Ein deutsches Traumgespinst
Georg Klein zeichnet in seinem neuen Erzählband mit schier unerschöpflichen Erfindungsreichtum ein schillerndes Bild der Deutschen und des Deutschen.
Georg Klein ist ganz ohne Zweifel einer der originellsten und stilistisch exquisitesten deutschen Gegenwartsschriftsteller: Unwiderstehlich zog er die Leser in „Libidissi“ und „Barbar Rosa“ unter dem Deckmantel des Agenten- bzw. Detektivromans in surreal verfremdete (Metropolen-) Landschaften, in denen es von grotesk-exzentrischen Charakteren und ungeheuerlichen Begebenheiten nur so wimmelte.
Eben diese hohe schriftstellerische Kunst stellt der mit seiner Frau Katrin de Vries und zwei Kindern im windig-kargen Ostfriesland lebende Georg Klein nun auch in seinem neuen Erzählband „Von den Deutschen“ eindrucksvoll unter Beweis: In einem faszinierenden Reigen erleben wir in Anspielung auf romantisch-aufklärerische Deutschland-Reflexionen germanische „Riesen“, „Recken“ und „Wichte“ in und fern ihrer Heimat.
Zum Auftakt stoßen der Ich-Erzähler und seine Frau, eine avantgardistische Solo-Percussionistin, in einem Chicagoer Schwarzen-Slum auf den NS-Devotionalenhändler Arno, dessen „gewaltiger Schädel“ unter der niedrigen Decke seines Ladens „wie ein käsiger Mond durch einen Schwarm blitzender Meteoriten“ zieht. Er serviert seinen Gästen Tee mit handgemolkener Milch von einem deutschstämmigen Farmer aus Wisconsin und stellt sich ihnen als ein manischer „Amateur-Philologie“ vor, der Hitlers „Mein Kampf“ ins Amerikanische übersetzt: Denn wie solle man den „Faschismus bekämpfen, solange keine vernünftige Übersetzung seines theoretischen Hauptwerks in die Weltsprache vorliege?“
Den Weg aus der neuen Welt in die alte Heimat ihrer Eltern geht dagegen Mary Ann Lauterbach. Eigentlich gekommen, um in Erfurt das „Alte Färberhaus“ für die Dorint-Hotelgruppe zu erwerben, entdeckt sie eine vom Frost geschüttelte Stadt, in der die Straßenbahnen „hell, fast rein in den Schienen“ singen und Kneipen „Old San Francisco“ heißen. Auf magische Weise verknüpfen sich hier Gegenwart und eine unglaubliche Vergangenheit, die durch Mary Anns alte, stehen gebliebene Armbanduhr symbolisiert und wieder erweckt wird.
In einer der schönsten Geschichten erzählt Georg Klein vom Arbeitslosen-Projekt „Historical Harmonists“: In einer Wagenburg am Ufer der Spree, vis-á-vis vom Kanzleramt, probt Strohmann mit seiner Truppe aus ehemaligen Alkoholikern und Obdachlosen lebende (Geschichts-) Bilder ein – „das heißt auf gut deutsch, sie müssen dem Gestern den Affen machen“. Medien und internationales Publikum strömen herbei und auch der Kanzler gibt sich nebst seiner Gemahlin ein fröhliches Stelldichein.
Georg Klein zeichnet in seinem neuen Erzählband mit schier unerschöpflichen Erfindungsreichtum ein schillerndes Bild der Deutschen und des Deutschen. Aussichtslos erscheint dabei das Bemühen, hinter den mannigfachen Spiegelungen und Anspielungen seines Sittenbildes auf einen festen Grund zu stoßen. Vielmehr finden sich die bizarren Worte und Bilder Georg Kleins zu einem ebenso bezwingenden wie unhintergehbaren Traumgespinst zusammen.
Karsten Herrmann
Georg Klein: Von den Deutschen. Erzählungen. Rowohlt, 192 S., 16,90 Euro. ISBN 3 498 03513 4.