Geschrieben am 28. Mai 2014 von für Bücher, Litmag

Die Paris Review Interviews. Teil 2

parisreview02„Warum nicht mal blasphemisch sein?“

– Die spannenden, extrem ausführlichen „Paris-Review“-Interviews mit prominenten Autoren gibt es nun auch in einer deutschen, sehr liebevoll gestalten Ausgabe – ein echtes Lese-Abenteuer. Von Peter Münder

Als der „Paris Review“ 1953 von amerikanischen Künstlern und Autoren um Peter Matthiessen und George Plimpton in Paris gegründet wurde, gehörten ausführliche Autoren-Interviews (neben Kurzgeschichten und Lyrik )von Anfang an dazu und wurden schnell zum Markenzeichen des vielseitigen Kultur-Magazins. Denn die Interviewer wollten alles genau über das Handwerk des Schreibens wissen, sie ließen sich nicht mit saloppen Floskeln abwimmeln und führten die Gespräche mit EM Forster, Hemingway, Graham Greene, Böll, Nabokov, Borges, Beckett, Pinter, Mamet, Ionesco, Arthur Miller, McEwan, Saul Bellow, Faulkner, Albee, Sam Shepard und vielen anderen oft im Verlauf von etlichen Wochen oder Monaten. Anvisiert waren dabei immer Sichtweisen und Aussagen, die über den Tag hinausgingen.

Inzwischen wird der „Paris Review“ in New York herausgegeben; seit 2010 gibt es einen sehr gelungenen Relaunch, der nun auch große Fotoreportagen und Non-Fiction-Beiträge einbezieht. Ein über 400 Seiten starker Band Band „Playwrights at Work“ mit Interviews von Dramatikern (von Thornton Wilder 1956 bis David Mamet 1997) erschien im Jahr 2000, der Erste ins Deutsche übersetzte Band mit Autoren-Interviews wurde 2012 veröffentlicht, dies ist nun also der zweite übersetzte Band. Er hält sich an das altbewährte Erfolgsrezept und präsentiert Interviews mit bekannten Autoren wie William Faulkner, Saul Bellow, Max Frisch, Evelyn Waugh oder Jorge Louis Borges, die wir längst zu den Klassikern zählen, neben Gesprächen mit Haruki Murakami, VS Naipaul, Simone de Bauvoir, Raymond Carver, Jean Rhys, Elizabeth Bishop und Alice Munro.

Mag sein, dass diese extrem ausführlichen Interviews heute eher von Nostalgikern geschätzt werden, die mit kürzeren, schnell fabrizierten online-Texten nicht viel anfangen können, weil sie das Bohren in der Tiefe vermissen und gerne Details darüber erfahren möchten, wie ein Schriftsteller fertige Texte korrigiert, neue Versionen fabriziert oder woher er seine Inspiration bezieht. Die Grundsatzfrage, ob und wie sich biographische Details überhaupt auf einen Roman oder auf ein Theaterstück auswirken, möchte der Leser natürlich auch gern geklärt wissen – selbst wenn manche Fragen dann doch ziemlich läppisch wirken. „Angeln Sie immer noch?“ wird etwa Raymond Carver 1983 vom Interview-Duo Mona Simpson und Lewis Buzbee gefragt. Da glaubt man schon in einem banalen TV-Promi-Talk gelandet zu sein, doch dann entwickelt sich das Gespräch zur spannenden Grundsatzdebatte über biographische und literarische Einflüsse. Natürlich kommen auch Carvers Alkoholexzesse, seine Therapieversuche und die anvisierte Leser-Zielgruppe zur Sprache- mit überraschenden, beeindruckenden Antworten, die Carver als uneitlen Autor zeigen, dem es nur um die Literatur geht und der uns nicht mit Bildungsbürgerphrasen imponieren will.

Evelynwaugh

Evelyn Waughn

Wunderbar auch das Interview mit Borges von 1967. Der Büchernarr Borges („Universalgeschichte der Niedertracht“) hockt in Buenos Aires in der riesigen National- Bibliothek, lässt seine literarischen Vorlieben für spanische und britische Autoren Revue passieren und sondert plötzlich zum Stichwort Shakespeare und dessen „bombastischem“ Stil („Dieses andere Eden, dieser Edelstein eingefasst in silberne See“) gegenüber dem Interviewer Ronald Christ die Frage ab: „Warum nicht mal blasphemisch sein, wenn man schon einmal dabei ist?“ Borges blasphemische Spitze richtet sich gegen des Elisabethaners geradezu südländisch-leichten Sprachstil, der ihm italienisch-theatralisch und „jüdisch“ vorkommt und sich stark von Samuel Johnson, Wordsworth oder Kipling unterscheide, die Borges für die wahren, typischen Engländer hält. Hamlets finales Verdikt „Der Rest ist Schweigen“ hält Borges für eine überstilisierte Floskel: „Das hat etwas Aufgesetztes; es soll beeindrucken. Ich glaube nicht, dass je irgendjemand so etwas sagen würde“, erklärt der große Sprachartist Borges, zu dessen Lieblingslektüre immer die Encyclopedia Britannica gehörte.

Kurios und köstlich das 1962 im Londoner Hyde Park geführte Interview mit Evelyn Waugh: Vor dem Interview hatte Waugh („Brideshead Revisited“) den Interviewer Julian Webb darüber belehrt, dass der keineswegs ein Tonbandgerät benutzen dürfte, dann legt sich Waugh für das Gespräch ins bombastische Himmelbett und zetert griesgrämig darüber, dass der Interviewer sein Aufnahmegerät vergessen hätte. Seine hämischen Spitzen werden immer bissiger („Haben Sie das Gerät verkauft? Für wieviel Pfund?“), aber der Interviewer lässt die sarkastischen Attacken an sich abperlen – wahrscheinlich, weil er die unberechenbaren cholerischen Anfälle des Satire-Großmeisters genau kannte und keinen Rauswurf riskieren wollte. In seinem dem Interview vorgeschalteten Kommentar weist Webb übrigens darauf hin, wie „liebenswürdig“ Waugh gewesen sei – offenbar muss man als Interviewer auch über einen ausgeprägten Masochismus verfügen.

Fazit: Die „Paris Review“-Interviews sind zwar schon lange zu Klassikern avanciert, aber sie sind immer noch von einer wunderbaren, spannenden und aktuellen Frische und Originalität. Und so liebevoll mit Faksimile-Manuskript-Reproduktionen illustriert!

Peter Münder

Die Paris Review Interviews. Teil 2. Aus dem Englischen und herausgegeben von Alexandra Steffes. Edition Weltkiosk, März 2014. 352 Seiten. 19,90 Euro. Foto: Carl Van Vechten, Quelle.

Tags : , , , , ,