Verfranzt im Ring-Zyklus
– Hier in Leipzig weiß man: 2013 ist Wagner-Jahr! Richard Wagner und sein Schatten sind seit Neuestem als Denkmal zu bewundern, seine Musik spielt in allen Gassen und immer wieder finden auch seine Werke einen Weg ins Jetzt.
Anlässlich der Münchner Opernfestspiele schrieb die Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek ihren Beitrag zum Wagner-Jahr: Die Paraphrase „Rein Gold.“ Mit ihr nimmt Jelinek den „monumentalen“ Ring-Zyklus aus Wagners „Walküre“ auf, versetzt ihn in die Gegenwart des Kapitalismus und bleibt dennoch nah am Originaltext Wagners.
Gedacht für die Bühne, bei Wagner gestärkt durch die Musik, erweiterte Jelinek für die Buchversion ihr Essay um 90 Seiten und produziert einen maßlosen Textschwall, auf den der Leser sich mit viel Geduld und Ausdauer einlassen muss.
Die beiden einzigen Figuren des Buches B und W (Brünnhilde und Wotan) tragen einen keifenden Kampf aus, werfen mit Wortspielen um sich, und kritisieren in Jelinek-Art alles, was ihnen vor die Zunge kommt.
Doch eigentlich hat der Text auch ein Thema: Kapitalismuskritik (mit der gestandenen Hilfe von Marx, Jesus und Bakunin). Wotan hat sich von Riesen eine Burg bauen lassen, die er nun nicht bezahlen will. Schon vor Beginn des Baus, wusste Wotan, er würde die Schulden nie bezahlen. Dem Wotan in Wallhal stellt Jelinek Christian Wulff gegenüber: auch er kann seine „Burg Wedel“ nicht bezahlen. Auch von Brünhilde, die hinter dem Feuerring ihres Helden ausharrt, ist es für die Autorin nicht mehr weit zu Beate Zschäpe, alias „die Nazi-Braut“, die ihre Wohnung abfakelt, und ihren beiden Uwe-Helden.
Was bei Wagner in der „Götterdämmerung“ endet, wird von Jelinek rücksichtslos ins Jetzt weiter gesponnen, mit aktuellen Krisen verwoben und von tagesaktuellen Themen durchsetzt. Es geht nicht mehr nur um den Schatz der Nibelungen, sondern um die Herrschaft des Geldes, den Mehrwert, bis hin zum nichts mehr wert. Jelinek spielt mit der Sprache, treibt die Sätze in unerträgliche Umfänge und verlangt ihrem Leser einiges ab. Problem über Problem wird aufgeworfen, vom Verblödungsfernsehen über Raubtierkapitalismus, bis hin zur Immobilienkrise. Doch Lösungen sind bei Jelinek keine in Sicht. Die Tochter ereifert sich an den Taten des Vaters, der Vater keift zurück. Die Tochter wolle nur, was alle wollen, willenloses Alles wollen. Was dagegen tun?
Jelinek schafft es nicht, den Leser in einen Strudel zu ziehen, wie es im Klappentext versprochen wurde. Denn eines fehlt dem Text völlig: Ein erkennbarer Sinn. Wo will der Text hin? Was will er sagen? Die Sprechertexte sind monologische, lange, handlungslose Gefüge, die sich an dem Abschiedsgespräch Wotans mit seiner Lieblingstochter entlang hangeln. Jelinek verbindet die originalen Hassgesänge Wotans und Brünnhildes nah mit den neuen, wobei Jelinek Brünnhilde die moralische Anklage in den Mund legt und Wotan das zynische Macht-Kalkül. Der Leser steht vor einer Assoziationsflut, welche Jelinek in endlosen, ausufernden Gedankenströmen nieder schreibt, während sie Wortspiele wörtlich nimmt und bis aufs Blut zerlegt. Dabei parodiert sie nicht nur Wagner, sondern auch sich selbst und ihre nicht zu bremsende Schreibwut.
Ohne Musik, wie bei Wagner, ohne Aufführung auf der Bühne wirkt der Text jedoch sperrig und überfrachtet. Viel sollte gesagt werden, angeprangert werden, zuweilen wirkt das leider sehr gezwungen. Die Wortspiele und Paradoxe leben nicht im Text, sie wirken eingefügt.
Wer sich darauf einlassen kann, wird sicher seinen typischen Jelinek-Spaß haben. Der Sound ist da, die Wortakrobatik ist beispiellos, doch in „Rein Gold“ leider ein wenig zu weit geführt. Die Autorin kritisiert, karikiert und parodiert ohne Punkt und Komma – das ist zu Weilen wirklich anstrengend.
Vielleicht liegt es daran, dass die Musik fehlt. Der Untertitel „Ein Bühnenessay“ legt nahe, dass der Text auf einer Theater-, oder Opernbühne, eventuell noch begleitet von Wagner-Musik, besser zu verdauen wäre. Ohne Inszenierung, ohne Musik, bleibt der reine Text, ein ohne Rücksicht auf Verluste vollgeschriebenes Buch, im wahrsten Sinne des Wortes.
Sophie Sumburane
Elfriede Jelinek: Rein Gold. Ein Bühnenessay. Rowohlt Verlag 2013. 224 Seiten. 19,95 Euro.