Geschrieben am 28. Mai 2014 von für Bücher, Litmag

Dragan Velikic: Bonavia

HB_Velikic_24502_MR.inddAuf der Suche nach dem besseren Leben

– Der serbische Romancier Dragan Velikic erweist sich einmal mehr als Chronist seiner Heimat – und der Menschen, die sie bewohnen. Von Andreas Pittler

Vor weniger als 30 Jahren war Belgrad die Metropole eines Staates, dessen Bürger von vielen beneidet wurden. Der jugoslawische Pass galt als der begehrteste der ganzen Welt, denn nur mit ihm konnte man überall ohne Visum hinreisen. Dann aber begann ein rascher Niedergang, der nur allzu schnell in eine Katastrophe mündete, die weitere Katastrophen nach sich zog. Mochten die innerjugoslawischen Bürgerkriege für die Einwohner Belgrads noch nicht lebensbedrohlich gewesen sein, der Krieg der NATO gegen das auf Serbien und Montenegro reduzierte Land war es allemal. Und so stellte sich für alle, die sich noch diesseits des Grabes befanden, die alles entscheidende Frage: trotz allem bleiben oder aufbrechen in eine ungewisse Zukunft an einem anderen Ort.

Marko, Marija und Kristina sind drei Belgrader, deren Leben durch die politischen Ereignisse aus der Bahn geworfen wurde. Marko versucht sich durch das Schreiben von Reiseführern über Wasser zu halten, Marija und Kristina leben überhaupt von der Hand in den Mund und flüchten sich in Tagträume, um der Realität nach Tunlichkeit nicht ins Gesicht sehen zu müssen. Gemeinsam ist ihnen die Ratlosigkeit, wie sie auf die Fährnisse der Geschichte reagieren sollen. Jeder für sich versucht seine eigene Therapie, und doch tappen alle drei wie Kurpfuscher im Dunklen.

Einher mit den dilettantischen Versuchen der Selbstheilung geht beständig die Frage nach dem „Warum“, die ewig gleiche Suche nach dem besseren Leben, verbunden mit der bitteren Erkenntnis von dessen Unmöglichkeit. Wobei sich klammheimlich der Gedanke einschleicht, ob nicht genau darin ein höherer Sinn liegt. Vom Schicksal gezeichnet, kommt uns dennoch die Freiheit zu, unsere Lebensbahn selbst vorzuzeichnen, wodurch unserem Scheitern eine gewisse Erhabenheit innewohnt. Genau diese Problemkreise beschäftigen auch die drei Protagonisten, die das Schicksal zur selben Zeit nach Wien führt, was für alle kataklystische Folgen haben wird.

Anregende und erfrischende Wortbilder

Dragan Velikic zählt mit seinen nunmehr 60 Jahren zu den großen Erzählern seiner Heimat. Seit er Ende der 80er Jahre mit „Via Pula“, einem wahren Epos über die Stadt seiner Kindheit, debütierte, schuf er ein Werk, mit dem er quasi zum Archivar des kollektiven Gedächtnisses seines Volkes wurde. Stets sind seine Romane von einer schier überbordenden Fantasie geprägt, sodass realistische Erzählstränge nüchtern-lakonisch neben märchenhaft-metaphorischen Traumbildern stehen, wobei es letztlich dem Leser überlassen bleibt, wo er sich auf gesichertem Grund wähnt und wo eben nicht.

Auf diese Weise präsentierte uns Velikic Viktor von Domaszewski, einen visionären Architekten zu Zeiten der Donaumonarchie, stellte uns einen irischen Sprachlehrer namens James Joyce vor, der in Pula ein „Sibirien am Meer“ sieht, berichtete uns von Stanimir Delic, dem kommunistischen Geheimdienstler, der unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs die neue Welt mit seinen Mitteln schaffen will, und sicherte für die Nachwelt auch gleich das Schicksal ganzer Orte wie dem Dante-Platz oder, im vorliegenden Fall, das Hotel „Bonavia“, Sinnbild für die gute Reise in ein besseres Leben.

Von Joyce sagte man einst, würde Dublin untergehen, man könne es anhand seiner Schriften vollständig wiedererrichten. Velikics Heimat ist untergegangen. Und man kann sie anhand seiner Romane wirklich wiederbeleben. Mit dem Vorteil, dass uns Velikic die Freiheit gibt, zwischen den Zeiten hin und her zu gleiten, hier zu verweilen, dort ein wenig an Tempo zuzulegen und uns dabei auch selbst ein bisschen über die Schulter zu blicken.

Dabei ist Velikics Stil mitunter fordernd, aber wenn man sich erst einmal auf seine Sprache einlässt, wenn man seinem Fluss folgt, dann spürt man augenblicklich, wie Velikics anregende Wortbilder den eigenen Geist erfrischen und beleben. Wie seine früheren Werke wird man auch „Bonavia“ nicht weglegen können, ohne durch die Lektüre klüger, ja weiser, geworden zu sein. Es zeichnet gute Literatur aus, dass man an ihr wächst. Dragan Velikics „Bonavia“ ist reinstes Substral.

Andreas Pittler

Dragan Velikic: Bonavia. Übersetzt von Brigitte Döbert. Hanser, München 2014. 333 Seiten. 19,90 Euro.

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