Crash und Kamele
– Stell dir vor, es ist Staatsbankrott und du sitzt in der Wüste – wäre das nicht übel? Jonas Lüschers Debüt „Frühling der Barbaren“ erzählt auf knapp 120 Seiten die Finanzkrise als Privatkatastrophe. Von Gisela Trahms
Eine Gruppe junger britischer Touristen, allesamt im Finanzsektor tätig, will in dem Luxusresort einer tunesischen Oase eine Hochzeit feiern, hübsch exotisch und abgeschirmt vom Rest der Welt. Doch kaum ist die Zeremonie vollzogen, gibt es breaking news vom Zusammenbruch der Banken und dem Ruin Großbritanniens. Die dramatischen Auswirkungen erwischen die Feiernden auch in ihrem künstlichen Paradies.
Was geschieht, wenn verwöhnten Tradern die Kreditkarten gesperrt werden, Machtverhältnisse sich umkehren und Brutalität Triumphe feiert, kann sich jeder leicht ausmalen und der Titel deutet es ja bereits an. Um es gleich zu sagen: Was Handlung und Charaktere angeht, folgt Lüschers Buch mit Lust dem aufgeklärten Klischee. Zivilisation ist Fassade, Solidarität ein Gerücht, widerliche Ausbeuter und hohle Broker sind, was sie sind und Lyrikliebhaberinnen auch nicht viel besser – alle und alles eher holzschnittmäßig und als Erkenntnisse und Karikaturen nicht neu.
Grandhotel am Abgrund
Interessant wird das, weil es beabsichtigt ist; es geht nicht um Enthüllung. Lüscher behauptet nicht, dass die Verhältnisse anders sind, als wir dachten, sondern dass wir wissen, wie sie sind und trotzdem nichts dagegen tun. Dass wir uns verhalten wie sein Protagonist, ein Schweizer Erbe namens Preising, gebildet und freundlich, der nur als Betrachter am Leben teilnimmt, keine Entscheidungen trifft und nicht so genau hinschaut, wenn er Unannehmlichkeiten ahnt. Lüscher schaut hin, das Buch bietet eine Menge präziser Details. Wie tunesische Fabrikationsbedingungen europäische Fabrikanten reich machen, wie die Mechanismen von Korruption und Abhängigkeiten greifen, wird so knapp wie exakt wie spannend dargelegt. Als plötzlich der große Crash den Globus erschüttert, entsteht ein sehr konkretes Überlebensproblem für Preising und die Hochzeitsgäste. Rasch entwickelt sich aus gewohnten Mustern eine Rutschpartie in den Abgrund. Da sie groteske Züge trägt und die meisten Beteiligten herzlich unsympathisch sind, liest man davon mit gewissem Vergnügen, umso mehr, da hier zur Abwechslung mal die Engländer die Rolle der Fieslinge übernommen haben, nicht die Deutschen.
Das Buch transportiert gleicherweise den Zorn über den Weltzustand wie die Einsicht, dass es nichts dagegen ausrichten kann. Kein naives Engagement hat das Erzählen in Gang gesetzt, sondern ein reflektiertes Bewusstsein, das sich an der Komplexität der Verhältnisse schon intensiv gerieben hat. Gezeigt wird, was der Fall ist, wenn der Turbokapitalismus nicht nur, wie üblich, die meisten seiner Kinder frisst, sondern alle, auch die reichen, auch uns.
Lüscher lässt den durchaus gutwilligen Preising die Geschichte erzählen – in einer psychiatrischen Anstalt, einem Mitpatienten. Dessen Kommentare schaffen sofort Distanz. Und dann huscht da noch ein seltsam allwissender Erzähler durch den Text, der in die Figuren hineinsieht, so dass sich für Momente, dann aber komplett, die Perspektive ändert. Diese Konstruktion wird mit Geschick gehandhabt, sie ist neu und eigenwillig und macht den Reiz der Novelle aus.
Kritik am Kritikwürdigen
Als solche wird die Erzählung ausdrücklich bezeichnet, und in ihrem Drängen auf das unerhörte Ereignis zu (Abfackelung und Abschlachtung von Mensch und Kamel) auch mit Recht. Den Tücken der Gattung zeigt sie sich nicht immer gewachsen: Während ein Roman Episoden und Abschweifungen verträgt, die ihren Charme in sich selbst haben, fordert die strenge Novelle, dass alle Elemente miteinander verzahnt sind. Hier aber schnörkeln sich manche Geschehnisse nur dahin und bieten eher Marokko-Folklore, als dass sie den Handlungsfaden stärken.
Anlässlich der im Klappentext gerühmten Sprache stöhnte Roman Bucheli in der NZZ über den „Tiefschlaf des Lektors“, was tatsächlich auf einzelne Seiten zutrifft. Wenn im Ablauf weniger Zeilen „Sorge“, „besorgniserregend“, „unübersichtlich“, „undurchsichtig“, „zu verstehen“, „kaum zu verstehen“ und „Anlass zur Sorge“ aufeinandertreffen, zeugt das nicht gerade von Brillanz (S. 20). Aber insgesamt findet Lüscher zu einer eigenen Ausdrucksweise, einem Mix aus Klassik-Parodie („Item“), flottem Bericht und einer Menge Fachvokabular von Ökonomie bis Philosophie, gewürzt mit reichlich Sarkasmus.
Ausgesprochen männlich-forsch kommt die Geschichte daher, übt Kritik am Kritikwürdigen und erregt kein Mitleid (höchstens für die Kamele). Dass Prousts Madeleine im Tee falscher Rechtschreibung bröselt, ist allerdings ärgerlich, ebenso wie die falschen Trennungen. Auf Korrektur und Satz wollte der Verlag offenbar kein Geld verwenden. Zur Entschädigung gibt es ein gewohnt glänzendes Autorenfoto von Isolde Ohlbaum. Wer sich also gern auf intelligente Weise unterhalten lässt, wird das Büchlein mögen. Wer erwartet, dass sich ein Autor ernsthaft für seine Figuren interessiert und mehr bieten will als die Illustration einer Versuchsanordnung, dem saust es durchs Hirn.
Gisela Trahms
Jonas Lüscher: Frühling der Barbaren
. Novelle. München: Verlag C.H. Beck. 2. Auflage 2013. 125 Seiten. 14,95 Euro. Verlagsinformationen zum Buch. Mehr zum Autor und aktuelle Lesetermiene. „Frühling der Barbaren“ auf der SWR-Bestenliste.