Geschrieben am 21. August 2013 von für Bücher, Litmag

Jesper Juul: Wem gehören unsere Kinder? Dem Staat, den Eltern oder sich selbst?

9783407859709„Meins ist besser als deins“

– Jesper Juul ist der internationale Star unter den Familientherapeuten. Nun hat er eine Streitschrift zum Thema Frühbetreuung geschrieben. Nora Helbling hat sie gelesen.

Das Thema Kitabetreuung ist besonders mit Blick auf den 1. August 2013 von aktueller Brisanz. Seit diesem Tag gewährt das bundesweite Kinderförderungsgesetz einen Rechtsanspruch auf Betreuung für Kinder ab einem Jahr.

Die Süddeutsche Zeitung hat den dänischen Familientherapeuten Jesper Juul gebeten, seine Ansichten zu diesem Thema in einem Artikel festzuhalten. Juul ist durch seine Bücher und dem Projekt „Family Lab“ in Deutschland, aber auch international, bekannt. Sein Grundlagenwerk „Dein kompetentes Kind“ ist in 13 Sprachen übersetzt worden und will Eltern daran erinnern, das Kinder von Beginn an Kooperationspartner mit hoher sozialer Kompetenz und eigener Persönlichkeit sind.

Aus dem erschienen Zeitungsartikel ist anschließend ein 37 Seiten langes Statement zum Thema Frühbetreuung erwachsen. „Wem gehören unsere Kinder? Dem Staat, den Eltern oder sich selbst?“ ist ein Appell an die Eltern und die Erzieher.

Ideologische Grabenkämpfe auf dem Spielplatz

Grundsätzlich sind es ideologische Grabenkämpfe, die geführt werden, wenn es um unsere Kinder geht. In Foren und auf Spielplätzen, in Büchern und Seminaren werden stets neue Dogmata der Kindererziehung aufgestellt. Der Witz dabei ist: meistens geht es gar nicht wirklich um die Kinder. Es geht um „meins ist besser als deins“, „ich hab recht, du hast unrecht“ – Kindergarten eben.

In der Mitte dieser Debatten steht häufig ein chronisch verunsichertes Elternteil, das sich fragt, ob es überhaupt Sinn macht Kinder in die Welt zu setzen, wenn man doch eigentlich gar nichts richtig machen kann?

Wenn ein solches Elternteil in dem Büchlein von Jesper Juul blättert, um eine Antwort auf die Frage nach dem Richtig oder Falsch von Kindertagesbetreuung zu finden, geht es leer aus. Jesper Juul hütet sich vor einer konkreten Empfehlung. Denn die Interessen von Eltern und ihrer Kinder lassen sich nicht trennen. Jedes Familienkonstrukt ist anders, und so gibt es eben nicht nur eine, sondern viele verschiedene Wahrheiten.kita-zeichnung2

Die Kita als Konstrukt wirtschaftlicher Interessen

Das Gesetz, so konstatiert Juul, sei aber unter anderem Ausdruck eines staatlichen Kalküls mit rein wirtschaftlichen Interessen. Es solle die Möglichkeit geschaffen werden, dass Eltern möglichst früh nach der Geburt wieder produktiv arbeiten können. Sowieso seien Tagesstätten nicht für die Bedürfnisse der Kinder geschaffen worden, sondern in erster Linie für die der Eltern.

Natürlich, so der Familientherapeut, sind die Einrichtungen auch wichtig. Kinder aus dysfunktionalen Familien bekommen dort einen Rückzugsort. Und das Bedürfnis oder die Notwendigkeit der Eltern, wieder in ein Berufsleben einzusteigen, ist auch eine Realität. Darin steckt aber auch ein Problem: Häufig gibt es in dieser Hinsicht keine Wahlfreiheit.

Die Qualität lässt zu wünschen übrig

220px-Jesper_JuulJesper Juul geht es nicht darum, gegen oder für eine gesellschaftlich etablierte Institution zu plädieren. Vielmehr stellt er die Qualität vieler Einrichtungen sowie das Niveau der Erzieherausbildung in Frage und erkennt diesbezüglich einen dramatischen Verbesserungsbedarf.

Mit Studien und Beispielen liefert er zudem Anhaltspunkte, wie die eigene Erzieher- als auch Elternkompetenz  geschult werden kann. Und das bedeutet vor allem: Das Kind als Individuum sollte im Fokus stehen, geschützt vor einer generalisierenden Definitionsmacht der Erwachsenen. Vor allem sollten die Eltern die Qualität der Kindertagesstätte nicht allein der Politik und den Erziehern überlassen, sondern stets Initiative und Engagement für die Verbesserung der Standards zeigen und für die Möglichkeit der eigenen Wahlfreiheit kämpfen.

Aus Jesper Juuls Schreiben meint man aber doch auch, seine eigene Meinung zu diesem Thema herauszuhören. Dass diese, so vermutet man, gegen eine frühe Betreuung spricht, sollte aber für den interessierten Leser oder die verunsicherten Eltern am Ende völlig egal sein. Denn das propagiert ja Juul gerade: Die Eltern müssen eine individuelle Haltung entwickeln, eine vor sich selbst sachlich begründete und emotional gestützte.

Es geht um Authentizität und nicht um die blinde Übernahme ideologischer Konzepte, nur weil diese gerade besonders laut vorgetragen werden.

Nora Helbling

Jesper Juul: Wem gehören unsere Kinder? Dem Staat, den Eltern oder sich selbst? Ansichten zur Frühbetreuung. Ratgeber. Deutsch von Kerstin Schöps. Beltz 2012. 40 Seiten. 4,95 Euro. Foto: Wikimedia Commons, von Lucarelli, Quelle.

Weiteres zu diesem Buch gibt es Online im Gespräch zwischen Christian Füller (taz) und Jesper Juul.

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