Geruchsfreie Mobilität ohne Pferd nebst Status und Power: Als das Auto noch Träume erfüllte
Ein großer Bildband über US-Autokataloge und Werbebroschüren zeigt nicht nur die breite Palette von Automobilen, die zwischen dem „goldenen Zeitalter“ und der Ölkrise (1900–1973) hergestellt wurden. Vermittelt werden auch Einblicke in Werbestrategien und technische Fortschritte: Man kaprizierte sich auf die Kunst, mehr zu verkaufen als einfach nur ein Auto – neben Hollywood waren US-Autohersteller lange Zeit die größten Traumfabriken. Von Peter Münder
„Fahre zehntausend Meilen durch Amerika und du wirst mehr über das Land erfahren als alle Soziologen oder Politikwissenschaftler zusammen.“ Jean Baudrillard/ America
Für moderne Autodesigner ist das „MAYA“-Prinzip ein ästhetisches Credo: „Most Advanced Yet Acceptable“ sollte laut der Maxime des Designpapstes Raymond Loewy (1893–1986) eine Karosserie sein – so avantgardistisch wie möglich, aber gerade noch auf ein akzeptables Mainstream-Niveau reduziert. Schließlich sollte jeder neue Entwurf schon die nächste Design-Phase der neuen Modellreihe andeuten, ohne das ästhetische Provokationslimit (wie etwa 1957 beim grotesk hässlichen, total fehlkonstruierten Ford Edsel) auszureizen. Am Edsel zeigte sich, dass die extreme Missachtung der „Form follows Function“-Maxime konsequent zum Desaster führte: ein Kloschüsseldesign als Kühlerdekoration, Getriebe-Drucktasten im Lenkrad, dazu Wasser-, Öl- und Bremsflüssigkeitsleckagen: Schnell war EDSEL ein Akronym für „Every Day Something Else Leaks“ und zum größten Flop der Automobilgeschichte geworden. Selten hatte sich die Stilistenweisheit „Design oder Nichtsein“ so drastisch bewahrheitet wie beim Edsel-Fiasko.
In der Pionierzeit des Automobils dürfte MAYA eigentlich kein Thema gewesen sein: Die pferdelose Kutschenform war vorgegeben, Holzräder wurden mit etwas Gummi dekoriert, Blechgehäuse und Glas wurden später verbaut. Der Motor sollte robust und genügsam sein. Henry Ford wollte einfach nur „Faster Horses“ am Fließband bauen, die dann aber auch bald hubraumstärker wurden und für Langstreckengalopps hochgezüchtet waren. Ein facettenreiches Faszinosum war das Auto von Anfang an: Virginia Woolf wurde nach dem Kauf ihres gebrauchten Singer für 275 Pfund am 15. Juli 1927 erst so richtig kreativ, sie war nach Autoexkursionen aufs Land so beflügelt, dass sie im Tagebuch notierte, das Auto habe ihr „die Welt“ für den Roman „To the Lighthouse“ geschenkt, jetzt seien alle Bilder in ihrem Kopf vom Autofahren eingefärbt. Frei, beweglich und luftig sei sie nun geworden – die Vor-Auto-Zeit erscheine ihr jetzt im Rückblick wie eine Vorhöhlenzeit. Der führerscheinlose Nabokov ließ sich mit großem Vergnügen von seiner Frau Vera durch die USA im grünen Buick kutschieren, am liebsten schrieb er die „Lolita“-Kapitel auf dem Beifahrersitz. Rund 150 000 Meilen absolvierte das Paar von 1949-1959 in den USA für die Schmetterlingstouren; dafür waren neben dem Buick auch ein Plymouth und ein Oldsmobile im Einsatz gewesen. Horizonterweiterung und Speed-Maximierung, Statusgenuss, pragmatischer A-nach-B-Transport: Ob Beatnik, James Dean oder die auf handfeste Alltagstauglichkeit ihres Ford fixierte Gertrude Stein: Sie alle waren von den Einsatzmöglichkeiten des Automobils begeistert. Ein Blick zurück auf die Anfänge dieser Mobilität ist auch Teil einer modernen Kulturgeschichte.
„Zwei Generationen von Amerikanern wissen mehr über die Federung eines Ford als über die Clitoris und mehr über ein Planetengetriebe als über das Sonnensystem.“ John Steinbeck/ Cannery Row
So ein Rückblick gerät auch zur faszinierenden Beschäftigung mit Träumen und Wunschvorstellungen, die ursprünglich mit der Idee einer völlig neuen Mobilität assoziiert waren. Konnte man sich um 1900 mit einem Knox Tudor Touring, einem robusten Cleveland oder einem elektrisch angetriebenen Columbia nicht die ganze Welt hinter der unendlichen Prairie und stoppeligen Feldwegen erobern ? Wurde es nicht endlich Zeit, sich hinter das Lenkrad eines so fabelhaften Vehikels wie einem Alco Touring Car zu setzen und den Pionier-Slogan „Go West“ in ein „Drive West“ abzuändern? War das Auto nicht das wahre „Streetcar named Desire“? Amerikanische Werbeprospekte aus dieser Zeit sind das ideale Medium, um diese Mobilitäts-Fantasien zu illustrieren. Sie erfassten und verstärkten auch die Sehnsucht nach Aufstieg und Anerkennung : Das ebenso teure wie seltene Auto war vor der Produktion des ersten Ford T-Modells von 1908 auch ein Statussymbol. Der bombastische, luxuriöse aber extrem solide Pierce-Arrow eroberte sich 1907 sofort neben Cadillac, Peerless und Lincoln einen Platz in der Exklusivnische. Aber den Hersteller aus Buffalo, der ursprünglich nur Vogelkäfige baute, ereilte dann in der Zeit der Weltwirtschaftskrise, wie viele andere Marken auch, der Exitus. Ein Cleveland – Werbeslogan: „Reliabilty, Efficiency, Refinement“ – kostete 1907 sagenhafte 2800 Dollar, während der kleinere 20 PS starke Hupmobile 1909 schon ab 750 Dollar zu haben war. Das T-Model kostete in den 1920er Jahren schließlich rund 250 Dollar. Die Masse machts eben billiger – das hatte Henry Ford ja rechtzeitig erkannt.
Hinter den Feldwegen muss die Freiheit wohl grenzenlos sein: Eine Auto-Fahrt über Land war damals noch ein echtes Abenteuer, da es kaum Straßen gab und man sich passable Wege selbst freischaufeln musste. Der Werbeslogan vom Fahren ohne Pferd – dazu noch geruchslos ! – war zwar verführerisch, aber die Strapazen wurden während dieser Anfangsphase der neuen Mobilität, als es auch noch kein Tankstellennetz gab, einfach ausgeblendet.
Geheime Verführer oder plumpe Heißluftfanatiker?
In seinem Beitrag über „Automobilprospekte und die Sublimierung des Verlangens“ weist der amerikanische Design-Guru und Autor Steven Heller auf die Verführungsaspekte dieser Reklamebroschüren hin. Die Sehnsucht nach wahrem Luxus, nach avantgardistischer Technik, aber auch nach der Befriedigung von Potenz- und Herrschaftsgelüsten sollten von den Hochglanzprospekten angesprochen und stimuliert werden: Freud lässt grüßen, der thematische Kontext Auto als Fetisch wird hier offenbar fokussiert. Wenn Heller die Erskine Motor und Studebaker-Typenbezeichnungen wie „President“, „Commander“ oder „Dictator“ anspricht, die damals keineswegs ungewöhnlich waren, dann fragt man sich aber schon, was daran so besonders subtil oder sublim sein soll: Ist es vielleicht nur ein besonders plumpes, dümmliches Hochkitzeln von Omnipotenzgelüsten, das von Werbefuzzis mit viel heißer Luft zum Abheben in höhere Sphären manövriert werden soll, in denen sich die Luftschiffer des Geistes angeblich so wohl fühlen? Die im Bildband präsentierten Studebaker-Anzeigen sind ja eher schlicht und schönfärberisch auf das Erkunden des Kontinents im eigenen Auto abgestellt: „See America First … in America’s Stand-out Car“ etwa zeigt eine junge Familie beim Gespräch mit einer Navajo-Indianerin, die in einer schmucken Decke ihr Baby auf dem Rücken trägt und glänzende Kettchen und Armreifen zur Schau stellt- die strahlenden Gesichter illustrieren, wie angenehm sich diese heile Welt durch das Autofenster darstellt.
Die Diskrepanz von Schein und Sein, von Hochglanz und Pfusch ist zwar in den Broschüren hübsch kaschiert, aber die Autokäufer lassen sich wohl doch nicht so leicht für dumm verkaufen. Heller mokiert sich ganz zu Recht über den in den Broschüren offensichtlichen Trend der 1930er Jahre, fast alle banalen automobilen Gebrauchsgegenstände wie Aschenbecher, Handgriffe, Lampen usw. im Art-deco-Stil als eine Art exotische Kronjuwelen darzustellen: Selbst im einfachsten Alltagsvehikel, so wird dem Fahrer suggeriert, wird der Trip zum Drugstore zur fürstlichen Exkursion.
Mobile für individuelle Außenseiter oder einfach nur anders?
Im Kapitel „Stalwarts of Marketing 1947–1961“ werden Abbildungen aus Autokatalogen für unbeirrbare Individualisten gezeigt: Natürlich sind hier Marken wie Hudson, Kaiser oder American Motors vertreten, die sich gegen die großen Drei General Motors, Ford und Chrysler nur kleinere Nischensegmente erobern konnten. Wie schwammig aber die Kriterien für dieses Kapitel sind, zeigen die vielen Abbildungen gängiger Chevrolet, Chrysler und Ford-Modelle, die man in diesem Umfeld nicht vermutet hätte. Beim Übergang zur automobilen Neuzeit, zu spritsparenden europäischen Nachkriegsmodellen, die sich mit den Abbildungen von Borgward Isabella, Mercedes 219, Porsche 356 und VW-Modellen ankündigt, hat der Herausgeber offenbar den roten Faden verloren. Denn nun gesellen sich zum nie in Serie produzierten Tucker mit Heckmotor („Step into a new automotive age“) und dem Porsche 356 B („Driving in its purest form“) auch Volvo (der legendäre Buckel-PV 544), britische Humber- und sogar Rolls Royce-Modelle.
Von diesen Power-Boliden hätten einige auch im Kapitel „Dreams of Power and Joy“ (1930–1946) vorgestellt werden können: Die Rückblicke auf wahre Exoten wie den V-12 Auburn, Marmon, Reo und Ruxton gehören nämlich zu den schönsten Abschnitten dieses prächtigen Bandes. Kunst und Kommerz gehen hier eine auf schönen Illusionen basierende Liaison ein, die dreisprachigen, kurzen Kommentare (Englisch, Deutsch, Französisch) sind präzise und sehr informativ, die Texte von Jim Donnelly und Steven Heller ergänzen die ästhetisch so ansprechenden, bezaubernden Illustrationen ideal. Wünschenswert wäre aber noch die Ergänzung eines Markenregister und ein Hinweis auf die Editionsgeschichte. Denn die abgebildeten Prospekte stammen von diversen Sammlern und Institutionen, über die man gern noch mehr Details erfahren hätte. Der tolle Band ist nicht nur eine Augenweise, er demonstriert auch, dass die in den USA erhobene Forderung, das Fach Automobilgeschichte ins Curriculum von Schulen und Universitäten aufzunehmen, sehr berechtigt ist!
Peter Münder
Jim Heimann (edt.), Steven Heller, Jim Donnelly: Automobile Design Graphics. A Visual History from the Golden Age to the Gas Crisis (1900–1973). Taschen Verlag, Köln 2016, 368 S., 39,99 Euro. Verlagsinformationen. Fotos: Taschen Verlag.