Vom Kommen und Gehen
– An einem Freitagabend im Januar 2013 sitzt die Schriftstellerin mit Schreibblockade an ihrem Computer, die Kinder im Bett, der Mann beschäftigt, und googelt den Namen ihres Ex-Freundes Petrus. Und stößt auf die Nachricht seines Todes. Wie von selbst laufen jetzt die Bilder der verflossenen Liebe vor ihrem inneren Auge ab, was folgt ist ein erfreulich unlarmoyantes Panorama der modernen Lieben. Was heißt es zu lieben, warum kommt sie, warum geht sie. Gespickt mit Autobiografischem ist „Eins im Anderen“ mehr, als eine Sammlung von Liebesgeschichten. Von Sophie Sumburane
In den zwölf Kapiteln des Buches erzählt die namenlose Heldin in einem Zeitraum von zwölf Monaten die Geschichten ihrer zwölf Lieben, die die Namen der zwölf Apostel tragen. Dieser Aufbau wirkt stark konstruiert – jedoch nur auf den ersten Blick. Gekonnt entwickelt Schwitter den Schreibprozess der Autorin, die in ihren Erinnerungen versunken versucht, den Reigen der Verflossenen für die Arbeit zu nutzen. Das Verweben der Ebenen des Jetzt und Damals wird dabei zu einem Kunstgriff, den Schwitter beinahe spielerisch einsetzt und so den Leser mitnimmt auf die Reise der Autorin, die ein Buch schreibt über eine Autorin, die ein Buch schreibt. Die Erinnerungen der fiktiven Autorin werden für sie zu realen Gefühlen im Jetzt, die Arbeit am Buch schwankt zwischen Erinnerungen und durch die Erzählerin hinzuerfundene Liebeleien. Denn ihr Ehemann, der wie Schwitters Mann Bühnentechniker ist, soll unbedingt der Letzte, der Zwölfte sein, obwohl er wohl gerade einmal der Fünfte wäre.
So entstehen kuriose Geschichten wie die von Nathanael, mit dem die Heldin durch einen Wald bei Buxtehude wandert um das Grab zu sehen, welches dessen Vater für sich und seine demenzkranke Frau ausgesucht hat. Er aber wählte dieses Grab eigentlich für die Geliebte Julika, deren verstorbener Ehemann bereits dort ruht, weswegen sie es sich wünscht. Auch der 17-jährige Mathieu aus Togo ist eher der Kategorie „ungewöhnlich“ zuzuordnen, ist er doch der Schüler, der zu dem Zeitpunkt 40-jährigen Ich-Erzählerin. Mit ihm flirtet sie vor allem im Klassenzimmer, schreibt bei Facebook jede Menge Nachrichten, doch küssen mag sie ihn nicht. Das zeigt, dass die zwölf Männer keinesfalls gleichrangig sind. So, wie die Erfahrungen, die eine 40-jährige Frau in unserer Zeit mit der Liebe macht, bilden auch die Geschichten in „Eins im Andern“ eine bunte Mischung ab. Von der großen Liebe, über den Lebensabschnittsgefährten von dem von Anfang an klar ist, dass er nicht mehr als das ist, bis hin zur Affäre, die da passiert, ist alles dabei. Spannend, wie Schwitter das Seelenleben ihrer Heldin, ihre Einstellung gegenüber all dem darstellt, in ihrem unaufgeregten Stil, immer wieder durchsetzt mit leichtem Humor und ein wenig Selbstironie.
Denn auch das ist nicht zu übersehen: Etwas Schwitter steckt in der Protagonistin, wie viel genau, ist jedoch weniger wichtig. Beide Frauen sind um die vierzig, beide ursprünglich aus Zürich, heute in Hamburg lebend. Beide haben zwei Söhne, beide sind mit einem Bühnentechniker verheiratet. Und eben dieser Bühnentechniker entpuppt sich im Buch als Spielsüchtiger, der in seiner Sucht selbst vor den Sparbüchern der Kinder nicht haltmachte. Doch wie fast jedes Laster kommt auch dieses im Laufe des Buches ans Licht und Philipp, der tatsächlich der zwölfte Mann im Buch geworden ist, geht in den Entzug. Während dieser Zeit kämpft die Heldin mit den Gläubigern, versucht die Familie vor dem finanziellen Ruin zu bewahren und zeigt, dass das Aufdecken der Gründe für das Scheitern der Liebe ein Weg ist, sie zu retten. „Ich schreibe mir hier und jetzt ein glückliches Ende“, beschließt die Autorin und muss dafür zurück auf Anfang – nach Zürich, zum toten Petrus und einem weiteren toten Mann, der das Eine zu sein scheint, dass in allem „Anderen“ im Leben der Erzählerin steckt – ihrem jung verstorbenen Bruder. „Ich schreibe, seit Du gegangen bist“, formuliert sie im letzten, tieftraurigen Kapitel und erschafft so eine Art Interpretation von Becketts Kurzstück „Vom Kommen und Gehen“. Das Stück, dass die Heldin als junge Studentin für eine Hausarbeit analysiert, das in nur 120 Worten als Bühnenstück in knapp drei Minuten aufgeführt werden kann und doch so viel erzählt. So wie Schwitter mit ihrem Roman. Jeder der Männer ist in ihr Leben gekommen, jeder ist wieder gegangen. Wer noch da ist, wird spätestens im Tod dann doch gehen, und so resümiert die Heldin in ihrem Schlusssatz „Ich habe gehen gelernt.“
Nichts von Alledem ist kitschig, pathetisch oder abgegriffen, nichts durchtränkt von Bitterkeit. Dank Schwitters Sprache und der gekonnten Konstruktion erwächst die Geschichte so natürlich im Computer der Autorin im Buch, dass es durchaus Schwitters eigene Geschichte sein könnte, wodurch die autobiografischen Einstreuungen ihren Sinn, fernab von literarischer Verarbeitung á la Knausgard, haben. Und schließlich ist es gerade dieses Natürliche, Unsentimentale, was „Eins im Anderen“ zu einem Liebesroman macht, der sehr viel mehr ist als das.
Sophie Sumburane
Die Autorin liest am 4.Februar auf der HAM.LIT 2016, der langen Nacht junger Literatur und Musik in Hamburg.
Monique Schwitter: Eins im Anderen. Roman. Literaturverlag Droschl, 2015. Gebunden. 232 Seiten. 19,00 Euro.