Geschrieben am 1. Juni 2009 von für Bücher, Litmag

Giorgio Bassani: Der Geruch von Heu

Große Geschichte, kleine Geschichten

In dem jetzt wieder aufgelegten schmalen Band Der Geruch von Heu sind einige verstreute Arbeiten von Bassani versammelt, in denen man sofort seinen melancholischen, aber nicht nostalgischen, in der Personenbeschreibung immer leicht unscharfen, manchmal auch geheimnisvollen Ton spürt. Von Carl Wilhelm Macke

Es gab einmal eine Zeit, da wurde in Deutschland das literarische Werk von Giorgio Bassani sehr geschätzt. Auf den Bestsellerlisten stand es nicht gerade, aber es fand ein großes Echo unter den Kritikern wie unter vielen Lesern. Die Übersetzungen der Romane und Erzählungen Bassanis erschienen genau in jenen Jahren, als die Deutschen begannen, sich ernsthaft mit ihrer nazistischen Vergangenheit auseinanderzusetzen. In den KZ-Erinnerungen etwa des Spaniers Jorge Semprun, den Reflexionen des in Belgien lebenden Österreichers Jean Améry über Folterungen in NS-Lagern, dem Tagebuch der jungen Holländerin Anne Frank oder den Romanen der Italiener Cesare Pavese, Natalia Ginzburg, Primo Levi und eben auch von Giorgio Bassani fand man genau den literarischen Stoff, der dabei half, für das Unfassbare des Holocaust wenigstens die Worte zu finden. Seine oft sehr subtile, wenig politisch polemisierende Art, sich erzählend mit dem Schicksal italienischer Juden im Faschismus zu beschäftigen, fand ein stetig wachsendes Echo auch in Deutschland. Mit „deutschen Augen“ gelesen waren seine Erinnerungen an das mit dem Faschismus sympathisierende jüdische Bürgertum Ferraras aber auch irritierend. Kann es das tatsächlich gegeben haben, dass Juden mit voller Überzeugung dem Faschismus des Benito Mussolini zugejubelt haben?

Vielleicht stießen Bassanis Romane auch gerade deshalb auf eine überraschend breite Resonanz beim deutschen Publikum, weil sein Antifaschismus wesentlich feiner und versteckter war als der zahlreicher deutscher Exilschriftsteller. Im Unterschied zu der vor allem in der DDR gängigen Heroisierung des Antifaschismus interessierte sich Bassani kaum für die Helden des Widerstands. In seinem Romanzo di Ferrara widmet er sich den Freuden, auch der Naivität des jüdischen Bürgertums in den Jahren des Faschismus.

Wichtiger Rang in der europäischen Kultur

Leicht kann man sich mit Bassanis Erzählfiguren und deren Empfindungen identifizieren. Das bürgerliche Milieu der Ferrareser Geschichten war dem deutschen Leser jedenfalls sehr viel näher als das proletarische Milieu der der kommunistischen Schule angehörenden Autoren. Beispielsweise konnte man die Gefühle des Doktor Fadigati in der Brille mit Goldrand sehr gut nachempfinden, weil jene kleinbürgerliche Atmosphäre auch in deutschen Städten verbreitet war. Wenn von der großen Resonanz der Romane von Giorgio Bassani in Deutschland die Rede ist, darf der Münchner Piper Verlag nicht unerwähnt bleiben, der für viele Jahrzehnte die deutschen Rechte auf sein Werk besaß. Heute werden die Romane Bassanis in dem auf die neuere italienische Literatur spezialisierten Berliner Wagenbach Verlag ediert. In dem jetzt wieder aufgelegten schmalen Band Der Geruch von Heu sind einige verstreute Arbeiten von Bassani versammelt, in denen man sofort seinen melancholischen, aber nicht nostalgischen, in der Personenbeschreibung immer leicht unscharfen, manchmal auch geheimnisvollen Ton spürt. Besonders in der längsten Erzählung des Bandes „Weitere Nachrichten von Bruno Lattes“ ist Bassani diese für sein Werk typische Verknüpfung von „Großer Geschichte“ und den Gefühlen der diese Geschichte ertragenden einzelnen Menschen ergreifend gelungen. „Seitdem er am Morgen in den Zug gestiegen war, hatte er an nichts anderes gedacht als an Adriana und an die internationale politische Situation.“
Und die „Große Geschichte“ mündet bei Bassani immer in ein ganz konkretes Datum: das Jahr 1938, als die italienischen Juden mit der Verkündigung der sogenannten „Rassegesetze“ von einem Tag auf den anderen radikal aus dem öffentlichen Leben verbannt wurden. Die Bücher von Bassani lesend kann man wenigstens erahnen, wie schmerzhaft, wie radikal der „Zivilisationsbruch Faschismus“ das Leben der Italiener jüdischen Glaubens verändert hat.

Dass seine Bücher bis heute keinen Staub ansetzen und uns immer noch ergreifen, ist aber nicht zuletzt auch dem Übersetzer Herbert Schlüter zu verdanken, dem es gelungen ist, in der deutschen Sprache jene feinen Schattierungen von Ironie, der Leichtigkeit des Seins und gleichzeitig der Dramatik von Einzelschicksalen in Zeiten größter geschichtlicher Dunkelheit nachzubilden. „Bassanis Werk nimmt einen wichtigen Rang in der europäischen Kultur ein“, schrieb ein deutscher Kritiker einmal über das Gesamtwerk des Ferrareser Schriftstellers. Fast zehn Jahre nach seinem Tod und immer wieder die Erzählungen von Giorgio Bassani lesend, kann man an diesem Urteil kein überzogenes Pathos entdecken. Es stimmt nach wie vor.

Carl Wilhelm Macke

Giorgio Bassani: Der Geruch von Heu.
Aus dem Italienischen von Herbert Schlüter.
Berlin: Verlag Klaus Wagenbach 2009. 108 Seiten. 8,90 Euro.