CULTurMAG traf den Journalisten und „Schmidt-Experten“ Kay Sokolowsky
und wollte wissen, ob wir in Zukunft auf den Fernseh-Künstler Harald Schmidt verzichten müssen oder ob wir ihn bald bei einem anderen Sender wiedersehen. Die überraschende Neuigkeit bot eine gute Gelegenheit nachzufragen, worin denn eigentlich die Methode von Schmidts genialer Satire besteht. Das Gespräch führte Jan Karsten.
Über Harald Schmidt zu sprechen ist nicht leicht, weil der sich jeder Festlegung blitzgescheit entzieht. Über Harald Schmidt ein Buch zu schreiben ist noch viel schwieriger. Kay Sokolowsky hat es trotzdem getan. „Late Night Solo – Die Methode Harald Schmidt” ist so lebendig, sprunghaft und assoziativ wie sein Gegenstand, der „dichtende Schauspieler“ Schmidt selbst. Es handelt vom Wesen des Mediums Fernsehen, von seinen Lemuren und Könnern, von den vielen billigen Pappfiguren der „Spaßkultur“ und ihren wenigen Originalen. Kay Sokolowsky schreibt über die Geschichte der Satire in Deutschland, über die Neue Frankfurter Schule und den Einfluss von Gernhardt, Henscheid und Co. auf die satirischen Methoden des „Solitärs auf dem Bildschirm“, der alle überstrahlt. Ihm ist das Schwierige gelungen, er ist dem Phänomen Harald Schmidt so nahe gekommen wie kaum ein anderer, weil er genau hingeschaut und sorgfältig beobachtet hat.
Culturmag: Harald-Schmidt lässt seine Zuschauer geschockt und traurig zurück. Das drohende Aus scheint für viele einen dunklen 23.15 Uhr-Abgrund aufzustoßen.
Kay Sokolowsky: Ich trag’s mit Fassung. Seit drei oder sogar vier Jahren wird der „Schmidt Show“ das Ende bei Sat.1 vorausgesagt. Nun hat er selber die Sache abgehakt. Wer schlau war, hat die Show fleißig auf Videoband mitgeschnitten und legt – bei Anfällen akuter Sinnleere vor Mitternacht – diese Tapes ein. Und darf dann staunen, wie gut die gelungenen Sendungen auch Jahre später noch funktionieren!
Mit der Harald-Schmidt-Show in der jetzigen Form schien Schmidt endlich ein Format gefunden zu haben, in dem er sich rundum wohlfühlte. Grund für das plötzliche Ende ist also nicht seine „Dienstmüdigkeit“, sondern eindeutig der Wechsel in der Geschäftsführung von Sat1?
Eindeutig ist nur der Tod. – Es spricht allerdings sehr vieles dafür, dass der neue Geschäftsführer Schawanski dem Entertainer Harald Schmidt von Herzen zuwider ist. Denn so ideenreich und ganz und gar nicht dienstmüde wie in den letzten drei Wochen habe ich Schmidt seit der Sommerpause nicht mehr erlebt.
Tritt Harald Schmidt auf dem Höhepunkt seines Erfolges ab, oder bereitet er einen Wechsel mit seinem Ensemble zu einem anderen Sender vor?
Ich tippe auf die ARD als nächsten Arbeitgeber. Und zwar nicht nur für Schmidt, sondern auch für Andrack, Zerlett und all die anderen. Bei seiner Produktionsfirma Bonito wird jedenfalls niemand arbeitslos werden – sonst müsste ich mich bei Ansicht der Sendung vom 9. Dezember SEHR getäuscht haben. Da wurden so viele Witze über die künftige Arbeitslosigkeit der Mitarbeiter gerissen, dass nur ein Idiot das ernst nehmen konnte.
Müssen wir also in Zukunft auf den Satiriker Harald Schmidt verzichten?
Nein. Ganz schlicht: nein.
Ein Grund mehr sich darüber zu unterhalten, was es mit dem Phänomen „Schmidt“ denn nun auf sich hat. Werner Schneyder hat gesagt, Harald Schmidt sei kein Kabarettist, denn „Kabarettist zu sein bedeutet eine Haltung zu haben“.
Da hat Werner Schneyder völlig recht. Harald Schmidt hat keine Haltung. Harald Schmidt hat eine ganze Menge Haltungen, aber er hat keine eindeutige Haltung. Das einzig Zuverlässige ist, dass ihm nichts heilig ist, außer dem Papst. Aber sonst: alles freigegeben.
Diese politische Haltungslosigkeit hat Kritik herausgefordert aus den verschiedensten Lagern, von der TAZ bis zur FAZ.
Aber auch Zustimmung aus allen Lagern. Es gibt Grüne, es gibt rechte Linke, es gibt rosa Linke, es gibt CDU-Anhänger, es gibt auch Neonazis, die auf Harald Schmidts Witz schwören. Das ist das sehr Neue an ihm, aber auch das sehr Gefährliche. Er wurde mal ein „postmoderner Entertainer“ genannt. Ein etwas ausgelutschter Begriff, aber gar nicht so falsch. Harald Schmidt führt ein Patchwork vor aus allen möglichen Arten, Satire zu treiben. Er kann von jedem reklamiert werden, das heißt eigentlich, er kann von niemandem wirklich reklamiert werden. Außer von Harald Schmidt selbst.
Harald Schmidt hat beim „Kom(m)ödchen“ angefangen, eigentlich ja in einem sehr klassischen Kontext…
Das kann man wohl sagen. Das Kom(m)ödchen war und ist Haltungskabarett. Aber Kay Lorenz hat ihn damals engagiert, weil er sofort Schmidts enormes komisches Potenzial erkannt hatte. Harald Schmidt war nicht erfolglos am Kom(m)ödchen, aber er passte da politisch nicht rein. Er hat schon damals, wie er das auch heute macht, private Geschichten erzählt, sozusagen Privatsatire betrieben. Er hat Alltagsbeobachtungen satirisch bearbeitet und war, wenn man ihn irgendwo hinstecken will, erst einmal ein Feuilletonist im klassischen Sinne. Jemand, der durch die Strassen läuft, etwas beobachtet und witzig darüber erzählt. Deshalb passte er da nicht rein, aber es war für ihn ein wunderbares Sprungbrett. Am Kom(m)ödchen zu sein bedeutete, beobachtet zu werden, auch von Leuten, die beim Fernsehen arbeiten, und es hat dann ja auch nicht so ewig lange gedauert, bis das Fernsehen ihn geholt hat. Es dauerte nur vier Jahre, dann hatte er seine eigene Show. Er wurde dann auch sehr schnell so bekannt durchs Fernsehen, dass er mit seinem Soloprogramm auf Tournee gehen konnte, ohne dass ihm irgendein Kay Lorenz kritisch auf die Finger geguckt hätte. Er musste sich nicht mehr rechtfertigen, und das war es, was er immer haben wollte: der Boss im Ring zu sein, derjenige der ansagt, was gemacht wird.
Als er seine Late-Night-Show begann, war ihm die auch nicht gleich auf den Leib geschustert, da hat er erst mal genau das Format aus Amerika übernommen.
Seine Vorläufer Gottschalk und Koschwitz, die haben das beide versemmelt. Die waren gar nicht in der Lage, jemanden wie Leno oder Letterman zu kopieren. Harald Schmidt ist dann hingegangen und wollte zeigen: „Ich kann die kopieren, ich bringe das, was ihr nicht bringt.“ Und das hat er ein paar Jahre lang gemacht. Bis er der Sache müde wurde. Da wurde auch die Show sehr müde und bestand nur mehr aus lustlos heruntergeratterten, vornotierten Bonmots.
Da hat es ihm selbst keinen Spaß mehr gemacht.
Mir und vielen anderen Zuschauern hat es ja auch keinen Spaß mehr gemacht. Und in dieser Situation kam der Umbruch, nun dachte er: „Jetzt reicht’s, jetzt mache ich nicht mehr den Letterman, jetzt mache ich hier mein Privattheater auf und hole mir den Andrack auf die Bühne“. Also weg von „Dirty Harry“ und hin zu seinem Harald-Schmidtschen Plauderstündchen. Seitdem erst, denke ich, ist Harald Schmidt wirklich der Rede wert.
Helmut Zerlett hat nicht mehr gereicht als Anspielstation?
Helmut Zerlett war nicht schlecht als Ansprechpartner, das funktionierte gar nicht so übel, das ist von vielen wirklich unterschätzt worden. Aber was Schmidt haben wollte, war jemand, mit dem er einfach plaudern konnte und der ihm dabei half, zu improvisieren. Und auf einmal saß Andrack da. Ein relativ nüchterner, durchaus humorverständiger Mann, der aber selber nicht komisch sein will. Was Zerlett stets wollte.
Sie beschreiben in ihrem Buch sehr aufmerksam den neuen Charakter der Sendung als den einer Theater-Aufführung, eigentlich eher einer Theaterprobe. Seit Manuel Andrack auf der Bühne sitzt, agiert Harald Schmidt sehr viel befreiter, er ist wieder der Chef im Ring.
Und er hat viel mehr Möglichkeiten. In dem Moment, wo ich als Dichter, Hauptdarsteller, Regisseur und Kritiker in einer Person um mich herum Leute schare, die bestimmte Aufgaben übernehmen im Ensemble, in diesem Moment habe ich viel mehr Möglichkeiten, zwischen meinen Rollen zu changieren. Ich kann mal das Arschloch geben, ich kann auch den gütigen Vater machen, ich kann den Oberlehrer spielen, ich kann den unzurechnungsfähigen Show-Idioten spielen. Alle die Rollen, die er jeden Abend mehr oder weniger gehäuft vorführt, sind nur möglich, weil er bestimmte Projektionsflächen dafür hat. Gegenüber Suzana benimmt er sich anders als gegen Helmut, anders gegenüber Manuel als gegen Sven. Das ist sehr wichtig für ihn, damit spielt er mit großem Genuss. Dies ist eigentlich auch, was ihm am meisten liegt: zu reagieren auf das, was andere Leute machen. Und dann wieder auf die Reaktion der anderen zu reagieren. Aber dabei immer die Kontrolle zu behalten! Es darf auf keinen Fall passieren, dass jemand anders die Regie übernimmt oder ihn gar von der Rampe wegdrückt, das hasst er.
Wenn mal jemand aus dem Publikum versucht, witziger zu sein als er, dann wird er ja auch richtig hart.
Dann wird er geradezu bösartig. Die Versuchung ist ja für Laien riesengroß. Komischer zu wirken als der Komiker, ist der größte Triumph, den ein Nicht-Profi haben kann. Und genau das weiß auch Harald Schmidt, und deswegen reagiert er mit großer Grausamkeit. Wogegen diejenigen, die ganz lieb sind und sich nicht aufspielen, von ihm wahnsinnig nett behandelt werden, netter als von den meisten anderen Show-Moderatoren. Teilweise hört er ihnen richtig interessiert zu. Oder jedenfalls simuliert er das Interesse ganz gut. Das ist noch etwas, was jemand wie z. B. Gottschalk nie hinkriegen würde. Der interessiert sich einen Dreck für Leute, die nicht mindestens eine Million Platten verkauft haben.
Die „Harald Schmidt Show“ dramatisiert ständig die Spannung zwischen Alltagsrealität und Bühnenillusion. Bei jeder Gelegenheit spielt Schmidt mit dem Inszenierungscharakter seiner Sendung. Kann man Harald Schmidt, etwas gezwirbelt, beschreiben als einen Beobachter, der sich selbst beim Beobachten beobachtet?
Ja, und das ist nicht gezwirbelt. Es hat für mich der wichtigste Reiz, über Harald Schmidt zu schreiben, darin bestanden, dass alles, was er vorführt und aufführt, so oft gebrochen ist. Er dreht das gute alte Brecht-Theater noch einen Schraubenkreis weiter. Schmidt benutzt diese Brecht-Elemente, diese Entfremdungsmethoden, und er macht sich gleichzeitig darüber lustig. So wird etwa diese seltsame Illusion von Familie, die er seit zwei Jahren mit Andrack und Suzana und Zerlett und Sven und anderen peripheren Gestalten inszeniert, gleichzeitig auch immer kommentiert und dieser Kommentar wird wieder kommentiert und so fort. Das ist Schmidts brillante Leistung. Es gibt wunderbare Alltagsbeobachter im deutschen Comedy- und Kabarettwesen, die ihm gar nicht nachstehen in ihren Alltagsbeobachtungen. Aber es gibt niemanden, der, wenn er auf der Bühne ist und mit seinen Leuten zusammenarbeitet, so beiläufig so viele Elemente von Ironie und Meta-Ironie erzeugt.
Neulich hat er in der Show in einem kleinen nachgebauten Bühnenraum seine eigene Show als Marionetten-Theater aufgeführt.
Gerade diese Verwirrungen, die dort jeden Abend entstehen, diese Distanzen, die in der Sendung fortwährend eingezogen werden, das ist, was nicht nur für mich, sondern auch für mindestens eine Million andere Menschen die Harald-Schmidt-Show einzigartig und interessant macht. Wir mögen, dass wir uns einerseits geborgen fühlen mit diesen Schmidt-Leuten und mit diesem Schmidt, und wir freuen uns andererseits auch, dass uns kein Sand in die Augen gestreut wird, dass man uns ernst nimmt. Harald Schmidt liebt sein Publikum nicht, aber er nimmt es ernst, sonst würde ihm Einlagen wie das Marionettentheater nicht zumuten. Wer macht das denn sonst im Fernsehen, wer sonst stellt sich hin und sagt: „Glotzt nicht so blöd, passt mal lieber gut auf – dies hier ist nicht die Wirklichkeit, wir sind nicht Eure Freunde, wir sind Bühnenfiguren!“ In all den anderen Sendungen, in denen diese Distanzierungen nicht stattfinden, geht es darum, das Publikum zu vereinnahmen. Harald Schmidt will sein Publikum nicht vereinnahmen, er will, dass es ihm vom Leib bleibt.
Sie beschreiben Harald Schmidts Beziehung zu dem Medium Fernsehen mit den Worten: „In einem Medium, das nichts ernst nimmt, nimmt er auch nichts ernst.“
Er ist der einzige Fernsehstar, der das Fernsehen wirklich durchschaut hat, und er spielt einfach nicht mit. Spielt nicht mit bei dem ungeheuren Exhibitionismus des Mediums und seinem brutalen Zugriff auf das, was in der Welt geschieht. Er zieht sich demonstrativ zurück. Die meisten Fernsehmaxe drohen den Leuten: „Wenn du jetzt wegschaltest, versäumst du den Spaß deines Lebens.“ Harald Schmidt aber ist Avantgarde. Der sagt ganz cool: „Schalt doch weg, mir doch egal.“ Vor kurzem hat er das wieder in einer großartigen Kleinigkeit auf den Punkt gebracht. Der Slogan der SPD auf ihrem Parteitag war: „Das Wichtige tun“. Und Haralds Schmidt hat sich – im gleichen Schriftzug – ein Schild auf den Schreibtisch gestellt, auf dem stand: „Das Unwichtige tun“. Und genau das, diese Haltung – wenn man schon eine suchen will – das ist die Haltung der Harald-Schmidt-Show. „Wir tun das Unwichtige.“ Das unterscheidet ihn „absolut“ – um das Lieblingswort von Andrack mal zu benutzen – absolut von allem anderen Fernsehen. Wir müssen das Fernsehen begreifen als ein Medium, das eigentlich immer da ist, das wir nie wieder loswerden, das dabei aber von einer ungeheuren Unwichtigkeit ist.
Es ist strukturell beim Fernsehen, dass die Abbildung immer das Unwahre ist. Es gibt keine authentischen Fernsehbilder. Gerade wenn sie authentisch aussehen, traue ich ihnen gar nicht mehr über den Weg. Ich habe mich manchmal schon gefragt ob ich wirklich glauben soll, das da ein Hurrikan über Florida fegt, wenn ich die Fernsehbilder dazu sehe, oder ob das bloß inszeniert ist. Dieses Misstrauen hat Harald Schmidt auch, der weiß noch viel besser als ich, wie inszeniert jedes Fernsehbild ist. Es gibt nichts Interessantes im Fernsehen, nicht mal die „Harald Schmidt Show“ ist im eigentlichen Sinne interessant. Aber sie sagt es ja auch selbst: „Schaltet doch um, ihr Idioten, geht doch pennen! Ihr müsst hier nicht bleiben.“
Ich freue mich auf Harald Schmidts Weltbetrachtung, weil ich weiß, dass da alle die Dinge, die jeden Tag durch die Medien flirren – von Stahnkes Urinal bis zu Bushs Truthahn – auf eine ganz bestimmte Weise angepackt werden. Sie werden fassbar gemacht und überwindbar. Sie werden zerstückelt und entsorgt. Aber zumindest werden sie der Alleinherrschaft des Boulevards entrissen.
Das Allerschlimmste, was uns angetan wird, ist ja der Boulevard-Journalismus. Boulevard-Journalismus funktioniert nur mit ungeheuren Superlativen. Wir haben den „Pop-Titan“, und das ist dann nur so ein armseliger Musiker wie Dieter Bohlen, und wir haben einen „Torwart-Titan“, und das ist dann ein sehr durchschnittlicher Sportsmann wie Oliver Kahn, der außer durch Körperkraft nicht durch viel überzeugen kann. Harald Schmidt sieht das Ganze, diesen riesigen Bombast, den Boulevard machen muss, diese Aufgeblasenheit und diesen superlativen Müll und zieht ihn runter, bringt ihn auf eine verständliche, sehr komische Ebene. Eines der schönsten Beispiele in letzter Zeit erlebte man, als er während des Angriffs auf den Irak durch die Amerikaner eine Viertelstunde damit verbrachte, eine Feldration eines GIs zu öffnen und dann Minuten über Minuten eine Fertigmahlzeit, die man durch Reibung erwärmt, zwischen seinen Händen knetete. So hat er einen Krieg kommentiert, den der Boulevard-Journalismus verkaufte wie die letzte Schlacht um Mittelerde..
Sie behaupten in ihrem Buch, dass das, was Harald Schmidt macht, nicht möglich wäre ohne die Vorarbeit der Neuen Frankfurter Schule.
Die Neue Frankfurter Schule hat vor allem eine Sache durchgesetzt, und zwar eine ungeheure Lässigkeit im Wechsel von Tonfällen. Vor allem Eckhard Henscheid hat bewies sehr beeindruckend, wie man mit allerübelstem Jargon arbeiten und gleichzeitig doch einen außerordentlich artifiziellen Stil schreiben kann. Und ähnliches macht Harald Schmidt: Er wechselt fortwährend die Tonfälle – aber behält dabei immer einen ganz eigenen Tonfall.
Auffällig finde ich vor allem die Nähe von Max Goldt und Schmidt. Beide haben eine große Freude an der Sprache. Etwa wenn für Goldt das Wort „Frühstückszerealien“, oder für Schmidt das Wort „Werbespotstop“ zum Ausgangspunkt von wildwuchernden Assoziationen wird.
Den Max Goldt schätzt Harald Schmidt ungeheuer. Die beiden verbindet vor allem der Plauderton. Sowohl Harald Schmidt als auch Max Goldt erlauben sich die Pose eines gewissen Dandyismus. Sie sind nicht arrogant, sondern abgeklärt: Man gibt zu, dass man auch nicht alles weiß, man gibt zu, dass man Alltag hat – das fällt ja vielen unendlich schwer, den beiden nicht -, und das schafft Identifikationsmöglichkeiten für das Publikum, und es schafft vor allem viel Freiraum für humorvolle oder boshafte Beobachtungen.
Ist das, was Harald Schmidt macht, Literatur?
Ich denke, dass ist in der Tat Literatur ist, was er da fabriziert. Aber eine Literatur, die nur funktioniert, indem sie sprechend produziert wird, im klassischen Sinne des großen Erzählers in der Urhorde, der spannende Geschichten erzählt, etwa davon, wie der Bison ihn dann doch nicht erwischt hat. Ich bin da sehr dankbar für die moderne Literaturwissenschaft, die einen Textbegriff entwickelt hat, in den noch sehr viel mehr reinpasst als so eine „Harald Schmidt Show“.
Wenn wir über Harald Schmidt und Literatur reden, müssen wir auch über die Popliteratur reden. Es ist kein Zufall, dass Stuckrad-Barre seine Karriere bei Schmidt in der Redaktion begonnen hat, dass Schmidt Sachen von Stuckrad-Barre aufführt und dass er Gäste einlädt wie Christian Kracht oder Alexa Hennig von Lange.
Das ist etwas, was ich an ihm nicht begreife, dieses Abfeiern von Popliteraten – das deutet auf ein Defizit von Harald Schmidt hin. Er erkennt offenbar eine gemeinsame Haltung – jetzt haben wir doch mal eine Haltung -, also dieses Dandyhafte, und ein vergleichbar ironisches Verhältnis zu dem, was Wirklichkeit und Gesellschaft sind. Das mag er, da erkennt er sich wieder. Er sollte aber mal genauer hingucken, was die tatsächlich produzieren. Der Unterschied von Schmidt zu dem meisten, was Popliteratur hervorgebracht hat, besteht darin, dass Schmidt witzig ist. Die Popliteraten sind in der Regel einfach nur ungeheuer selbstverliebt. Und unglaublich langweilig.
Selbstverliebt ist aber doch auch ein entscheidender struktureller Bestandteil der Harald-Schmidt-Show?
Aber Schmidt geht auch mit sich selbst gnadenlos um, mit der Bühnenfigur „Schmidt“, mit dem, was da jeden Abend von ihm produziert wird. „Mein Gott, bin ich heute wieder schlecht“, ist etwas, was ich nicht sehr oft von Popliteraten höre, aber sehr oft von Harald Schmidt. Dass er sich im nachhinein über etwas Missratenes am stärksten lustig macht, ist etwas, was ich von Stuckrad-Barre nie erleben werde.
Bei allen Qualitätsunterschieden gibt es doch auch deutliche Gemeinsamkeiten?
Eine Gemeinsamkeit von Popliteraten und Schmidt ist, dass sie beide einen vermittelten Zugang zur Welt haben, und zwar vermittelt durch Massenmedien im weitesten Sinne. Ich vermittle mir den Zugang zur Welt durch Werbung, durch Fernsehen, durch Popmusik, durch das, was andere an Stylingvorgaben gemacht haben … Das tut auch Harald Schmidt, er überprüft: „Passe ich überhaupt rein in diese medial dargestellte Welt?“
Die gesellschaftliche Wirklichkeit kriegen wir nicht mehr anders mit als über das, was im Fernsehen passiert. Also geht Harald Schmidt ins Fernsehen und macht im Fernsehen seine Satiren übers Fernsehen, aber nur über die Oberflächen die ihm da präsentiert werden.
Er, und wir auch, bekommen ja fortwährend vorgesetzt, wie man zu leben hat, was man zu haben hat, worüber man zu reden hat, was man zu tragen hat, und dazu muss man sich dann auch äußern. Man kann dem zustimmen oder man kann es in Bausch und Bogen ablehnen. Es ist unmöglich dem zu entrinnen, was in den Medien an Vorschriften gemacht wird, und verändern können wir es auch nicht, dazu ist es zu mächtig. Aber wir können uns gemeinsam darüber lustig machen.
Es ist schwer vorstellbar, dass jemand wie Harald Schmidt dem Medium Fernsehen endgültig den Rücken zuwendet und nur noch als Theater-Schauspieler arbeitet, oder?
Also, vorstellen kann man sich bei Schmidt jede Menge. Aber warum sollte er, mit diesem fabelhaften Team im Rücken, eben diesen Rücken dem Fernsehen zuwenden? Nein, ich bin sicher, dass er weitermacht. Wann und wo, weiß freilich allein König Harald der Viertelnachelfte.
Jan Karsten
Kay Sokolowsky: „Late Night Solo. Die Methode Harald Schmidt.“ Konkret Literatur Verlag, 143 Seiten, Hamburg 2003, 12,90 Euro