Düstere Depression
In ihrem Debüt „Der Mineralpalast“ führt uns die 1968 geborene und in der Millionen-Metropole New York lebende Heidi Julavits in die tiefe amerikanische Provinz zur Zeit der „Great Depression“ – maßgeblich inspiriert von den Erzählungen ihrer Großmutter.
Zum Auftakt schickt Julavits ihre Protagonisten Bena, Ted und „Klein Ted“ aus dem grün-saftigen Minnesota in das trostlos-dürre Pueblo in Colorado, wo der Familienvater eine Stelle als Arzt im Krankenhaus gefunden hat. Für Bena, die auf verquere Zahlenmagie und Vorzeichen schwört, ist dieser Umzug ins Niemandsland eine Chance, um „in angenehmer Abgeschiedenheit ihre angeknackste Ehe zu kitten“. Denn ihre Familie ist nicht nur durch diverse Affären Teds belastet, sondern auch durch die seltsame Apathie des drei Monate alten „Klein Ted“ – es scheint beinahe, „als sei seine Begeisterung für das Leben geschwunden, sobald er sah …“
Skurriler Reigen
Um sich die Zeit zu vertreiben, fängt Bena in Pueblo als Kolumnistin beim „Chieftain“ an und lernt dabei einen skurrilen Reigen von Menschen kennen – so die große, einbeinige Dame Reimer Jackson mit ihrer Prothese aus Elfenbein oder den ruppigen Zeitungsverleger Horace Gast. Besonders fasziniert ist sie aber von der heruntergekommenen, schwangeren Prostituierten Maude und dem mit ihr verbandelten Cowboy Red, die sie aus ihrem Bürofenster beobachtet. Bei ihren Recherchen stößt sie auch auf den Mineralpalast, das ehemalige stolze Symbol der Bergwerkstadt Pueblo für „Neuheit, Originalität und Prächtigkeit“. Hier, an diesem Ort vergangener Pracht mit seinen Säulen, Skulpturen, glitzernden Erzen und Mineralien lässt Bena ihre Phantasien und Hoffnungen schweifen. Doch hinter den schönen Fassaden des Mineralpalasts und der Bürger aus Pueblo lauert ein Abgrund aus Lügen, Demütigungen, Verfehlungen und Verbrechen, in den Bena unaufhaltsam hineingezogen wird.
Abgrund aus Lügen und Verbrechen
Wie Annie Proulx kürzlich mit „Mitten in Amerika“ hat sich Heidi Julavits angeschickt, ein schwelgendes Epos über die amerikanischen Provinz vorzulegen. Doch trotz ihrer bildhaften, überaus sinnlichen Prosa gelingt es ihr nicht, einen unwiderstehlichen Lesefluss oder gar -sog entstehen zu lassen. Seltsam fern und innerlich blass bleiben ihre Figuren, seltsam ziel- und richtungslos ihre teilweise schockierenden Handlungen. Zunehmend entsteht in diesem Debüt eine bedrückende Atmosphäre und am Ende der Lektüre verbleibt der Eindruck einer einzigen großen Depression.
Karsten Herrmann
Heidi Julavits: Der Mineralpalast. Aus dem Amerikanischen von Margarete Längsfeld. Piper 2003. Gebunden. 409 Seiten. 22,90 Euro. ISBN 3-492-04291-0