Geschrieben am 26. Februar 2014 von für Bücher, Litmag

Jennifer Egan: Black Box

Jennifer_Egan_Black BoxViele Versionen einer Geschichte

– Auf knapp hundert Seiten versucht Egan das Experiment des Twitterromans. Kein Satz, oder in diesem Fall eher keine Informationseinheit darf hier länger als 140 Zeichen sein, der maximalen Länger eines Tweets. Als Twittersachverständige vom Dienst konnte Anne Schüßler also gar nicht an Jennifer Egans “Black Box” vorbeikommen. 

“Deine eigenen Feldinstruktionen werden in einem Chip unter deinem Haaransatz gespeichert.”

Satz für Satz könnte man so den Roman im Internet veröffentlichen, Baustein für Baustein hintereinander, wie Egan es auch zunächst über den Twitteraccount des New Yorker (@NYerFiction) getan hat. Nun wäre das alles vielleicht gar nicht so schwierig, würde Egan nicht auch den Charakter dieser Kurznachrichten berücksichtigen. So ist es also nicht einfach nur die Kürze der Sätze, sondern die Dichte der Informationen, die ihnen innewohnt. Selbstverständlich entspinnt sich die erzählte Geschichte um eine zivile Geheimagentin nur im Zusammenhang, doch Jennifer Egan gelingt es, jeden Maximal-140-Zeichen-Happen zählen zu lassen. Und wer schon einmal selber bei dem Versuch, einen konkreten Gedanken in 140 Zeichen zu quetschen (vor allem, ohne dabei Grammatik- oder Punktuationsregeln zu verletzen), gescheitert ist, der weiß, dass ihre selbstauferlegten Vorgaben gar nicht so einfach zu erfüllen sind.

“Sie dienen sowohl als Logbuch deiner Mission als auch als Anleitung für all jene, die diese Arbeit in Zukunft auf sich nehmen werden.”

Eine namenlose zivile Geheimagentin ist irgendwo am Mittelmeer im Einsatz. Sie ist eine Heldin, opfert sich für ihr Land, spielt die Schönheit für eine auszuspionierende Zielperson. Implantate in ihrem Körper dienen zur Kommunikation mit der Organisation, sie kann Gedanken, Anweisungen und Informationen speichern, komprimierte Versatzstücke ihrer Innenwelt. Das, was wir lesen, sind diese Versatzstücke, es sind eben diese Anweisungen, Erinnerungen, Informationen, Gefühle und Befehle, alle zusammen das Tagebuch ihres Einsatzes. Wir bekommen den Bauplan für einem James-Bond-Film mit weiblicher Hauptdarstellerin, eine Skizze, einen blue print, einen Grundriss, nur nicht den Film selbst.

“Nach Abschluss deiner Mission kannst du deine Feldinstruktionen noch einmal einsehen, ehe du sie der Akten über deinen Einsatz hinzufügst.”

Doch gerade das macht die Faszination von “Black Box” aus. Hier wird der Leser allein gelassen mit kurzen Anweisungen, aus denen sich jeder seine eigene Version der Geschichte zusammenbauen kann. Es gibt keine Dialoge, nur Situationen, in denen in einem anderen Buch Dialoge stattfinden würden. Nie erfahren wir Details, oft bleibt die Geschichte im Potentiellen hängen. Und möglicherweise ist das auch die Stärke von Egans Erzählexperiment: Denn in dem Moment, in dem wir selber gefordert sind, uns den Rest der Geschichte selber dazuzudenken, bleibt diese auch besser im Kopf. Je weniger Details vorgegeben sind, je mehr aus unserem eigenen Ideenfundus kommt, und wir den Bauplan selber mit Farben und Formen füllen müssen, desto mehr wird diese Geschichte zu unserer eigenen. Am Ende wundert man sich eigentlich nur, wo das alles herkommt, was man da gelesen hat, wo es doch in den Wörtern gar nicht drin steht.

“Sollten sich belanglose oder persönliche Gedanken eingeschlichen haben, kannst du sie löschen.”

Anne Schüßler

Jennifer Egan: Black Box (Black Box, 2013). Aus dem Englischen von Brigitte Walitzek. Schöffling & Co. 2013. 96 Seiten. 9,95 Euro. Verlagsinformationen zum Buch und zur Autorin.
Zum Blog von Anne Schüßler.

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