Im Gefängnis des Körpers
– Emmanuelle Bayamack-Tam wird vom neugegründeten Secession Verlag nun auch für den deutschsprachigen Raum entdeckt. Marius Hulpe hat ihren doppelbödigen Roman „Die Prinzessin von“ gelesen.
Daniel, alias Marie-Line, steht am Rande einer Gesellschaft, die in ihrer Abgestumpftheit und Zweckrationalität keinen Platz hat für einen Illusionisten wie ihn, der von Kindesbeinen an den weiblichen Formen des Mutterkörpers nachsinniert. Zwar wollte er auch niemals sein wie sie, da sie für sein ästhetisches Ideal einfach ein bisschen zu füllig ist, sehr wohl aber sieht und vergegenwärtigt er an ihr die Tiefen des weiblichen Wesens und findet in seiner Mutter sowohl ideales Vorbild als auch Abgrenzungsobjekt. Hierfür missbraucht er sie regelrecht. Denn so unbarmherzig sich die Gesellschaft von Daniel abwendet, so abgehärmt und kalt wird auch er seiner Umwelt gegenüber. Dies umso mehr, als sie seinen Verwandlungswillen nicht goutiert und ihn zurückweist in die Rolle und den Archetypus, der ihn seit seiner Geburt begleitet. Schließlich drängt es ihn mehr und mehr, ernsthaft über eine Operation nachzudenken.
Vorher aber setzt Dani, der ohne Ausbildung und emotional seit jeher vom Vater abgetrennt lebt, zu einem Klagelied an, doch ist die Aggression darin manchmal nicht mehr als ein zierliches Pflänzchen, das sich eher an den eigenen Vergleichen und Zurechtrückungen erfreut als nun wirklich auf die Gesellschaft zu schimpfen. Zumindest für deutsche Verhältnisse kommt der ganze Roman dafür einfach viel zu schöpferisch, sprachliebend und gestenreich daher, blumig beinahe, und auch intellektuell zu abwägend, um den inneren Groll tatsächlich überzeugend auf die Gesellschaft umzulenken.
Denn so spricht man sicher nicht über verhasste Menschen: „Cyril sieht mich ebenfalls an, und während Barbara mir Liebkosungen auf Polnisch ins Ohr flüstert, die ich kein weiteres Mal mehr würde hören sollen, unterdrückt er seine eigene, nicht weniger spiegelnde und verwunschene Träumerei, diejenige von einem kleinen Mädchen mit zarten Zöpfen, eine kleine Rothaarige, die man vor der Sonne zu beschützen und rosa zu kleiden hat, ein Miniaturmodell seiner innig geliebten Basia.“ Der Roman möchte schimpfen und schafft es vor lauter Gutmütigkeit nicht. Er ist durchwirkt von (berechtigtem und reflektiertem) Ressentiment, das sich vor allem als Abwehr von Anordnungen des statischen und reglementierten Lebens lesen lässt und als Versuch, diesen Anordnungen durch Eigenwillen, präzise (Selbst-)beobachtung und geistige Beweglichkeit etwas entgegenzusetzen.
Rolle oder Lüge
Diese Doppelbödigkeit, und das ist eine großartige Leistung der Autorin, durchwirkt das ganze Leben von Daniel, und zeugt auch von sehr viel ätzendem Realismus. Im Heimlichen begehrt werden einerseits, Ablehnung erfahren andererseits, das ist die zentrale Erfahrung, erstes Indiz dafür, dass die Lüge grundlegend werden könnte. Vom Vater, der ihn zwar duldet, ja sogar akzeptiert, doch dieses Kind niemals lieben konnte, versucht er sich zu emanzipieren, ohne doch den Stab über ihm zu brechen: „Ich bin meinem Vater niemals böse gewesen für die Unfähigkeit, mich zu lieben, die ich vielleicht nur allzu gut verstehe, umso mehr, als seine bedingungslose Güte diese furchtbare Lücke stets ausfüllen konnte, indem sie ihm die Worte und Gesten einflüsterte, die sein Herz ihm nicht diktierte.“ In Bezug auf ihn wirkt Daniels Reflexionsebene aber manchmal auch wie ein konzipiertes Leid, das schön und anmutig ist, aber genauso unwahr und unecht wie die Zerrissenheit des Erzeugers.
Sein Leben und das Leben von Transsexuellen auf der ganzen Welt ist ein postmoderner Konstellationenmythos, etwas, das es in Paris und Budapest tausendfach gibt und von niemandem tatsächlich gesehen werden will. Und das, obwohl sich immer wieder zahlreiche Männer mit heterosexuellem Lebenswandel finden, die diesen Frauen folgen.
Am Ende des Tages aber sind die gesellschaftlichen Verhältnisse noch immer so geartet, dass diesen Menschen nichts anderes übrig bleibt als ein Leben, das selbst aus nicht weniger Lüge und Illusion besteht als das ihrer Verehrer, die sich ihre Verehrung offiziell nicht eingestehen mögen, und mehr noch, die Lüge wird tatsächlich grundlegend und nimmt alle Bereiche ein, und so kommt das Spielerische in dieser Prosa einer hart erkämpften Haltung gleich, einer Fassade, die in jedem Moment mit dem Glauben ihres Erschaffers zusammenstürzen kann.
Marius Hulpe
Emmanuelle Bayamack-Tam: Die Prinzessin von (Le Princesse de, 2010). Roman. Secession Verlag. Zürich/Berlin 2011. 218 Seiten. 19,95 Euro.