Geschrieben am 13. Februar 2004 von für Bücher, Litmag

Kem Nunn: Wellenjagd

Packendes Kino für den Kopf

Kem Nunn sorgt für packendes Kino im Kopf: Mit wenigen Prosastrichen lässt er bildmächtige, uramerikanische Szenarios und Mythen auferstehen. In seinem im Original bereits 1984 erschienen Debut „Wellenjagd“ liegt so eine einsame, in der Hitze flimmernde Tankstelle in der Wüste, alte Männer nuckeln lethargisch an ihren Budweisern und ein Junge schraubt an seiner 36er Harley Knucklehead. Die Zeit steht still, die Sonne tanzt auf glänzendem Metall.

Dann kommt ein Fremder. Er bringt eine Nachricht für den jungen Ike Tucker: Seiner Schwester, die das Wüstenkaff auf Nimmerwiedersehen verließ, sei etwas passiert. Er liefert drei Namen und einen Ort: Huntington Beach, ein kalifornisches Surferparadies. Ike kauft sich einen Sixpack Bud, steigt in einen Greyhound, verlässt seine Heimat, seinen o­nkel, seine Grandma und macht sich auf die Suche – nach seiner Schwester Ellen, nach einer zerrütteten Vergangenheit und nach einer Zukunft, die schon längst in der Wüste vergraben zu sein schien.

In Huntington Beach taucht der schweigsame Provinzler in eine andere Welt ein, in der Surfer, Punks und Rocker durcheinander treiben und „eine Gier nach Leben in der Luft“ liegt. Wie eine Schlange wirft Ike seine Haut ab, lässt sich von der unendlichen Magie des Ozeans und der Wellen packen. Er gerät in den Bann des charismatischen Surf-Idols Hound Adams, der eine zentrale Rolle beim Verschwinden seiner Schwester zu spielen scheint und sein Geld auf der Nachtseite von Huntington Beach mit einem ausgeklügelten System von Angebot und Nachfrage in Sachen Sex und Drogen verdient.

Kem Nunn erzählt seine Geschichte mit einer grandiosen Lakonie, die an Hammet und Chandler denken lässt. Seine Prosa ist atmosphärisch dicht und von einer rauen Melancholie grundiert. Ohne Vergleich sind Nunns Hymnen auf das Surfen, auf das gleißende kalifornische Schauspiel von Wasser und Licht – dies hat er auch in seinem schon im letzten Jahr veröffentlichten Roman „Wo Legenden sterben“ eindrucksvoll untermauert. Nunn lässt sich viel Zeit für die Entwicklung seines Helden und steigert langsam den Spannungsbogen – bis dieser in einem leicht überzeichneten Show Down explodiert.

Unter dem Deckmantel eine Thrillers zeigt Kem Nunn in „Wellenjagd“ auf packende Weise, wie aus unbedingtem Freiheitsdrang und wildem Lebenshunger ein „langer schlechter Trip, eine lange Schussfahrt ins Tal ohne Weg zurück nach oben“ werden kann. Doch am Schluss blinzelt dann doch wieder ein kleiner Strahl kalifornischer Sonne in den Abgrund und lässt hoffen.

Karsten Herrmann

Kem Nunn: Wellenjagd. DuMont, 361 S., 22,90 Euro. ISBN: 3832150749