Grausamkeiten und brüllender Witz
– Jenny Lawsons Blog-Biografie „Das ist nicht wahr, oder?“ ist der erste Titel des ersten Programms des neugegründeten Metrolit-Verlags aus Berlin – Christina Mohr stellt das prächtig ausgestattete Buch vor.
In Jenny Lawsons Leben – und das unterstreicht die „Bloggess“ mit jedem Satz – ist rein gar nichts normal oder vorhersehbar, außer dass alles garantiert anders läuft als gedacht. Auch die dramatischen Momente des Lebens: So kann die in Wall, Texas aufgewachsene Jenny Lawson etwas einiges zum traurigen Thema Fehlgeburt beisteuern – und so böse es klingt, scheint es zur „durch und durch durchgeknallten“ (Selbstbeschreibung) Lawson zu passen, dass ihr dieses Unglück nicht nur einmal, sondern mindestens dreimal wiederfährt, bevor sie ein gesundes Baby zur Welt bringt.
Dass alles garantiert anders läuft als gedacht ist zunächst nichts Besonderes, diesen Eindruck hat schließlich fast jede/r mal, aber in Lawsons Familie potenziert sich das Groteske: ihr Vater ist Tierpräparator und überrascht/erschreckt Frau und Kinder regelmäßig mit schaurigen toten oder (noch) lebendigen Lieferungen aus seinem Lastwagen, aus dem sie als Kleinkind einmal während voller Fahrt herausgeschleudert wurde, weil ihre Mutter sie nicht angeschnallt hatte. Grausamkeiten und brüllender Witz wechseln sich in atemberaubenden Tempo ab, es erscheint beinah obsolet zu erwähnen, dass Lawson an seltenen Krankheiten, Psychosen, Neurosen und Allergien leidet, zu viel trinkt, Tabletten schluckt und natürlich anorektisch ist.
Deine beste durchgeknallte Freundin
Eine solche kombinierte Fülle aus Horror und Komik findet man sonst nur bei David Sedaris, mit dem Lawson außerdem das Talent für skurrile Beschreibungen, verdrehte Vergleiche und die Mixtur aus Lakonie und Sarkasmus gemein hat, die sich alle Opfer verrückter Familien aus Selbstschutz zulegen, um nicht komplett zu Grunde zu gehen.
„The Bloggess“ wurde seit dem Start ihres Blogs in 2006 unzählige Male ausgezeichnet, unter anderem als eine der „Top 50 Most Powerful Mom Bloggers“ (Nielsen Ratings), „The Huffington Post“ nahm sie wegen ihres Engagements für mittellose Eltern in die Liste der „Greatest Persons of the Day“ auf.
Beim Lesen-am-Stück können der geneigten Leserin Lawsons irre Abschweifungen, Verschwörungsphantasien, Schusseligkeiten und überdrehten Gedankenschraubereien manchmal etwas zu viel werden (wobei die Geschichte mit den Truthähnen, sorry, Riesenwachteln, die ihr Vater züchtet und die sie bis in die Schule verfolgen, wirklich wahnsinnig komisch ist), als daily blog-pieces sind ihre Stories aber ein Fest.
Also: jeden Tag nur ein, zwei Seiten, und die Bloggess wird eure beste durchgeknallte Freundin. Wer alles auf einmal liest, wird genau so irre wie Lawson!
Christina Mohr
Jenny Lawson: The Bloggess: Das ist nicht wahr, oder? (Let’s Pretend that Never Happened, 2012). Übersetzt von Wolfram Ströle. Metrolit 2013. Gebunden mit Schutzumschlag. 360 Seiten, viele Fotos. 19,98 Euro. Zum Blog von Lawson.