Knast-Reflexionen eines Koksers
Mit „39,90“, seinem ziemlich durchgeknallten, rasanten Insiderbericht eines Werbekreativen, wurde Frédéric Beigbeder vor zehn Jahren bekannt. Jetzt präsentiert er mit „Ein französischer Roman“ familienhistorische Erinnerungen, die dem begeisterten Kokser während eines kurzen Knastaufenthalts durch den Kopf gehen. Peter Münder hat ihn auf seiner Hamburger Lesung erlebt.
Aufgeregt wieseln über ein Dutzend Hamburger an der Bar des Literaturhauses um den Autor herum, der sich nur einen Rotwein genehmigen will. Viele hübsche junge Frauen sind dabei, die dem prominenten Frédéric Beigbeder ihre Bücher zum Signieren vor die Nase halten und dann begeistert strahlen, als er seinen Namen in die Bücher krakelt. Keine Frage, der langhaarige, bärtige Franzose, in Jeans, Lederjacke und T-Shirt wie ein Spät-Existentialist anmutend, hat schon fast den Kultstatus eines James Dean erreicht.
Auf dem Podium kommen die kleinen Gags mit dem Schauspieler Alexander Simon, der die deutschen Texte liest, gut an: Beide heben ihre Gläser simultan, prosten sich zu, stehen gleichzeitig auf, geben sich die Hand – dankbar applaudiert das Publikum, denn schließlich wissen wir ja alle: Ernst ist das Leben, heiter die Kunst.
Freiheitsikone oder Pausenclown?
Aber Beigbeder sieht sich nicht nur als Spaßmacher oder Pausenclown. Er geriert sich als Freiheitsikone, als einer der letzten aufrechten Kämpfer, der für individuelle Freiheit und gegen staatliche Willkür auf die Barrikaden geht. Schließlich war er ja im Januar 2008 für 48 Stunden inhaftiert worden und musste in seiner nicht eben komfortablen Zelle einen erbärmlichen Service ertragen. Und das alles nur, weil er nachts in Paris in einem belebten Viertel kokste und seine Linien auf der Kühlerhaube eines Autos gezogen hatte! Die Polizisten hatten keine Rücksicht auf seinen Promi-Status genommen und ein Exempel statuiert. Er wurde nicht misshandelt, sondern nur als normaler Knacki behandelt.
Schon in „39,90“ gehörte das Koksen zum Lebensstil des kreativen Werbers Octave Parango, der an einer Stelle sinniert: „Koks als mildernder Umstand. Es gibt viele Dinge, die hättest du dich ohne nicht getraut. Koks ist ein sanftes Ruhekissen.“ Oder gar eine Art Lebenselixier, ohne das es nicht mehr geht? Der empörte Autor beruft sich auf keinen geringeren als Immanuel Kant, der ja auch schon gegen den paternalistischen Staat und dessen geradezu diktatorisches Bevormundungssystem gewettert hatte: „Wie kommt dieses System dazu, mir vorzuschreiben, ob ich koksen darf oder nicht?!“ entrüstete sich Beigbeder während seiner Lesung im Gespräch mit Moderator Ruthard Stäblein , „die Zeit, da der Staat seine Bürger wie unmündige Kinder behandeln konnte, ist doch längst vorbei“!
Geht es nicht eine Nummer kleiner?
Im Roman beschreibt der Egomane seine Grübeleien, Kindheitserinnerungen, Familiengeschichten und Reflexionen über seine eigene Identität, die ausgelöst wurden, weil zur selben Zeit, da er im Knast weilte, sein Bruder zum Ritter der Ehrenlegion ernannt wurde. Dieser Gegensatz ist natürlich schmerzlich für einen so sensiblen und eitlen Künstler: „In dieser schwarzen Nacht, gegen vier auf einer Zementbank, schien mir die Lage ganz klar“, heißt es da, „Gott glaubte an meinen Bruder, mich hatte Er verlassen. Wie konnten zwei Menschen, die einander als Kinder so nah gewesen waren, so gegensätzliche Schicksale erleiden?“ Dieser melodramatische Unterton ist eigentlich immer präsent, auch wenn es im Buch einige anrührende Impressionen vom kleinen Jungen mit dem Großvater am Strand oder Anekdoten über renitente Vorfahren gibt, die sich von den Nazis nicht ihre Zimmer requirieren ließen.
„Jeder Künstler ist ein Kind, das nicht erwachsen werden möchte“, meint Beigbeder. Das mag ja sein, aber in „Ein französischer Roman“ reduziert sich die kindliche Egomanie zum literarischen Ego-Trip, der geschickt als zeitgenössische Sozialkritik oder als Produkt eines Proust-Adepten drapiert ist. Als Leser wundert man sich eigentlich auf jeder Seite über diesen Kontrast und fragt sich dauernd: Geht es nicht eine Nummer kleiner?
Peter Münder
Frédéric Beigbeder: Ein französischer Roman. Aus dem Französischen von Brigitte Große. München: Piper Verlag 2010. 253 Seiten. 19,95 Euro.
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