Geschrieben am 23. April 2014 von für Bücher, Litmag

Gabriel Sherman: The Loudest Voice in The Room – How The Brilliant, Bombastic Roger Ailes Built Fox News – And Divided A Country

Gabriel Sherman_ the loudest voice in the roomRuperts ruppiger Quoten-Rambo

– Roger Ailes wurde 1996 vom News Corp- Medien-Tycoon Rupert Murdoch als Chef des neugegründeten Nachrichtensenders Fox News installiert: Ailes ist immer noch der kompromisslose Mann fürs Grobe, der Machtkämpfe auskostet, Konflikte gern auf die Spitze treibt und die maximale Rendite für den Sender einfährt. Für Ailes wie auch für Fox News gilt die Maxime: Alles radikal und reaktionär vereinfachen, gegen Minderheiten hetzen und „uramerikanische“ Werte zelebrieren. In seiner Biographie beleuchtet „New York“-Magazin-Redakteur Gabriel Sherman die Irrungen und Wirrungen des umstrittenen Ailes. Von Peter Münder

Der Mann aus dem kleinen Nest Warren in Ohio war eigentlich immer für Überraschungen und den lässigen Umgang mit Widersprüchen gut: Roger Ailes (73) ist zwar Bluter, geht aber keinem Scharmützel aus dem Weg; sein alkoholkranker Vater, ein Fabrikarbeiter, verprügelte und misshandelte ihn jahrelang, was Ailes offenbar immer noch mit Attacken gegen alle möglichen Autoritäten kompensieren muss. Mit Business-Management oder Wirtschaftsfragen hatte er sich nie beschäftigt, er übernahm aber schnell leitende Funktionen als TV-Produzent und dann in großen Medienkonzernen. Roger Ailes beriet Richard Nixon bei dessen zweiten Anlauf als Präsidentschaftskandidat während der Wahlkampagne gegen Hubert Humphrey 1968 und sorgte dafür, dass das unbeholfene, steife Platitüdenmännchen Nixon in den Wahl-Spots auf der Mattscheibe locker und sympathisch rüberkam. Ailes hatte auch keine Probleme damit, dass Werbe-Agenturen der Madison Avenue Nixons Wahlkampagnen managten und ernsthafte politische Diskussionen dementsprechend selten und inhaltlich ohne Substanz geführt wurden: Nach der sowjetischen Invasion der CSSR klatschte man sich im Nixon-Team einfach nur auf die Schenkel und freute sich darüber, dass die liberalen demokratischen Weicheier nun schlechte Karten hätten.

Joe McGinniss (im März leider verstorben), der als Kolumnist für den „Philadelphia Inquirer“ und als Autor der großen Reportage „The Selling of the President“ diese Nixon-Kampagne damals begleitete und sich mit Roger Ailes regelmäßig austauschte, notierte genau, dass die Nixon-Berater jeden Versuch der eigenen Leute sofort abbügelten, ihren Kandidaten einige Worte zur Russen-Invasion absondern zu lassen: „Das kann er nicht“, war der allgemeine Tenor, oder einfach nur „dafür ist er völlig ungeeignet“. Keine Frage: Das Kaschieren von Defiziten, das hohle Phrasendreschen und – mitten im Vietnamkrieg! – die Dreistigkeit, existentielle nationale Fragen mit hübsch verpackten rhetorischen Klischees einfach unter den Teppich zu fegen – all das ließ sich mit den Mitteln des TV damals schon eindrucksvoll verwirklichen.

Es ist auch spannend, jetzt nochmal die Beobachtungen von Joe Mc Ginniss nachzulesen und sich die Zitate aus „The Selling of the President“ auf der Zunge zergehen zu lassen, die wir auch heute wieder in ähnlicher Form zu hören bekommen, wenn es um den vermeintlichen Untergang der Printmedien geht: „Kolumnisten und Zeitungs-Journalisten kann man völlig vergessen – die haben keine Zukunft mehr, die Presse ist völlig bedeutungslos“ lautete eine gängige Beschwörungsformel und „Nur das Fernsehen bringt uns weiter, wenn wir unsere Wähler erreichen wollen“ die andere. Für diese tumben Pseudo-Analytiker mit der lernresistenten Perspektive eines Regenwurms war es dann doch ein gewaltiger Schock, als ausgerechnet die „New York Times“ und die „Washington Post“ mit der Veröffentlichung der Pentagon Papers und dem Aufdecken des Watergate Skandals für Nixons Rücktritt sorgten.

Einige luzide Beobachtungen verpackt Joe McGinnis in seinem Buch allerdings so geschickt, dass ihre explosive Brisanz erst mit einer gewissen Verzögerung zündet: „Wir kommen jetzt in eine Phase, in der Menschen immer öfter im Fernsehen wie Reklame-Artikel verhökert werden“, zitiert er einen Medienberater und fährt fort, „ das irritiert dich und mich vielleicht. Aber wir sind keine typischen Amerikaner, die Bevölkerung hockt zuhause vor dem Fernseher, sieht „Gunsmoke“ und wenn sie mit diesem Brei von Nixon abgefüttert wird, glaubt sie, etwas Bedeutendes zu erfahren“. Noch eine hübsche Sentenz soll nicht unterschlagen werden: „Nixon hat nicht nur den Gebrauch von Plattitüden entwickelt, er hat sie zu einer Kunstform erhöht. Es ist aber nichts weiter als Kartoffelbrei, der das niedrigste Niveau der Amerikaner anspricht – es ist eine Farce, eine köstliche Farce; die Selbsttäuschung wurde bis zum höchsten Grad kultiviert“.

Mit Gutenberg durch die Medien-Galaxie

Aber zurück zu Ailes. Gabriel Sherman, Redakteur beim „New York“- Magazin, liefert eine fulminante, in 612 Interviews glänzend recherchierte Biographie, die gleichzeitig die gesamte Medien-Szenerie und speziell die Kluft zwischen dem Einfluss und der unterschiedlichen Denke von Print und TV in den USA auf den Prüfstand stellt. Sherman hatte über ein Dutzend Versuche unternommen, um Ailes für das Buch selbst befragen zu können, doch die wurden alle abgeschmettert. Als es zufällig bei einer Cocktailparty zu einer kurzen Begegnung der beiden kam, wurde Sherman von Ailes‘ Bodyguard angegriffen und zu Boden geworfen, später wurde er vom ominösen Fox-Brainroom-Team bedroht und eingeschüchtert. Diese als Dokumentations-Mitarbeiter getarnte Truppe im streng abgeschirmten Basement der Fox-Zentrale stellt einen Mix aus NSA und Stasi dar: Man sammelt möglichst viele geheime, unerfreuliche, private Informationen über unliebsame Kritiker, Geschäftspartner oder Prominente und startet dann eine Rufmordkampagne oder ein Erpressungsmanöver – doch bei Sherman kam die Fox-Truppe nicht weiter, obwohl sie ihm dubiose Kontaktpartner mit falschen Informationen unterjubeln wollte.

Mit McLuhans Medienstudien begann sich auch allmählich die Einsicht durchzusetzen, dass die Gutenberg-Galaxie anders strukturiert war als der Radio-Kosmos oder die TV-Spielwiese. Als Ailes 1968 Nixon im Wahlkampf auf dessen TV-Auftritte vorbereitet – die wohl tatsächlich für dessen Wahlsieg ausschlaggebend waren – und alle möglichen publikumswirksamen Auftritte und Scheindiskussionen vor geladenen, sorgfältig ausgewählten und präparierten Gästen inszenierte, hielten die meisten Medien-Experten Marshall McLuhan („The medium is the message“) aber immer noch für einen Sheriff in einem John Wayne-Western. Ailes war einer der Pioniere in dieser Umbruchphase, der die massenwirksame Zukunft des TV vorhersah, sich komplett auf TV-Effekte kaprizierte und sich ganz gezielt vom langatmigen printaffinen Räsonieren vor der Kamera distanzierte.

Besser gesagt: Er ermunterte seine Klienten, nicht lange um den heißen Brei herumzureden: Sollte es mit dem demokratischen Gegenspieler Michael Dukakis im Rede-Duell Probleme geben, lautete sein Tipp an George W. Bush, dann sollte er diesen einfach als „Hundeficker“ bezeichnen – schließlich hätte Dukakis ja 18 Jahre zuvor das Sodomie-Verbot aufgehoben. Der damals schon bei Republikanern grassierende Hass auf Intellektuelle, auf Print-Journalisten, Kolumnisten und die Pressbengel der „New York Times“ und „ Washington Post“ kam Ailes nicht nur sehr entgegen; er hatte diese Aversion schon längst als eigenes Credo verinnerlicht.

Jährlich eine Milliarde Dollar Nettogewinn

Sherman bringt streckenweise sogar gewisse Sympathien für Ailes‘ aberwitzige Chuzpe auf. Schließlich hatte Ailes diverse Krisen zu bewältigen, er wurde mit Prozessen überzogen und befand sich karrieremäßig öfter in einer Sackgasse, was er aber meistens mit seiner frettchenhaften Verbissenheit oder einer extrem aggressiven Dynamik in den Griff bekam. Sherman will Ailes also nicht auf Teufel komm raus als diabolus ex machina vorführen – aber es läuft in seinen detailliert beschriebenen Konfrontations-Szenarios, die extrem negativen Charakterstudien gleichen, darauf hinaus. Sherman zeigt, wie Fox-Chef Ailes es schafft, die Welt ideologisch so zu verbiegen und zu verdummen, dass auch noch der letzte erzkonservative Ku-Klux-Klan-Anhänger oder Sarah Palin-Fan, der Obamas Gesundheitsreform für ein stalinistisches Komplott hält, beruhigt und zufrieden gestellt wird: Bei einer Umfrage zur Existenz irakischer Massenvernichtungswaffen unter Fox-News-Zuschauern bekundeten 85 Prozent der Befragten, diese Massenvernichtungswaffen – deren Existenz der US-Öffentlichkeit ja vom Bush-Regime vorgegaukelt wurde und den Vorwand für den von den USA angezettelten Irak-Krieg lieferte – wären tatsächlich gefunden worden. Ailes genoss auch die wochenlangen Fox-Debatten darüber, ob Obama in Afrika geboren war.

Dass erbitterte Konfrontationen mit dem Weißen Haus publicitywirksam sind und dann noch maximale Einschalt-Quoten bringen, hatte Ailes schnell gelernt. Auch kontroverse Figuren wie die peinlich-komische Sarah Palin waren Fox TV und Roger Ailes als Quotenbringer sehr willkommen: Sie bekam nach dem Reinfall mit ihrer lächerlichen Präsidentschaftskandidatur und ihrer massiven Finanzkrise aufgrund der hohen Anwaltskosten nach Beleidigungsverfahren einen Millionen- Vertrag mit Fox – für einige Interviews. Inzwischen fährt Ailes mit seiner Provo-Strategie schöne Renditen für „Ruthless Rupert“ Murdoch ein – jährlich eine Milliarde Dollar (!!!) Nettogewinn und doppelt so viele Zuschauer wie CNN und MSNBC zusammen kann der skandalumwitterte Mattscheiben-Manipulator mit Diktator-Allüren vorzeigen. Man muss sich den typischen Fox-Viewer wohl als glücklichen Menschen vorstellen, denn er bekommt genau den Stuss vorgesetzt, der ihm in einer komplexer gewordenen Welt abhandengekommen ist: Der American Dream ist nicht mehr das, was er mal war, der Lebensstandard sinkt, militärische Konflikte werden immer unübersichtlicher und die chaotische Globalisierung sorgt dafür, dass amerikanische Hegemonialansprüche kaum noch durchsetzbar sind. Und dann noch die permanente Bedrohung durch all diese perversen islamistischen Terror-Gruppen! Wer soll da noch die Welt verstehen? All diese miesen, deprimierenden Entwicklungen konterkariert Fox News mit Meldungen aus der konservativen Gegenwelt, in der noch schöne Verschwörungstheorien blühen und die Inkarnation des Bösen im Weißen Haus sitzt. Das Feindbild, das nach dem Ende des Kalten Krieges vorübergehend abhandenkam, wird plötzlich wieder zum Leben erweckt – wenn auch irgendwie völlig verdreht und pervertiert.

Fulminanter Mix aus Sachbuch, Wirtschafts-Krimi und modernem Medien-Western

Der Monomane Ailes geriert sich angesichts dieser turbulenten Entwicklungen wie ein Sekten-Guru: Er duldet nur angepasste Jasager und Mitläufer neben sich – jeder Zweifler oder Kritiker wird wie bei den Scientology-Zombies aus dem Team gemobbt und mit drastischen Mitteln aus der Firma katapultiert. Attraktiven Mitarbeiterinnen geht der Chef gern auch mal an die Wäsche, einer Redakteurin versprach Ailes beim Einstellungsgespräch einen monatlichen Bonus von hundert Dollar, wenn sie sich regelmäßig für ihn flach legen würde.

Gabriel Sherman investierte drei Jahre in seine Recherchen, er wurde beschattet, verunglimpft und bedroht, aber er ließ sich nicht einschüchtern. Die abgebrühten Fox-Dokumentaristen setzten auch diverse falsche Gesprächspartner mit fingierten Informationen auf ihn an, um den Redakteur zu diskreditieren.

Shermans Biographie ist ein fulminanter Mix aus Sachbuch, Wirtschafts-Krimi und modernem Medien-Western. Viele Szenarios erinnern an Showdowns, die früher noch mit John Wayne besetzt wurden. Heute präsentiert uns Sherman drastische Beschreibungen einer monatelangen Konfrontation zwischen Weißem Haus und dem Fox-Rambo Ailes, in denen Roger Ailes die Spielregeln diktiert: Zoff um jeden Preis ist seine Devise, auf Annäherungsversuche der Obama-Regierung zur Beilegung des Medienkrieges wegen Verleumdungen, abgesagten Interviews usw. legte Ailes jedenfalls keinen großen Wert. Umso größeren dafür auf höchste Einschalt-Quoten.

Manche Details hat Sherman zwar zu kräftig als Klatschkolumnen-Dekor ausgeschmückt. Aber ihm ist dennoch eine grandiose, faszinierende Studie der amerikanischen Medien-Landschaft und ihrer neuesten Entwicklung mit den wilden Achterbahn-Phasen während der innovativen Satelliten-TV-Goldgräberzeit gelungen. Lesen und staunen!

Peter Münder

Gabriel Sherman: The Loudest Voice in The Room – How The Brilliant, Bombastic Roger Ailes Built Fox News – And Divided A Country. Random House, New York 2014. 539 Seiten. 12,95 Euro. Die 20 schlechtesten Momente von FOX News in 2013.

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