines einfachen Fischers.

Herr Cheung ist auf der Suche nach jenem Text, der „das Ende der Welt erklärte“ und pflegt seine hundertjährige Großmutter, die als junges Mädchen aus Vietnam nach Amerika geflohen war und ihre Erinnerungen in sich verschlossen hält. Sie mahnt ebenso an das Unfassbare und schon fast Vergessene wie die auf dem Marktplatz von Twicetown stehende, nicht gezündete Atombombe von der Größe eines Hauses.

Herr Cheung unterrichtet aber auch den geheimnisvollen Fiskadoro im Klarinettespielen. Die geheimnisvollen Leute liegen ihm, der nachts vom „Mondrappel“ gepackt näher als die Sprache, die er nur rudimentär und mit spanischen Wortbrocken durchschossen beherscht. Fiskadoro, dessen Vater eines Tages beim Fischen ertrinkt und dessen Mutter in ihrer Brust einen „Tumor vom Tot-Macher“ entdeckt, ist ein Grenzgänger, den es in eine andere Welt zieht: „Geh rein in den Nebel. Geh, bleib nich stehn. Geh durch die Angst. Angst is eine Tür!“ Eines Tages verschwindet Fiskadoro jenseits der Dünen und erlebt bei den Sumpfleuten eine rituelle Initiation: Ihm wird ein „Gedächtnissaft“ verabreicht und „alles, was er über die Welt wusste, hatte seinen Sinn verloren… Er musste von vorn anfangen.“

Denis Johnson hat mit „Fiskadoro“ einen literarischen Kosmos geschaffen, der zugleich ungeheuer fremd, ja verstörend ist und dennoch magisch anziehend wirkt. Sein halluzinative Prosa ist im Gegensatz zu seinen kristallinen Erstlingen tropisch erhitzt und hoch poetisch. Und trotz aller Verzweiflung und Düsternis ist der Roman von blitzenden Hoffnungsschimmern und einer schon fast religiösen Erlösungs-Utopie durchzogen: „Es ist die Kraft weiterzuleben, wenn die Hölle naht.“

Karsten Herrmann

Denis Johnson: Fiskadoro. Rowohlt, 255 S., 19,90 Euro.