Geschrieben am 14. Februar 2004 von für Bücher, Litmag

Don DeLillo: Cosmopolis

Im schwarzen Loch unserer Zeit

In seinem neuen Werk legt Don DeLillo eine zynisch-verzweifelte Zeitanalyse vor und stellt erneut seine Ausnahmestellung in der Gegenwartsliteratur unter Beweis.

Eric Packer ist ein erolgreicher und sagenhaft reicher Vermögensverwalter aus einer Generation, die „jung und clever“ und „von Wölfen aufgezogen“ worden ist. An einem Tag im April 2000 schwebt der Protagonist von Don DeLillos neuem Roman Cosmopolis in seiner mit Kork ausgekleideten Stretch-Limousine durch die hoffnungslos verstopften Straßen New Yorks, um sich die Haare am anderen Ende der Stadt schneiden zu lassen. Über seine gleißenden Monitore empfängt er derweil aus der ganzen Welt die neuesten Nachrichten und Börsendaten, auf die er mit blitzschnellen Transaktionen reagiert.

Agonie des Realen
Die Wirklichkeit – ein Attentat auf den Vorsitzenden des IWF, ein gewalttätiger Protestmarsch von Globalisierungsgegnern, der Besuch des Präsidenten in der Stadt – rauscht in Echtzeit und medialer Vervielfachung an Eric Packer vorbei und bleibt unendlich fern. Auch die zufälligen Treffen mit seiner frisch angetrauten Frau oder die „on the road“ abgehaltenen Audienzen mit seinem Sicherheitschef, seinem Währungsberater oder seiner Cheftheoretikerin entsprechen der Agonie des Realen und sind im Nichts verortet. Weit scheint Eric Packer seiner Zeit und ihrem Vokabular, dass die neuen Realitäten schon längst nicht mehr zu erfassen vermag, voraus zu sein. Sein posthumanes Ziel ist es, „außerhalb der vorgegebenen Grenzen zu leben, in einem Chip, auf einer Diskette, als Daten, strudelnd, in strahlendem Wirbel, ein Bewusstsein, vor der Leere gerettet“.

Spekulation ins Leere
Doch an diesem Tag geraten die internationalen Finanzmärkte plötzlich ins Trudeln, und Eric versucht in „dieser neuen, flüssigen Wirklichkeit“, in der Chaos und Hysterie in Hochgeschwindigkeit agieren, ein System, ein ästhetisches Muster zu erkennen. Aber seine vermessene Illusion zerplatzt, und er muss erkennen, dass „wir ins Leere spekulieren“. Trotz ernst zu nehmender Hinweise auf ein geplantes Attentat nabelt er sich von seinem alles überwachenden Sicherheitskomplex ab und lässt der globalen und persönlichen Selbstzerstörung ihren freien Lauf.

Don DeLillo hat in Cosmopolis eine geballte künstliche Laborsituation geschaffen, in der sich unser digitales Zeitalter mit seinen neuen, flüssigen Wirklichkeitsformen zu bizarren Kristallen ausflockt. Er zeigt eine entfremdete Welt, die jegliche Bodenhaftung verloren hat und sich bedingungslos dem Fließen und Springen der Daten auf den Monitoren, dem „digitalen Imperativ“ unterworfen hat – und in der kleinste Störungen in den Kollaps, in die Katastrophe münden können.

An der Spitze der Zeit
Der 1936 in New York geborene DeLillo bewegt sich mit „Cosmopolis“ auf den höchsten Höhen unserer Zeit und unterstreicht wieder einmal eindrucksvoll seine Ausnahmestellung in der gegenwärtigen Literatur. Ob episches Welttheater wie in Unterwelt, poetisches Drama wie in Körperzeit oder zynisch-verzweifelte Zeitanalyse wie in „Weißes Rauschen“ oder jetzt „Cosmopolis“– souverän und avanciert bespielt er eine enorme literarische Bandbreite. Die kristalline Prosa seines neuen Romans scheint dabei aus dem Kern einer Hochgeschwindigkeitszentrifuge zu kommen und ist mit Theorieelementen von Marx über Adorno bis Baudrillard und Virilio durchwirkt. „Cosmopolis“ bringt Licht in das schwarze Loch unserer Wirklichkeit. Hoffnung bleibt wenig, denn die globalisierte Kultur des Marktes erweist sich bei DeLillo als total und perpetuiert sich über jede Form des Protestes oder Terrors nur weiter ad infinitum – zerstören kann sie sich nur selbst.

Karsten Herrmann

Don DeLillo: Cosmopolis. Aus dem Amerikanischen von Frank Heibert. Kiepenheuer & Witsch 2003. 204 Seiten. 16,90 Euro. ISBN 3-46-03308-5