Heroische Ironie
Auch wenn Großmeister Thomas Pynchon auf der Rückseite des Covers das Erzähltalent von Jim Knipfel in hohen Tönen lobt, sind die Aufzeichnungen aus dem Untergrund – der eigenen Seele, Amerikas – keine literarische Offenbarung
„Sehen wir unserem Verhängnis lachend entgegen“ – unter dieser Maxime treibt Jim Knipfel wie ein gezündeter Knallfrosch durch das Leben und schöpft es konsequent bis zur selbstzerstörerischen Neige aus. Das Verhängnis trägt dabei den Namen „Retinitis pigmentosa“ und bewirkt, dass sich Jim Knipfels Netzhäute „wie zwei Alka Seltzer“ auflösen. Doch in dem selben Maße, in dem sich sein Blick auf die Welt verdunkelt, erhellt sich ihm die Erkenntnis über ihren geradezu lächerlichen Scheincharakter.
„Blindfisch“ ist kein Roman, sondern die wohl über weite Strecken authentische Lebensgeschichte des 1965 in Wisconsin geborenen Autors Jim Knipfel. Diese beginnt mit einer behüteten Kindheit in einer durch und durch bürgerlichen Vorstadt sowie der frühen, wenn auch noch diffusen Erkenntnis seiner selbst als „abnorm“. Später soll Jim Knipfel in Dostojewkis „Aufzeichnungen aus dem Untergrund“ genau das beschrieben finden, was ihm seit frühester Kindheit wild im Kopf herumspukt: Paranoia, Wut, Isolation und Angst.
Über diverse Schulverweise und grotesk scheiternde Selbstmordversuche führt Jim Knipfels Lebensweg in die Subkulturen und Halbwelten von Minneapolis, Philadelphia und schließlich New York. Am Rande des Existenzminimums schlägt der langsam erblindende Protagonist sich mit Klauen, Blutspenden, und dem Verkauf von Pornos und Büchern durch. Zwischenzeitlich widmet er sich dem Philosophiestudium, exzessiven Alkohol- und Tablettengelagen, der Gründung einer „Nihilistischen Arbeiterpartei“ und dem Verfassen zutiefst defätistischer Kolumnen – das Schreiben wird Jim Knipfel zum letzten Rettungsanker.
Auch wenn Großmeister Thomas Pynchon auf der Rückseite des Covers das Erzähltalent von Jim Knipfel in hohen Tönen lobt, sind die Aufzeichnungen aus dem Untergrund – der eigenen Seele, Amerikas – keine literarische Offenbarung: Dazu ist die Sprache zu eindimensional, die Erzählweise zu tagebuchartig, der existentialistische Hauch zu oberflächlich und die Sujets seit Bukowski und seinen zahllosen Adepten allzu bekannt. Einen unbestreitbaren Reiz gewinnt „Blindfisch“ jedoch durch die radikale, erfrischende Offenheit und die geradezu heroische Ironie, mit der dieser Jim Knipfel auf die Welt und sein eigenes Schicksal blickt.
Karsten Herrmann
Jim Knipfel: Blindfisch. Rowohlt, 287 S., 19,90 Euro. ISBN: 3-498-03503-7