Wüste (Sprach-) Orgie
Franzobel zeichnet in „Lusthaus“ bis zum parodistischen Salto Mortale ein bitterböses Panorama des „Menschlich Allzumenschlichen“.
Dieses Buch ist ganz und gar unglaublich: Es ist in einem grandiosen Ausmaße monströs und morbid, wüst und wahnsinnig. Es ist ein wilder Rausch ohnegleichen, eine sinnliche Sprachorgie, ein barocker Bildertaumel, eine furiose Farce. Da reibt man sich die Augen, schüttelt den Kopf und kann es nicht fassen, zu welch obszönen Phantasmen, opulenten Bildern und magischen Metaphern das glühende Quecksilber der Sprache hier geronnen ist.
Franzobel erweist sich einmal mehr als ein absoluter Meister der assoziativen Sprachmagie und der fiebrigen Fantasie. Völlig losgelöst von allen Moralvorstellungen oder politischen Korrektheiten fabuliert und psalmodiert Franzobel in „Lusthaus“ die Geschichte der Rosalia Lombardo – diese verstarb vor mehr als 80 Jahren als Kleinkind und landete einbalsamiert in einem Glassarg in den Kapuziner-Katakomben von Palermo: „nicht nur die Därme, die Organe, auch das Fleisch hat man von meiner Haut geschabt, mich gegerbt, ausgestopft, die Ohren mit Blech gefüllt, mit Pferdehaar den Kopf, mit Pappmaché den Körper“. Ihre Seele jedoch fuhr blitzartig in den Körper der Frau Klappbauch aus Wien und auf ihrem langen Erlösungswege ragen nun „Trümmer“ in sie hinein, „Ecken von Personen, Namen und Gesichter“.
So verknüpft sich nach und nach ein grotesker Personen-Reigen, der den Bildern von Otto Dix entsprungen sein könnte: Feixende Fratzen und teigige Gesichter, fette Vetteln und sabbernde Greise. Da treten auf: „Pasqualina, die Dicke“, „Conchita, die Süße“, die dem „Gott Geld“ frönende „Gloria“ oder der Nekrologe schreibende Journalist Zsmirgel, der beim oberfiesen Taugenichts „Manker“ in die fein nuancierte „Schule der Gemeinheit“ geht.
Es sind Menschen, in denen die dumpfen Triebe wuchern und die tiefsten Abgründe klaffen. Da „brunzt“ und „zuzelt“ es heftigst und in allen Varianten, da wird heimtückisch gelogen, betrogen, gekotzt und gesoffen und alles in allem ist es wie mit Mankers Begeisterung für den Faschismus: „Es war, als hätte er ein Sumpfloch in sich drin, das ständig blubberte.“
Franzobel zeichnet in „Lusthaus“ bis zum parodistischen Salto Mortale ein bitterböses Panorama des „Menschlich Allzumenschlichen“. Unwiderstehlich zieht er den Leser in den Mahlstrom seiner ausufernden Fantasie und alchemistischen Sprachgewalt – da gibt es kein Entrinnen, sondern nur das ungläubige Staunen bis zur glückseligen Himmelfahrt der Rosalia Lombardo
Karsten Herrmann
Franzobel: Lusthaus oder die Schule der Gemeinheit. Zsolnay, 170 S., 17,90 Euro, ISBN 3-552-05180-5