Preiskämpfer
Mark Oliver Everett, besser bekannt als Kopf der Band Eels, legt nicht nur ein weiteres falbelhaftes Album vor, sondern gleich auch noch seine Autobiografie – beides ist sehr unterhaltsam. Von Tina Manske
Man kann mit Fug und Recht sagen: Dieser Mann hat eine Menge Scheiße erlebt. Er hat gerade seinen Highschool-Abschluss geschafft, da findet er seinen Vater (der Quantenphysiker Hugh Everett III., mit dem er Zeit seines Lebens nicht besonders viele Worte gewechselt hat) tot auf dem Bett („es war der erste Körperkontakt mit ihm, soweit ich mich erinnern konnte, außer den gelegentlichen Verbrennungen von seiner Zigarette, wenn ich mich im Flur an ihm vorbeischob“), seine Mutter stirbt kurz danach an Krebs, nachdem es seiner Schwester, die sich jahrelang mit Drogen zerrüttet, gelingt, sich beim wiederholten Anlauf umzubringen, und seine Cousine, eine Stewardess, stürzt am 11. September 2001 irgendwo in Pennsylvania ab. Die Verluste scheinen ihm an den Schuhen zu kleben wie heißer Asphalt. Und jetzt, im Jahr 2009, ist er Mitte 40 und tatsächlich der Letzte seiner Familie, der letzte Überlebende. Andere hätten es gemacht wie seine Schwester und den Wahnsinn in psychoaktiven Substanzen ertränkt. Everett hat sich – auch wenn es pathetisch klingt – durch seine Musik gerettet. „Ich konnte die beschissenen Situationen um mich herum durchstehen und sie sogar in etwas Positives verwandeln“.
Er entschloss sich, aus der Not eine Tugend und Musik zu seinem Lebensinhalt zu machen. Seit 1992, seit seine erste CD „A Man Called E“ herauskam, schreibt er quasi manisch neue Songs; sein Markenzeichen wird seine unverwechselbare Stimme, der sich auch Tom Waits beim besten Willen nicht entziehen kann, und eine Mischung aus trockenem Rock’n’Roll, stil- und gefühlvollen Balladen und einer unglaublichen Portion Songwriter-Witz. Und sehr viel Humor im Lächerlichen: Zu den Treppenwitzen der Geschichte, über die er selbst wahrscheinlich am lautesten lacht, gehört, dass sein Album „Souljacker“ in den USA ausgerechnet am 11. September 2001 herauskommen sollte – und natürlich erstmal auf unbestimmte Zeit verschoben wurde (und dass er damals mit diesem Bart nicht gleich in Guantanamo verschwunden ist, darf wohl als mittleres Wunder gelten).
Werwolf
„Hombre lobo“ ist ein Album über die Sehnsucht, „die Sehnsucht, die dich in Situationen bringt, die dein Leben mächtig verändern können“, sagt Everett selbst über sein neuestes musikalisches Werk. Der Charakter des hombre lobo, des Werwolfes also, ist eine Weiterführung des „Dog Faced Boy“, der schon auf dem Album „Souljacker“ eine wichtige Rolle spielte. Der Junge ist erwachsen geworden, aber immer noch kein „Ordinary Man“, sondern einer, der abseits steht und sich darauf einen Reim zu machen versucht.
Everett ist so einer, den man gerne zum besten Kumpel hätte: Wenn man traurig wäre, könnte er einem mittags beim gemeinsamen Brunch übers Haar streichen und ein paar tröstende Worte sagen wie „you know you can always talk/ now come on baby take a walk with me“ („Prizefighter“), abends würde man ihn dann in den Arm nehmen, nachdem er einem erzählt hat, wie sehr er in diese Frau verliebt ist, die nur Augen für einen anderen, erfolgreicheren Typen hat („That Look You Give That Guy“), und alles wäre irgendwie ok und friedlich.
Im Original heißt sein Buch „Things the Grandchildren Should Know“ – das klingt reichlich anmaßend für einen, der (noch) nicht einmal Kinder hat. Aber das ist eben der spezielle Humor des Mark Oliver Everett, der dem Leben noch immer ein Schnippchen geschlagen hat. „Wenn so etwas möglich ist und wirklich passiert, wie kann ich dann so zynisch sein?“, fragt er in seiner Autobiografie einmal, als er plötzlich einen Plattenvertrag angeboten bekommt. Die Musik und das Leben von Eels sind tatsächlich ein gutes Antidot für Zyniker, sowas wie Religion für Atheisten. „Ich bin wie eine Kakerlake. Ich gehe einfach weiter.“ So klingt das, wenn Mark Oliver Everett über sein Leben schreibt und singt. Nicht zynisch, aber auch nicht wehleidig, sondern wie ein Kumpel, der dir den Kopf an die Schulter legt. Auch wenn es der Kopf eines Werwolfes ist.
Tina Manske
Eels: Hombre lobo. 12 Songs Of Desire. Vagrant/Cooperative Music (Vertrieb: Universal).
Mark Oliver Everett: Glückstage in der Hölle. Wie die Musik mein Leben rettete. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2009.
Aus dem amerikanischen Englisch von Hannes Meyer. 224 Seiten. gebunden. 18,95 Euro.